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# taz.de -- Gesellschaft spaltet Wissenschaft: Abstimmung vertagt
> Eigentlich wollte der Wissenschaftsrat sein Positionspapier über die
> „großen gesellschaftliche Herausforderungen“ schon längst verabschiedet
> haben.
Bild: Menschheitsproblem Klimawandel: Die Gesellschaft erwartet Antworten auf d…
BERLIN taz | Die „großen gesellschaftlichen Herausforderungen“ wie
Klimawandel, Energie- und Agrarwende beschäftigen auch den
Wissenschaftsrat, das führende Beratungsgremium der deutschen
Wissenschaftspolitik. Die Erörterungen, wie daraus ein neues
„wissenschaftspolitisches Leitbild“ zu formen ist, erweisen sich aktuell
aber eher als eine große Herausforderung für die Kompromissfähigkeit und
Diskurslogistik des Expertengremiums selbst.
Über ein Positionspapier, das vergangene Woche auf der Wintertagung des
[1][Wissenschaftsrates] in Berlin beschlossen werden sollte, kam keine
Einigkeit zustande. Es bestehe weiterer Diskussionsbedarf, wurde
mitgeteilt.
Nun wird schon im vierten Jahr räsoniert. Im Sommer 2012 hatte eine
Arbeitsgruppe unter Leitung des damaligen Ratsvorsitzenden [2][Wolfgang
Marquardt] die Beratungen aufgenommen. Ursprünglich wollte man eine
wissenschaftliche Stellungnahme zur Energiewende abgeben, dann wurde das
Thema weiter gefasst, nachdem der [3][„Wissenschaftliche Beirat der
Bundesregierung Globale Umweltveränderungen“ (WBGU)] sein [4][Gutachten zur
„Großen Transformation“] vorgelegt hatte.
Nach Lesart des Wissenschaftsrates sollen die „großen gesellschaftlichen
Herausforderungen“ als langfristige und großräumige Trends oder Szenarien
für künftige Entwicklungen der Gesellschaft und ihrer natürlichen Umwelt
definiert werden, auf die die Wissenschaft mit einem neuen „Leitbild“ zu
reagieren habe. Die Tätigkeit der Arbeitsgruppe wurde übrigens von der
[5][Mercator-Stiftung] gesponsert.
Neben den beiden traditionellen Leitlinien der Wissenschaft – der
Grundlagenforschung für den Erkenntnisfortschritt und die
anwendungsorientierte Forschung für Innovation und Wohlstandsmehrung –
kommt als drittes Leitbild die Gesellschaftsorientierung hinzu, erklärte
Marquardt im Juli 2014 bei seiner Antrittsrede als Chef des
Forschungszentrums Jülich.
„Mit dem Leitbild der großen Herausforderungen wird die Erwartung der
Gesellschaft an die Wissenschaft verbunden, ihre Erkenntnis- und
Innovationsprozesse an gesellschaftlichen Bedarfen zu orientieren“, sagte
Marquardt dort. Diese Orientierung ist neu, und für etliche Wissenschaftler
offenbar auch grenzwertig.
Das erste Papier aus Marquardts Feder, über 100 Seiten, wurde in einer
zweiten Fassung inhaltlich entschärft und auf knapp 30 Seiten eingedampft.
Gestrichen wurden Sätze mit wissenschaftspolitischer Sprengkraft wie
dieser: „Im Kontext Großer gesellschaftlicher Herausforderungen kommt somit
dem Dialog zwischen wissenschaftlichen und anderen gesellschaftlichen
Akteuren eine besondere Bedeutung zu, besonders wenn sich diese nicht nur
auf die Kommunikation von Forschungsergebnissen beschränkt, sondern den
verschiedenen gesellschaftlichen Akteuren Beteiligungschancen bei der
Formulierung und gegebenenfalls auch Bearbeitung von Forschungsfragen im
Sinne von Co-Design und Co-Produktion einräumt.“
## Fachegoismen abbauen
[6][Die Deutsche Universitätszeitung (DUZ), die im Januar aus den Papieren
zitiert] hatte, kam zu dem Schluss: „Es ist im Wesentlichen Marquardts
Verdienst, dass das neue Leitbild den Gedanken der Interdisziplinarität in
der deutschen Wissenschaft weiter voranbringen kann – wenn denn die Akteure
in Universitäten, Instituten, Forschungsorganisationen und auch in den
Akademien guten Willens sind und Fachegoismen und versäultes Denken in den
Wissenschaftsstrukturen weiter abbauen.“
Das ist in der letzten Woche bei der Beratung im Berliner Neubau des
Forschungsministeriums fehlgeschlagen. Die Beschlussfassung wurde auf den
April verschoben, dann trifft der Wissenschaftsrat in Stuttgart zusammen.
„Vermutlich ist die Verschiebung sogar eine gute Nachricht“, urteilte
[7][Uwe Schneidewind, Leiter des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt,
Energie], in einer ersten Stellungnahme auf dem [8][Internet-Blog
„Nachhaltige Wissenschaft“.] Die Vertagung zeige, „dass die Diskussion
darüber, wie sich Wissenschaft gegenüber den gesellschaftlichen
Schlüsselherausforderungen des 21. Jahrhunderts positionieren soll, einen
Nerv trifft“, stellt Uwe Schneidewind fest.
Wenn selbst der Wissenschaftsrat, „der häufig schon zukunftsweisender
Impulsgeber für die Weiterentwicklung des Wissenschaftssystems in den
letzten Jahrzehnten war“, hier keinen gemeinsamen Nenner finde, mache dies
deutlich, so der Autor des Buchs „Transformative Wissenschaft“, „wie tief
die Diskussion über das Verhältnis von Wissenschaft und Gesellschaft das
Wissenschaftssystem und seine aktuelle Aufstellung herausfordert.“ Keine
Veränderung eben ohne Widerstand.
5 Feb 2015
## LINKS
[1] http://www.wissenschaftsrat.de/nc/arbeitsbereiche-arbeitsprogramm/forschung…
[2] http://www.fz-juelich.de/portal/DE/UeberUns/Organisation/organe/Vorstand/Wo…
[3] http://www.wbgu.de/
[4] http://www.wbgu.de/hauptgutachten/hg-2011-transformation/
[5] http://www.stiftung-mercator.de/
[6] http://www.duz.de/duz-magazin/2015/02/experten-entwerfen-leitbild-fuer-bera…
[7] http://wupperinst.org/kontakt/details/wi/c/s/cd/947/
[8] http://nachhaltigewissenschaft.blog.de/2015/02/02/wissenschaftsrat-verschie…
## AUTOREN
Manfred Ronzheimer
## TAGS
Transformation
Wissenschaftsrat
Sozial-Ökologie
Schwerpunkt Klimawandel
Wissenschaftsrat
Anthropozän
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