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# taz.de -- Musikerin Ebba Durstewitz: Ich bin Stoff und du bist Geist
> Beethoven ist nur ein Platzhalter: Die Hamburgerin Ebba Durstewitz hält
> im Rahmen des Festivals „Doofe Musik“ in Berlin eine Lecture-Performance.
Bild: JaKönigJa: Ebba Durstewitz und Jakobus Durstewitz.
Es gibt ein paar Wörter, die kann Ebba Durstewitz nicht leiden. „Hamburger
Schule“ gehört dazu, „Prozesshaftigkeit“ oder „Format“. Abgenutzte H…
die Höheres bedeuten sollen, dabei aber mit jedem Gebrauch leerer werden.
Durstewitz mag lieber die Eckigen, die erst mal nichts bestimmtes
beschreiben.
So taucht in der letzten Single ihrer Band JaKönigJa das schöne Wort
„Brachialnaturgewalt“ auf, der Name des Songs selbst, „Ich bin Stoff und …
bist Geist“, scheint einen phonetischen Zickzack zu laufen, und das letzte
Album trug den kauzig-sperrigen Titel „Die Seilschaft der Verflixten“.
Wie das neue heißen wird, steht noch in den Sternen, aber immerhin soll es
bald erscheinen. Wann genau, das weiß Durstewitz auch noch nicht. „Gestern
eigentlich,“ sagt sie und rührt verlegen in ihrem Milchkaffee. Der Ordner
mit Texten wartet zu Hause auf seinen Einsatz. Zu Hause, das ist nämlich
dort, wo die andere Hälfte der Band JaKönigJa wohnt – Durstewitz’ Mann
Jakobus (heute Durstewitz, ehemals Siebels).
Anfang September 1994 trafen sich Ebba Durstewitz, damals noch Studentin,
und der Ostfriese Siebels, der von der frisch aufgelösten Band Das neue
Brot kam. Siebels hatte acht Stücke mitgebracht und Durstewitz ihr Cello,
das genügte erst einmal. Eine Woche nach der Bandgründung folgte der erste
Auftritt. Wenig später wurden JaKönigJa die Hausband des Hamburger Pudel
Club.
Mit dem Diskurspop – „noch so ein blödes Wort“ – einiger ihrer
Musikerkollegen wollten JaKönigJa nie in einen Topf geworfen werden. Ihr
Sound lässt sich in keine Schublade einordnen, was heute zum guten Ton
gehören mag, ihnen aber vor 20 Jahren zum Verhängnis wurde. Weil ein Cello
involviert war, wurde eigens für JaKönigJa das Genre „Kammerpop“ geprägt…
dreimal darf man raten, was Durstewitz von dieser Wortschöpfung hält.
## Imaginäre Liebe
Zu Kritikerlieblingen sind JaKönigJa dann auch so geworden. Da sind die
verspielten Texte, die mittlerweile fast alle von Ebba Durstewitz stammen:
„Ich hab’ dich sofort akzeptiert/Es ist ganz einfach so passiert/Du hast
zwar keinen Körper mehr/Lieb’ ich dich halt imaginär,“ heißt es etwa auf
der besagten Single von 2013. Dazu kommen die verschmitzten musikalischen
Arrangements mit viel Hingabe zum Detail, an denen hauptsächlich Jakobus
Durstewitz tüftelt. Wenn sich Ebba Durstewitz heute an die Anfangszeiten
der Hamburger Schule erinnert, klingt das so: „Das war ein ganz schöner
Männerverein. Bei Gesprächen in größeren Runden wurde ich oft ignoriert.
Und vor den Konzerten wurde ganz automatisch Jakobus nach der Technik
gefragt.“
Was geblieben ist – auf der guten Seite – das sind die vielen
freundschaftlichen und solidarischen Verbindungen untereinander. Und
vielleicht auch eine allen Protagonisten gemeinsame Einstellung, die dem
Mainstream und seiner Verwertungslogik ganz entspannt den Stinkefinger
zeigt.
Gelassen scheint auch Durstewitz, wie sie in die Sonne des ungewöhnlich
warmen Frühlingstages blinzelt und im Plauderton einen Blick über die
Szenen, in denen sie sich bewegt, schweifen lässt. Gerade wälzt die
promovierte Literaturwissenschaftlerin Berge an Sekundärliteratur für das
Scienceville-Festival, das an das Dockville Festival angelehnt ist und
dessen wissenschaftliche Leitung sie übernommen hat. Bei Scienceville
sollen sich Künstler und Wissenschaftler den Themen Nichtverstehen und
Nichtwissen widmen. „Fängt kreative Produktivität dort an, wo nichts mehr
verstanden wird?“, fragt sie sich und lässt die Antwort offen.
Wissenschaft und Kunst treffen auch in der Veranstaltung „Doofe Musik“ am
Berliner Haus der Kulturen der Welt aufeinander. „Doofe Musik“ ist die
dritte Musikreihe im Rahmen des schon länger im HKW laufenden
Anthropozän-Projekts. Ihre Vorgänger hießen „Unmenschliche Musik“ und �…
Musik“. Was aber ist doofe Musik?
## Beethoven ist doof
Spontan denkt man an Popgedudel mit Aufforderungen zum Arschwackeln. Ebba
Durstewitz kehrt den Spieß um und wird in ihrer Lecture-Performance gegen
das Bildungsbürgertum sticheln. Sie findet Beethovens 3. Symphonie doof.
„Beethoven ist nur ein Platzhalter“, sagt Durstewitz, „es geht um den
starken Abgrenzungswunsch der Hochkulturriege.“
Den vielerorts postulierten Untergang des Bildungsbürgers kann sie nicht
bestätigen. Von ihrem Balkon in Hamburg-Ottensen, einem Viertel, das die
Gentrifizierung hinter sich hat und an den gutsituierten Westen der Stadt
grenzt, müsse sie nur nach rechts gucken und erspähe mindestens ein
Exemplar. Wozu das Distinktionsgehabe, fragt sich Durstewitz. Der erste
Satz aus Prokofjews „Romeo und Julia“ sei ein genau so gutes Popstück wie
„Care of Cell 44“ von den Zombies, das sie aus ihrer Plattensammlung zieht.
Durstewitz hält es da mit der Berliner Noise-Band Mutter und deren
Albumtitel: „Hauptsache Musik“.
7 May 2014
## AUTOREN
Carla Baum
## TAGS
Hamburger Schule
House
Musik
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