# taz.de -- NS-Vergangenheit in Deutschland: Reichsbahn ohne Juden | |
> Der Reichsbahndirektor Ernst Spiro überlebte den NS im Londoner Exil. | |
> Alfred Gottwaldt erinnert an ihn und die antisemitische Verfolgung im NS. | |
Bild: Gedenken an der Rampe der deutschen Reichsbahn in Auschwitz. | |
Die Verfolgung der Juden im NS-Deutschland wird häufig mit dem Holocaust, | |
also dem Massenmord an einer verfemten Gruppe, gleichgesetzt. Doch dieser | |
Zerstörung menschlichen Lebens gingen Jahre der Verdrängung, | |
Diskriminierung und Ausschließung voraus. Dazu zählt die Entlassung der | |
jüdischen Beamten aus dem Staatsdienst. | |
Der auf die Eisenbahn spezialisierte Historiker und Jurist Alfred Gottwaldt | |
hat dazu ein schmales Buch vorgelegt, das anhand eines Einzelfalls auf die | |
Zerstörung eines Lebens aufmerksam macht. Es geht dabei um den | |
Reichsbahndirektor Ernst Spiro. | |
Der 1873 in Ostrowo in der Provinz Posen geborene Spiro hatte sich nach | |
einem Maschinenbau-Studium bei der deutschen Staatsbahn hochgearbeitet, war | |
Direktor des damals neu errichteten Ausbesserungswerks Trier geworden, | |
bevor ihn über Stationen in Hamburg die Berufung als Direktor des | |
Reichsbahn-Zentralamts erreichte. | |
Beamte jüdischer Herkunft waren bei der Bahn eher eine Seltenheit. Das | |
Staatsunternehmen folgte ab 1933 den Vorgaben des NS-Regimes und versetzte | |
diese in den Ruhestand – ein Euphemismus für die Entlassung aus | |
rassistischen Gründen. | |
Dabei unterwarf sich Reichsbahn-Direktor Julius Dorpmüller rückhaltlos dem | |
„Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ vom April 1933. | |
Allerdings gelang es ihm, in einzelnen Fällen die Entlassungen zu | |
verzögern, so etwa bei evangelisch getauften Menschen, die dennoch von den | |
Nazis als Juden qualifiziert wurden. | |
## Er überlebte im Exil | |
Für Spiro, der aus seinem Judentum keinen Hehl machte, galt dies nicht. Im | |
Frühjahr 1933 erhielt er zunächst die Mitteilung, er sei bis auf Weiteres | |
„beurlaubt“. Im Juli desselben Jahres folgte die Entscheidung, ihn in den | |
Ruhestand zu versetzen, offiziell schied er im September 1933 aus dem | |
Dienst aus. | |
Spiro überlebte die NS-Zeit dank seiner Emigration nach London. Sein Bruder | |
Max dagegen, der das elterliche Geschäft in Ostrowo übernommen hatte, wurde | |
am 3. Juli 1942 in einem Zellenwagen nach Auschwitz verschleppt. „Max | |
Israel Spiro“, so behauptete es der Totenschein, sei am 10. Juli 1942 an | |
„Altersschwäche“ in Auschwitz verstorben. | |
Ernst Spiro, einer von tausenden entlassenen jüdischen Beamten, ist schon | |
lange vergessen. Anfang 1950 starb er im britischen Exil. „Sein“ | |
Ausbesserungswerk in Trier ist schon lange geschlossen, die großen | |
Industriehallen harren einer künftigen Nutzung. | |
Immerhin, es gibt in der unmittelbaren Umgebung eine Spirostraße. Und jetzt | |
gibt es ein kleines Buch, das anhand seiner Person an den Beginn der | |
rassistischen Verfolgung in NS-Deutschland per Gesetz erinnert. | |
8 Jul 2014 | |
## AUTOREN | |
Klaus Hillenbrand | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Nationalsozialismus | |
Reichsbahn | |
Antisemitismus | |
Juden | |
Auschwitz | |
SS | |
Auschwitz | |
Holocaust | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Prozess gegen Auschwitz-Wachmann: Beihilfe zu mehr als 300.000 Morden | |
Der 93-jährige Oskar G. kommt vor Gericht. Der ehemalige SS-Mann soll für | |
den Tod Hunderttausender mitverantwortlich sein. | |
Verfolgung von NS-Kriegsverbrechern: Vom Tod geholt | |
Ein mutmaßlicher KZ-Wachmann ist in den USA kurz vor seiner Auslieferung | |
nach Deutschland gestorben. Er war Mitglied der Waffen-SS und Aufseher in | |
Auschwitz. | |
Claude Lanzmann über „Shoah“: „Ich hatte ja keine andere Wahl“ | |
Claude Lanzmanns „Shoah“ war ein Meilenstein im Gedenken an den Holocaust. | |
Die Berlinale ehrt ihn nun mit einem Goldenen Bären. | |
Ausstellung über NS-Zwangsarbeiter: Öffentlicher Sklaveneinsatz | |
"Nichtarbeitende haben zu verhungern": Das Jüdische Museum Berlin zeigt die | |
erste umfassende Ausstellung über Zwangsarbeiter im NS-Regime. | |
Bis zuletzt Streit um "Zug der Erinnerung": Kein Gedenken im Vorzeigebahnhof | |
Im Hauptbahnhof wollte die Bahn die Ausstellung über die Deportation | |
jüdischer Kinder und die Beteiligung der Reichsbahn nicht haben. Der "Zug | |
der Erinnerung" steht nun im Ostbahnhof. |