| # taz.de -- Bombenentschärfer über seinen Job: „Oft nur Bruchstücke“ | |
| > Heute sind die ruhigen Hände der Sprengmeister wieder gefragt. Eine | |
| > Gebrauchsanweisung zum Entschärfen von Bomben mit Dietmar Püpke. | |
| Bild: Ein Sprengmeister präsentiert den Zünder einer entschärften 250 Kilo-F… | |
| Die Dienststelle von Polizeihauptkommissar Dietmar Püpke liegt mitten im | |
| Grunewald. Der Ort ist nicht geheim, aber wie eine militärische Anlage | |
| gesichert. Kein Wunder, schließlich vernichten Püpke und seine Kollegen | |
| hier tonnenweise Weltkriegsmunition, die immer wieder in der Stadt gefunden | |
| wird. Um eine zentnerschwere Fliegerbombe von einer Baugrube in den Wald | |
| schaffen zu können, muss sie aber erst einmal unschädlich gemacht werden. | |
| Und da steckt der Teufel tatsächlich im Detail. | |
| taz: Herr Püpke, wie nennt sich Ihr Beruf eigentlich? Bombenentschärfer ja | |
| wohl nicht, oder? | |
| Dietmar Püpke: Nein, die korrekte Berufsbezeichnung ist Polizeifeuerwerker. | |
| Und wie wird man das? | |
| Dafür gibt es eine Reihe formaler Voraussetzungen. Sie müssen | |
| Polizeibeamter des Landes Berlin sein, erwünscht ist außerdem ein erlernter | |
| Beruf wie Maschinenbau oder Elektrotechnik. Oder Metallbearbeitung, das | |
| habe ich gelernt. Sie sollten möglichst in einer festen Beziehung oder | |
| Familie leben, weil man davon ausgeht, dass Sie dann eine andere | |
| Einstellung zu Gefahrensituationen haben. Lebensalter so Anfang Mitte 30, | |
| das ist ja auch eine Frage der Persönlichkeitsentwicklung. Und natürlich | |
| muss eine Stelle frei sein. (lacht) | |
| Und dann? | |
| Dann erhalten Sie eine Ausbildung, die mehrere Lehrgänge bei der | |
| Bundeswehr, der Bundespolizei, beim Technischen Hilfswerk und anderen | |
| Einrichtungen beinhaltet. Man kann das, was wir hier machen, alles | |
| erlernen, das ist keine Schwarze Kunst. Man lernt den Umgang mit | |
| Explosivstoffen, den Aufbau von Munition, die Funktionsweise verschiedener | |
| Zünderarten. Es gibt Speziallehrgänge zur Munition des Ersten und des | |
| Zweiten Weltkriegs, Munition der Warschauer Vertragsstaaten, Munition der | |
| Nato-Staaten. Sie werden dann mündlich und schriftlich geprüft und und | |
| erlangen so Ihren Befähigungsschein. Wenn Sie nicht durchfallen. | |
| Aus wie vielen Personen besteht Ihr Team? | |
| Wir sind hier in Berlin sieben Polizeifeuerwerker, aber eine Bombe | |
| entschärft ja nicht einer allein. Wir haben Kraftfahrer und | |
| Munitionsfachkräfte, denn die geborgene Munition muss bei uns auf dem Platz | |
| eingelagert, bearbeitet und am Ende gesprengt werden. Insgesamt hat die | |
| Dienststelle 14 Mitarbeiter. | |
| Und wie viele Bomben haben Sie und Ihre Kollegen dieses Jahr schon | |
| unschädlich gemacht? | |
| Dieses Jahr hatten wir bislang drei. Im Schnitt rechnen wir mit zehn bis | |
| zwölf Bomben pro Jahr. Unser Fundaufkommen beträgt rund 30 Tonnen im Jahr, | |
| aber da zählen wir natürlich jegliche Munition, von der Pistolenpatrone | |
| angefangen. | |
| Wie muss ich mir Ihren Berufsalltag vorstellen? Ihr Telefon klingelt, und | |
| jemand sagt, er hat da was gefunden? | |
| Es gibt da verschiedene Möglichkeiten. Die Aufgaben bei der | |
| Kampfmittelräumung in Berlin sind geteilt. Für das Ermitteln und Bergen ist | |
| die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung zuständig, für die Beseitigung | |
