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# taz.de -- Debüt von House-Produzent Steinhoff: Schwarmverhalten im Club
> Julius Steinhoff betreibt den Hamburger Plattenladen Smallville. Jetzt
> veröffentlicht er mit „Flocking Behaviour“ ein großartiges Debütalbum.
Bild: In seinem Element am Meer: Julius Steinhoff.
Es ist schon nach acht Uhr abends, aber die Tür zum Smallville-Laden in St.
Pauli steht noch offen. Freunde schauen vorbei auf ihrem Weg nach Hause,
ein Tourist fragt nach einem Drucker für sein Hafenrundfahrtticket. Julius
Steinhoff verschwindet kurz zum Kiosk nebenan und kommt mit zwei Flaschen
Bier zurück. Dann ist die Abendstimmung in St. Pauli perfekt. Geräusche der
Straße und warme Luft von draußen, Plattenladengemütlichkeit drinnen.
Gerade ist die Vinylversion von Steinhoffs Debütalbum „Flocking Behaviour“
fertig geworden. Stolz reicht er das Doppelalbum herüber. Auf dem Cover ist
eine Strichzeichnung von einem Hund mit Schirmmütze zu sehen. Oder ist es
etwa Julius Steinhoff selbst, dessen lange Haare unter der blauen Cap
hervorlugen?
Der Zeichner Stefan Marx, dessen kindliche, humorvolle Zeichnungen im
Smallville-Laden auf diversen Platten und Postern zu bewundern sind, hat es
der Betrachterin offen gelassen.
Auf „Flocking Behaviour“ kann man dem sentimentalen Housesound lauschen,
für den Smallville mittlerweile weltbekannt ist. Ja, elektronische
Tanzmusik kann durchaus sehr romantisch klingen. Der Auftakttrack von
Steinhoffs Album mit dem schwelgerischen Titel „Where days begin“, zeigt es
schon auf nahezu mustergültige Weise.
## Grillenzirpen und Ozeanrauschen
Mit Sounds aus einer Aufnahme Steinhoffs vom Urlaub an der französischen
Atlantikküste fängt er an – Grillenzirpen, Ozeanrauschen, in weiter Ferne
Menschen am Strand. Steinhoff lässt sich Zeit mit dem Einsatz der Bassdrum,
ganz smooth kommt sie näher, klingt fetter und irgendwann sagt eine Stimme:
„Chicago, Detroit“. Deutlicher kann man die musikalischen Bezüge Steinhoffs
und seines Albums nicht offenlegen.
Der sentimentale Housesound ist den analogen Drummachines Roland TB 808 und
TB 909 zu verdanken. Mit ihnen und allerlei anderem analogem Equipment hat
Steinhoff sein 1,5 Quadratmeter kleines Home-Studio bestückt. „Das sind
einfach absolute Klassiker, die wahnsinnig toll klingen und gut miteinander
kommunizieren“, sagt der 34-Jährige. Den roten Faden muss man auf „Flocking
Behaviour“ somit nicht lange suchen. Steinhoff versteht es, die Tracks
durch stimmungsstarke Soundmotive miteinander zu verbinden.
## Die Vögel
Inspiriert zum Albumtitel, der übersetzt so viel wie „Schwarmverhalten“
bedeutet, hat Steinhoff übrigens sein Lieblingsvideo auf YouTube. Es heißt
„Starlings on Otmoor“ und ist eine Naturdokumentation über Stare. „Mich
haben Vogelschwärme schon immer geflasht“, sagt Steinhoff. Die Bilder der
fließenden Formationen vor rosa-blauem Abendhimmel lassen an Ambientsounds
denken, doch auf eine so lautmalerische Übersetzung lässt sich Steinhoff
nicht ein. Sein titelgebender Track „Flocking Behaviour“ spielt mit hellen,
klimpernden Klängen und interessanten Drumpattern. Das Schwarmverhalten der
Vögel ähnele außerdem der Situation im Club, findet Steinhoff: „Alle sind
miteinander an einem Ort und bewegen sich gemeinsam.“
Umgeben von Menschen, die ähnliche Dinge machen und mögen, das ist auch ein
bevorzugter Platz für Steinhoff. Im Smallville-Kosmos standen Freundschaft
und Miteinander immer an erster Stelle. „Mit dem Laden haben wir einen Ort
geschaffen, an dem sich Menschen, die sich sonst oft eher flüchtig im
Nachtleben über den Weg laufen, auch außerhalb des Clubs treffen können“,
sagt Steinhoff.
