# taz.de -- WM-Kolumne Ordem e Progresso: Mit Rio in Rio | |
> Ein Sohn, der so heißt wie die Stadt und den alle für ein Mädchen halten | |
> – irgendwie kompliziert. Aber wenigstens gibt es die passenden Souvenirs. | |
Bild: Teure Angelegenheit: Kinder in Brasilien. | |
RIO DE JANEIRO taz | Ich zahle da jetzt 800 Euro im Monat, damit das Kind | |
in die Kita gehen kann, denn hier ist ja alles so scheiße teuer, aber dafür | |
bekommt mein Sohn Rio etwas, das ich erst weiter unten verrate, und mittags | |
auch etwas zu essen und morgens ein paar Kekse und einen Saft. Das war | |
ihnen ganz wichtig zu betonen, dass es mittags auch etwas zu essen gibt und | |
morgens ein paar Kekse und einen Saft, aber abholen muss ich ihn trotzdem | |
schon um 14 Uhr, sonst würde das weit über 1.000 Euro kosten, und irgendwo | |
muss ja auch mal Schluss sein. | |
Ja, richtig gehört, mein Sohn heißt Rio und das kommt in Rio de Janeiro | |
natürlich doppelt bescheuert, weil eigentlich fanden wir doch nur den Klang | |
des Namens schön und ein bisschen Rio Reiser, okay, aber dass wir mit Rio | |
mal für eine Weile in Rio landen würden, hatten wir natürlich noch nicht | |
geplant, und jetzt denke ich immer an Kinder in Berlin, die Berlin heißen, | |
oder an Mädchen in New York, die New York heißen, oder ich stelle mir | |
Mönchengladbach vor, und ich muss sagen, jetzt tut mir mein Sohn auch ein | |
bisschen leid, obwohl es ihn überhaupt nicht weiter stört, und was immerhin | |
von Vorteil ist, ist, dass es hier alle möglichen Taschen und Tüten und | |
T-Shirts gibt, auf denen „I love Rio“ steht. Die Verwandten werden das | |
lieben. | |
Gestern habe ich Rio zum ersten Mal „sie“ genannt, als ich mit einem | |
Fremden auf der Straße über ihn gesprochen habe. „Sie ist zwei Jahre alt“, | |
habe ich gesagt. Das ist mir so rausgerutscht, weil seit Wochen schon alle | |
fragen, wie sie denn heißt, und sagen, dass sie so schön aussieht und so | |
blond und so niedlich und süß und dass sie ein Geschenk Gottes sei. | |
Rio ist nämlich in Rio der einzige Junge, ich glaube überhaupt in der | |
Stadt, der lange Haare hat, und das sind die hier nicht gewöhnt, und | |
deshalb geht er nirgendwo als Junge durch, obwohl er gar nicht diesen | |
mädelsmäßigen Pinkscheiß trägt, aber man will das ja auch nicht die ganze | |
Zeit richtigstellen, erstens sowieso und zweitens, weil es nervt. Also ist | |
er halt für alle anderen eine sie, was ihn logischerweise auch nicht weiter | |
stört, er ist ja erst zwei. | |
Nun hat er sogar schon angefangen, Frauensachen zu sagen, zum Beispiel | |
„Obrigada“, so sagen nämlich die Frauen auf Portugiesisch „Danke“, und… | |
Männer sagen „Obrigado“, also sagt man immer mit jedem Danke auch gleich | |
mit, ob man eine Frau oder ein Mann ist und er sagt also, er sei ein | |
Mädchen, und da sollen mir jetzt mal die ganzen Genderfritzen kommen und | |
schön erklären, was jetzt richtig und was falsch ist und was ich ihr wann | |
erklären soll oder ihm. | |
Aber was ich eigentlich sagen wollte, ist, dass es hier etwas gibt, das | |
einem bei der Vorstellung keiner sagt, aber alle deutschen Kitas | |
verpflichtend einführen sollten, und das ist das Kinderduschen, und das | |
geht so: Immer wenn der Kindergarten aus ist, ist das ganze Kind frisch | |
gewaschen und geduscht, und es riecht nach Puder, die Windel ist trocken | |
und die Haare sind schön, und da scheiß ich doch auf die 800 Euro, wenn wir | |
uns abends den Terror ersparen können und wenn sie ihm noch pinke Klamotten | |
anziehen würden, wäre es mir auch recht, Rio gefällt es zumindest hier. Ich | |
glaube, er mag Rio, und ich liebe Rio natürlich, aber bald sind wir zurück | |
in Berlin, und Rio ist dann wieder ein Junge, der abends duschen muss, aber | |
ich habe uns schon ganz viele Tüten gekauft. | |
10 Jul 2014 | |
## AUTOREN | |
Martin Kaul | |
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