| wir. Eine Möglichkeit ist also, dass eine Baufirma bei der Senatsverwaltung | |
| einen Antrag stellt, um zu klären, ob auf einem Grundstück Kampfmittel | |
| vorhanden sein könnten. Die Verwaltung ermittelt dann aus ihren | |
| verschiedenen Quellen, ob es Hinweise gibt. Wenn ja, beauftragt sie eine | |
| Firma mit der Bergung, und uns wird das gemeldet. Wenn die dann etwas | |
| findet, ruft sie uns sofort an und wir kommen. Es gibt auch den | |
| Zufallsfund, der Klassiker ist die Bombe in der Baggerschaufel. Und der | |
| Zufallsfund durch Private. Das kann ein Kleingärtner sein, der bei | |
| Erdarbeiten auf seinem Grundstück einen verdächtigen Gegenstand findet. | |
| Über den Polizeinotruf oder die Feuerwehr landet das am Ende bei uns. Wann | |
| das passiert, ist egal, wir kommen zu jeder Tages- und Nachtzeit. Auch an | |
| Weihnachten. | |
| Nun sind Sie vor Ort. Was sehen Sie da? | |
| Oft nur Bruchstücke. Wir haben da keinen glatten, sauberen Munitionskörper, | |
| sondern Erdanhaftungen, Rost, Verformungen. Und natürlich handelt es sich | |
| nicht notwendigerweise um einen Munitionsfund. Wir fangen also an, den | |
| Körper vorsichtig freizulegen, wir schauen, mit welchen Metallen wir es zu | |
| tun haben. Stahl oder Messing sind schon mal ein guter Hinweis auf | |
| Munition. Sollte es sich um eine Bombe handeln, erkenne ich an der Form, | |
| von welcher Nation sie produziert wurde. | |
| Sie sehen gleich: Aha, diese Spitze, das muss eine britische Bombe sein? | |
| So in etwa. Die Grundformen sind von Nation zu Nation verschieden. Aber | |
| auch Details sind ausschlaggebend, etwa die Aufhängeösen für den Transport | |
| im Flugzeug. Britische und US-amerikanische Abwurfmunition hat bestimmte | |
| Ösenformen, sowjetische hat keine, die wurde anders befestigt. | |
| Und wenn Sie dann wissen, welcher Bombentyp da vor Ihnen liegt, wissen Sie | |
| auch, wie Sie den am besten entschärfen? | |
| Genau. Ich weiß, wo bei diesem Typ der Zünder verbaut ist, und arbeite mich | |
| an diese Stelle heran. Da kann Erde drum herumliegen, aber auch Bauschutt | |
| oder Beton. Ich schaue dann nach, ob überhaupt ein Zünder drin ist. Das | |
| muss nicht sein. Manchmal wurden Blindgänger gleich nach dem Abwurf | |
| entschärft und einfach liegen gelassen. Wenn der Zünder drin ist, schaue | |
| ich, in welchem Zustand er sich befindet. Ist er schon entsichert? Ist er | |
| korrodiert, wurde er beim Aufprall beschädigt? | |
| Wie funktioniert denn so ein Zünder? | |
| Mechanische Zünder enthalten ein bewegliches Teil, das von einer | |
| Spiralfeder festgehalten wird. Beim Aufprall wird die Bombe von mehreren | |
| hundert Stundenkilometern auf null abgebremst. Stellen Sie sich vor, Sie | |
| sitzen in einem Auto, das mit hoher Geschwindigkeit gegen eine Wand fährt. | |
| Dadurch werden Sie nach vorne geschleudert. Dasselbe passiert mit der | |
| Mechanik im Zünder. Die hat eine kleine Spitze, die in das sogenannte | |
| Zündtütchen hineinsticht und eine Stichflamme erzeugt. Diese Flamme wird | |
| durch mehrere aufeinanderfolgende Explosivstoffe aufgebaut, bis schließlich | |
| die Hauptladung detonieren kann. Wir sprechen dabei von der Zündkette. Der | |
| Zünder allein könnte die Hauptladung nie zur Detonation bringen. All das | |
| läuft natürlich im Bruchteil einer Sekunde ab. | |
| Aber Sie schrauben das Ganze einfach raus. | |