Seit 2005 existiert Smallville Records und wird längst samt dem
dazugehörigen Label als Perle der Hamburger Musikszene ausgewiesen. Mit 21
war Steinhoff von Freiburg nach Hamburg gekommen, um seiner diffusen
Vorstellung von „irgendwas mit Musik“ gegen eine Lehrstelle zum Kaufmann
für audiovisuelle Medien einzutauschen. Das war Anfang der nuller Jahre,
und in der Musikbranche herrschte damals Krisenstimmung. Plattenläden und
Labels machten reihenweise dicht, auch der Vertrieb, in dem Steinhoff
arbeitete, musste Insolvenz anmelden.
Dass just in diese Baisse-Stimmung die Idee zu „Smallville“ hineingeboren
wurde, spricht für die Philosophie der GründerInnen, zu denen außer
Steinhoff noch Stella Plazonja und Peter Kersten gehören. Letzterer ist als
DJ unter dem Namen Lawrence bekannt und hatte einige Jahre zuvor bereits
mit David Lieske und Paul Kominek das Label Dial ins Leben gerufen. „Komm,
wir machen das jetzt einfach“, habe Kersten gesagt. Heute erinnert sich
Steinhoff: „Ob der Laden gut laufen würde oder nicht, spielte keine Rolle.
Diese Attitüde hat mir sofort gefallen.“
Später kam Just von Ahlefeld alias DJ Dionne dazu, mit dem Steinhoff
Smallville heute betreibt. „Als DJs profitierten wir erst mal vom eigenen
Laden, weil wir uns Platten mitnehmen konnten, ohne sie zu bezahlen“, sagt
Steinhoff bescheiden. Doch Smallville zog schnell weitere Kreise. Bald
wurde aus dem Laden auch ein Label mit Künstlern aus dem erweiterten
Freundeskreis, wie Move D und Christopher Rau. Schon schauten die Booker
europäischer Technoclubs auf diesen losen Freundeskreis aus Hamburg, dessen
Mitglieder hochwertige elektronische Clubmusik produzieren. Heute kommen
Musikvernarrte aus ganz Europa, wenn es sie nach Hamburg verschlägt, im
Laden auf St. Pauli vorbei.
## Kein Businessplan
„Es ist verrückt, dass es Smallville schon neun Jahre gibt“, sagt
Steinhoff. „Natürlich ist viel gewachsen, aber gleichzeitig ist es immer
noch so schön wie am Anfang.“ Langfristige Vorhaben oder gar einen
Businessplan für die Zukunft existieren bei Smallville nicht. Steinhoff und
von Ahlefeld lassen die Dinge in der tiefenentspannten und unkommerziellen
Manier, die sie von ihrem Dachlabel Dial gelernt haben, einfach auf sich
zukommen. Die Versorgung mit Musik ist durch den Freundeskreis gesichert.
Und Steinhoff selbst? Seine musikalische Fühler hat er schon wieder nach
Neuem ausgestreckt. Seit zwei Monaten macht er regelmäßig mit Freund und
Smallville-Kumpanen Abdeslam Hammouda Musik, ausnahmsweise lässt er
Drummaschinen und Synthesizer mal ausgeschaltet. Stattdessen kommen
Gitarren, Steeldrums, Ukulele, Glockenspiel, Mundharmonika und Kalimba zum
Einsatz. „Folky stuff“ entstehe da, sagt Steinhoff. Ob es zur
Veröffentlichung kommt, weiß er aber noch nicht. Ein Label zu finden,
dürfte jedenfalls nicht das Problem sein.
18 Jul 2014
## AUTOREN
Carla Baum
## TAGS
House
Hamburg
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Techno
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Hamburg
elektronische Musik
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