| # taz.de -- Frauen in der Hamburger Schule: Unbegradigte Aussagen | |
| > "So wild und frei": Ein Interviewband lässt Frauen zu Wort kommen, die | |
| > die Hamburger Subkulturszene der neunziger Jahre mitgeprägt haben. | |
| Bild: Ebba Durstewitz von JaKönigJa mit ihrem Bandkollegen Jakobus Siebels. | |
| Als zu Beginn der neunziger Jahre in Hamburg aus den Wurzeln von Punk und | |
| Neuer Deutscher Welle eine subkulturelle Szene entstand, deren | |
| Hervorbringungen unter dem Begriff "Hamburger Schule" subsumiert wurden, da | |
| waren es nur Männer, vorn, im Rampenlicht. Bands wie Cpt. Kirk &, Kolossale | |
| Jugend, Blumfeld, Die Sterne und, etwas später, Tocotronic sowie die | |
| bereits vorher aktiven Goldenen Zitronen spielten stilistisch diverse | |
| Popmusik. | |
| Was sie einte, war der klischeelose Umgang mit deutschen Texten und eine | |
| intellektuelle Auseinandersetzung über ästhetische Formen sowie ein | |
| selbstkritischer politischer Diskurs, der mit dem Zustand der Linken nach | |
| der Wende zu tun hatte. | |
| Die Musiker nutzten ihre Position, um mobil zu machen gegen einen wieder | |
| erstarkten Nationalismus mitsamt den rechtsradikalen Überfällen auf | |
| Asylbewerber und Andersdenkende. Sie lehnten eine heiß diskutierte Quote | |
| für deutsche Künstler im Radio entschieden ab. Und, hey, ein bisschen Spaß | |
| war auch dabei. | |
| Den Bremer Kulturwissenschaftler Jochen Bonz interessierten nun die "Frauen | |
| in der Hamburger Schule". Zehn von ihnen wurden im Rahmen eines Seminars an | |
| der Universität Bremen zu ihren Erfahrungen von damals befragt. Dabei | |
| herausgekommen ist der Interviewband "Lass uns von der Hamburger Schule | |
| reden – Eine Kulturgeschichte aus Sicht beteiligter Frauen". | |
| Bonz erläutert im Vorwort, dass er sich dem Phänomen "Hamburger Schule" von | |
| seiner "ungekannteren" Seite nähern wollte, nicht aus der Sicht ihrer | |
| prominenten Vertreter – Bernadette Hengst von Die Braut Haut ins Auge | |
| einmal ausgenommen – und ausschließlich von Musikern. | |
| ## Oral Histroy | |
| Das mag ein etwas wackliges Kriterium sein, doch was zählt, ist das | |
| Ergebnis, eine informative und gut lesbare Oral History. Das liegt auch | |
| daran, dass die Aussagen der Protagonistinnen nicht zugunsten eines | |
| einheitlichen Sprachflusses begradigt wurden. Die Interviews ergänzen sich | |
| inhaltlich und machen ein sehr gegenwartsbezogenes Lebensgefühl greifbar, | |
| das eine ganze Generation geprägt hat. | |
| Das Thema Geschlechterdifferenz und die Frage, inwieweit selbst in einer | |
| alternativen popkulturellen Szene hegemoniale Muster reproduziert wurden – | |
| während der Mann vorn auf der Bühne steht, sorgt die Frau im Hintergrund | |
| für einen reibungslosen Ablauf –, sind in den Gesprächen erwartungsgemäß | |
| präsent. Die Diskussionskultur wird als männerbündlerisch beschrieben: | |
| "Da sitzen dann vier Typen am Tisch und unterhalten sich über was und man | |
| sagt dann was dazu und wird ignoriert", erzählt Ebba Durstewitz von | |
| JaKönigJa. Keine ungewöhnliche Sache, so der allgemeine Tenor, das gab und | |
| gibt es in allen gesellschaftlichen Bereichen. | |
| In der Rückschau allerdings sagt Durstewitz über Frauen im Rampenlicht: | |
| "Ich bin mir im Nachhinein sehr sicher, dass man laut sein musste, um sich | |
| da durchzusetzen." Damals jedoch sei sie eine trotzige Person gewesen, der | |
| "so was scheißegal war". | |
| "Ich habe halt Musik gemacht", konstatiert auch Fünf-Freunde-Sängerin Julia | |
| Lubcke, die sich ähnlich wie Durstewitz selbst gar nicht zum Kern der | |
| Hamburger Schule zählt, sondern deren musikalische Laufbahn zufällig | |
| zeitgleich am selben Ort begann. | |
| Die Hamburger Schule wurde nicht von musikalisch Aktiven allein, sondern | |
| durch eine unabhängige kreative Infrastruktur ermöglicht und beeinflusst. | |
| Neben weiteren Musikerinnen wie Elena Lange (Stella, TGV) und Almut Klotz | |
| von den Lassie Singers sowie DJ Patex kommen Vertreterinnen der Bereiche | |
| Publizistik, Grafik, PR oder Labelmanagement zu Wort. Viel ist da die Rede | |
| von der kompletten Durchdringung von Privatleben und Beruf. | |
| Die Grafikerin Bianca Gabriel hat Die Sterne in einer Kneipe kennengelernt | |
| und dann das Cover ihres Debütalbums gestaltet. Die Autorin Katha Schulte | |
| spricht von einer offenen Grenze zwischen Zuschauerraum und Bühne. Myriam | |
| Brüger war mit viel Humor und Geschmack beim Label LAge dOr für PR | |
| zuständig und gewann Tocotronic für das Label. Ihre Kollegin Charlotte | |
| Goltermann formte den House-Ableger des Hauses, Ladomat 2000. | |
| Popmusik war lebensbestimmend, so Goltermann. "Es gab nichts anderes, womit | |
| man sich ausdrücken konnte: so wild und frei. Wo die Moden so schnell | |
| wechselten. Was so wenig spießig oder kommerziell war. Oder: Wo jeder | |
| mitmachen konnte. Und so sah unser Büro eben auch aus. Jeder hatte zu allem | |
| ne eigene Meinung." Verdienst des Buches ist, Leuten eine Stimme zu geben, | |
| die im Hintergrund für "die Sache" geackert und so ihren Teil zur | |
| Geschichte beigetragen haben. Ob Mann oder Frau ist dabei eigentlich ganz | |
| egal. | |
| Jochen Bonz, Juliane Rytz, Johan- nes Springer (Hg.), „Lass uns von der | |
| Hamburger Schule reden – Eine Kulturgeschichte aus Sicht beteilig- ter | |
| Frauen“. Ventil Verlag, Mainz 2011, 175 Seiten, 12,90 Euro | |
| 2 Jan 2012 | |
| ## AUTOREN | |
| Sylvia Prahl | |
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