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# taz.de -- Ausstellung über NS-Zwangsarbeiter: Öffentlicher Sklaveneinsatz
> "Nichtarbeitende haben zu verhungern": Das Jüdische Museum Berlin zeigt
> die erste umfassende Ausstellung über Zwangsarbeiter im NS-Regime.
Bild: Zwangsarbeiterinnen auf dem Gelände des Daimler-Werkes in Minsk, Septemb…
Das Foto aus dem Jahre 1935 zeigt einen jungen blonden Mann mit nacktem
Oberkörper bei der Arbeit. Er putzt ganz offensichtlich mit Hingabe die
Scheiben eines Sprossenfensters. Darunter prangt ein riesiges Hakenkreuz,
darüber zwei Worte: "Arbeit adelt".
Auf einer Bildfolge von 1942 sind Frauen mit Kopftüchern zu sehen, viele
Frauen. Sie tragen Kopftücher und schleppen einfache Koffer. Sie erreichen
in Kolonnen eine Baracke. Andere junge Frauen sind mit ihrer Registratur
beschäftigt. Ein Bild zeigt die Frauen, nun ohne Kopftuch, und wenige
Männer, wie sie in einem Zimmer auf und an hölzernen Doppelstockbetten
sitzen.
Die Fotos sind Bilder ein und derselben Medaille. Gezeigt werden sie auf
der allerersten umfassenden Ausstellung in Deutschland über Zwangsarbeit im
NS-Regime, die noch bis zum Januar im Jüdischen Museum Berlin gastiert. Das
erste Bild, zu Beginn der Schau, symbolisiert die mythische Erhöhung des
Arbeitsethos im Nationalsozialismus und entstand in einem Lager des
Reichsarbeitsdienstes, den alle jungen Männer noch vor Ableistung ihres
Wehrdienstes durchlaufen mussten. "Ehrendienst am deutschen Volke" nannte
man so etwas.
Damals, 1935, hatte die Nazi-Zwangsarbeit ihre ersten Opfer bereits
gefunden: Es waren zehntausende politische Gegner, die in
Konzentrationslagern einsaßen und deren Widerstand dort mit stumpfsinniger,
oft sinnloser körperlicher Arbeit gebrochen werden sollte. Oder die
"Moorsoldaten", wie sie sich selbst nannten, KZ-Insassen, die im Emsland
Sumpfgebiete entwässern mussten. Ein grausames, doch im Nachhinein geradezu
harmloses Vorspiel zu dem, was noch kommen sollte.
20 Millionen Zwangsarbeiter
Denn die Frauen auf den Bildern von 1942 zeigen Zwangsarbeiterinnen aus
Polen und der Sowjetunion, angekommen im Durchgangslager
Berlin-Wilhelmshagen. Die Sklavinnen und Sklaven arbeiteten in der
deutschen Rüstungsindustrie genauso wie auf dem Bauernhof, bei der
Reichsbahn, auf Großbauten. Überall. Wer aus Russland kam und nicht mehr
arbeiten konnte, verhungerte. Wer in Verdacht geriet, Widerstand zu
leisten, den hängten sie auf. Wer schwanger wurde, dem nahmen sie das Kind
und brachten es um. Sie zählten in die Millionen.
Auf 20 Millionen Menschen wird die Zahl der Zwangsarbeiter unter dem
NS-Regime geschätzt, etwa 13 Millionen arbeiteten in Deutschland, sieben in
den besetzten Gebieten. Im Gegensatz zum Massenmord an den Juden, dieser
"geheimen Reichssache", war der Sklaveneinsatz sichtbar, das Leben und
Arbeiten der Menschen so öffentlich wie eine Straßenbahnhaltestelle. Die
gesamte deutsche Gesellschaft war einbezogen - und machte, in aller Regel,
mit.
Die Nazis hatten lange gezögert, die "Fremdarbeiter" aus dem Osten ins Land
zu lassen, aus Furcht vor einer "rassischen" und sittlichen Gefährdung des
deutschen Volkes. Doch im Krieg fehlten immer mehr Arbeitskräfte. Die
Zwangsarbeiter mussten die Lücken stopfen und helfen, den Krieg gegen ihre
eigenen Völker zu verlängern.
Dabei unterlagen die Zwangsarbeiter, das macht diese sorgfältige
Ausstellung deutlich, selbst einer perfiden Hierarchie. Ganz oben standen
entsprechend der Rassen-Ideologie der Nazis die Frauen und Männer aus
Frankreich, Belgien oder den Niederlanden. Am untersten Ende rangierten die
"slawischen Untermenschen": Polen, Ukrainer, Russen. Sie erhielten oft
Essensrationen, die einen langsamen Tod herbeiführten. Sie bekamen bei
kleinsten Vergehen drakonische Strafen. "Nichtarbeitende Kriegsgefangene
haben zu verhungern", schrieb Generalquartiermeister Eduard Wagner 1941.
Darunter standen nur noch die Juden, eingepfercht in deutsche "Judenhäuser"
und polnische Ghettos. Die meisten von ihnen wurden ohne Ansehen einer
möglichen industriellen Nutzung ermordet. Wenige kamen etwa in der
Rüstungsindustrie in den besetzten Ländern zum Einsatz, für die Nazis eine
bedauernswerte Folge von Engpässen, ihre Vernichtung zum nächstmöglichen
Zeitpunkt war fest geplant - und wurde, auch gegen ökonomische Logik,
exekutiert.
Die Ausstellung, initiiert von der Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und
Zukunft" - gemeinhin als Zwangsarbeiterstiftung bekannt -, verzichtet
dankenswerterweise auf jedwede Knalleffekte und unangebrachte
Inszenierungen. Sie lässt Dokumente sprechen, Zwangsarbeiter reden - und
sie zeigt immer wieder Fotos, Fotos, Fotos. Es war für die
Ausstellungsmacher von der Gedenkstätte Buchenwald und Mittelbau-Dora
selbst überraschend, welch große Zahl an fotografischen Dokumenten bei
ihren Recherchen zu Tage kamen. Das liegt wohl auch daran, dass
Zwangsarbeit so öffentlich war. Doch die Bilder, in ihren historischen
Kontext eingeordnet, wahren die Würde der Opfer.
Die Ausstellung ist auch ein Vermächtnis der Zwangsarbeiterstiftung. Von
den 20 Millionen Betroffenen konnte sie noch 1,7 Millionen Menschen
entschädigen. Alle anderen waren verstorben. "Die wichtigste Ausstellung
nach der Wehrmachtsausstellung" nennt Cilly Kugelmann, Programmdirektorin
des Jüdischen Museums, die Schau. Sie hat recht. Denn sie öffnet den Blick
auf ein verschwiegenes Verbrechen, das doch unter aller Augen stattfand.
28 Sep 2010
## AUTOREN
Klaus Hillenbrand
Klaus Hillenbrand
## TAGS
Schwerpunkt Nationalsozialismus
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