# taz.de -- Demokratisierung der Wissenschaft: Pluralismus ist nicht erwünscht | |
> Akademie-Präsident Günter Stock kritisiert den zu großen Einfluss der | |
> Gesellschaft auf die Forschung. Er fürchtet den Niedergang der | |
> Wissenschaftsfreiheit. | |
Bild: Wehrt sich gegen eine Öffnung der Wissenschaften: Akademie-Präsident G�… | |
BERLIN taz | Scharfe Kritik an einer „Demokratisierung der Wissenschaft“ | |
hat der Präsident der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften | |
(BBAW), Günter Stock, geübt. Es gebe sowohl in Deutschland als auch über | |
EU-Gremien in Brüssel die Tendenz, dass „Partikularinteressen bestimmter | |
gesellschaftlicher Gruppen“ zunehmend die Forschung beeinflussten, sagte | |
Stock am Wochenende auf dem Leibniztag seiner Akademie in Berlin. | |
Namentlich erwähnte Stock die Reformbewegung der „transformativen | |
Wissenschaft“. | |
Betroffene Forscher und Politiker äußerten sich verwundert über die Schärfe | |
des Vorstoßes des ranghohen Wissenschaftlers. Stock ist zugleich | |
Vorsitzender der deutschen und der europäischen Wissenschaftsakademien. | |
In seiner Kritik kam der BBAW-Präsident von seiner Sorge über die | |
staatliche Beschneidung der Wissenschaftsfreiheit in der Türkei und | |
Russland unmittelbar auf das geplante neue Hochschulgesetz in | |
Nordrhein-Westfalen zu sprechen. Auch dort solle der Landes-Einfluss auf | |
die Hochschulen über ein ausgebautes „Controlling“ verstärkt werden. | |
„Wehret den Anfängen!“, warnte Stock. Auch anderorts drohe der Missbrauch | |
von „partizipativen Strukturen in den Entscheidungsgremien“ von Hochschulen | |
und Forschungsorganisationen. | |
Stock skizzierte das Gruselszenario: „Gesellschaftlich relevante Gruppen | |
halten Einzug in den Hauptausschuss der Deutschen Forschungsgemeinschaft | |
(DFG), um dort – etwa im Rhythmus von Landtagswahlen – Forschungsziele zu | |
definieren.“ | |
Zu dieser Entwicklung dürfe es nicht kommen, so Stock, auch aufgrund | |
historischer Erfahrungen: Habe Deutschland doch „im 20. Jahrhundert zweimal | |
auf bittere Weise erfahren, was es bedeutet, wenn Forschung und | |
Wissenschaft ausschließlich in den Dienst so genannter gesellschaftlicher | |
Interessen gestellt werden.“ | |
Uwe Schneidewind, Präsident des Wuppertal-Instituts für Klima, Umwelt, | |
Energie und Autor des Buches „Transformative Wissenschaft“, erklärte auf | |
Anfrage der taz: „Dass Günter Stock eine höhere Pluralität bei der | |
Steuerung des Wissenschaftssystems als Dominanz von Partikularinteressen | |
diffamiert und in die Nähe nationalsozialistischer Wissenschaftssteuerung | |
stellt, ist schon befremdlich.“ | |
Tatsächlich laufe die internationale Diskussion in eine völlig andere | |
Richtung: „Hier wird intensiv an einer stärkeren Einbeziehung der | |
Zivilgesellschaft in die Wissenschaftsgestaltung gearbeitet.“ Beispiele | |
seien das EU-Forschungsprogramm „Horizon 2020“ wie auch die Forschung zum | |
globalen Wandel („Future Earth“). In beiden Fällen werde „ein Co-Design … | |
eine Co-Produktion von Wissen zusammen mit der Zivilgesellschaft“ aktiv | |
eingefordert. | |
Auch der SPD-Forschungspolitiker und Bundestagsabgeordnete René Röspel | |
zeigte sich „verwundert“ über die Akademie-Kritik. „Wissenschaft in einer | |
freien Gesellschaft lebt vom offenen Diskurs und muss keine Angst vor | |
öffentlicher Beteiligung haben“, sagte Röspel gegenüber der taz. Es gebe | |
einen gesamtgesellschaftlichen Trend zu mehr Transparenz, dem sich auch die | |
Wissenschaft stellen müsse. | |
Auf Röspels Betreiben fand die Ankündigung von „neuen Formen der | |
Bürgerbeteiligung“ in der Wissenschaft auch Eingang in den | |
Koalitionsvertrag. Mit einer ersten Vorlage der SPD-Fraktion sei für den | |
Herbst zu rechnen, so Röspel. | |
4 Jul 2014 | |
## AUTOREN | |
Manfred Ronzheimer | |
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