| Das ist der Idealfall. Aber oft hat sich das Gewinde beim Aufprall | |
| verformt, und nach 70 Jahren ist schon einiges verrostet. Aber wir | |
| probieren es natürlich. Wenn es nicht geht, kann man versuchen, die Buchse, | |
| in die der Zünder hineingeschraubt ist, herauszutrennen. Oder wir müssen | |
| die Bombe aufsprengen, mit ganz geringen Mengen Sprengstoff, die wir unter | |
| die Bombenhülle einbringen. Die Hauptladung kann davon nicht detonieren, | |
| aber der Bombenboden als schwächste Stelle wird weggeschleudert. Seit ein | |
| paar Jahren können wir auch die Bombe mit einer Wasser-Sand-Mischung per | |
| Hochdruckdüse rund um den Zünder aufschneiden. Sobald keine Zündung mehr | |
| möglich ist, gilt die Bombe als transportfähig, und wir können sie zum | |
| Sprengplatz bringen. | |
| Es kann aber auch sein, dass Sie die Bombe vor Ort sprengen müssen? | |
| Ja, das ist die allerletzte Möglichkeit, die Bombe high zu sprengen. | |
| High? | |
| Wir unterscheiden zwischen Low- und High-Order-Verfahren, also dem | |
| Aufplatzenlassen der Bombe oder eben der Sprengung, bei der die Bombe mit | |
| ihrer vollen Wucht detoniert. Da kann man nur noch versuchen, Schäden durch | |
| Druck, Splitter und Hitze zu vermeiden. | |
| Sie sehen auch gleich, welchen Schaden ein konkreter Blindgänger anrichten | |
| könnte? | |
| Ja, klar. Auf der Grundlage muss ich auch von vornherein einen | |
| Sicherheitsradius festlegen, für den Fall, dass die Bombe bei der | |
| Entschärfung detonieren sollte. Da geht es dann um die Menschen und | |
| Gegenstände in der Umgebung, nicht mehr um uns, wir sind da abgeschrieben. | |
| Feierabend. | |
| Deswegen arbeiten Sie erst gar nicht mit einer aufwendigen Schutzkleidung. | |
| Genau. Die würde einfach weggeblasen durch den Gasdruck der Bombe, als ob | |
| sie gar nicht vorhanden wäre. Wir haben keine weitere Schutzkleidung als | |
| unsere Handschuhe. | |
| Angeblich sollen noch um die 3.000 Blindgänger im Berliner Boden liegen. | |
| Die Zahl habe ich auch schon gelesen. Aber wir errechnen da keine | |
| Prognosen. | |
| Das heißt, im Grunde muss sich jeder darüber im Klaren sein, dass unter | |
| seinen Füßen eine Bombe schlummern kann. | |
| Ja, das ist die Konsequenz, dessen muss man sich bewusst sein. | |
| Puh. Na gut. Wenn Sie jetzt eine Bombe hier in den Wald auf den Sprengplatz | |
| gebracht haben, was passiert dann? Sie buddeln ein großes Loch, kippen | |
| alles rein und sprengen es? | |
| Im Prinzip ja. Was immer öffentlich bekannt wird, sind unsere | |
| Großsprengungen im Frühjahr und im Herbst. Da wird dann für einen kurzen | |
| Zeitraum die Avus gesperrt, immer mittwochs um 10 Uhr. Die Aufnahme eines | |
| Verkehrsunfalls dauert oft länger. Wir bringen die Munition auf unserem | |
| Sprengfeld in den Boden, legen eine sogenannte Vernichtungsladung an und | |
| sorgen dafür, dass keine Splitter, Steine oder Hölzer weggeschleudert | |
| werden. | |
| Warum wird die Autobahn dann gesperrt? | |
| Die Vorschriften geben uns tausend Meter Sicherheitsradius vor. Wir | |
| sprechen uns auch mit der Bahn und mit dem Tower in Schönefeld ab. Hier im | |
| Wald wird der Sicherheitsbereich geräumt. An bestimmten Punkte werden | |
| Polizeikräfte postiert, die niemanden mehr durchlassen, es gibt | |
| Lautsprecherdurchsagen, und das gesamte Waldgebiet wird mit einer | |
| Durchsuchungskette begangen. | |
| Da werden die Wildschweine gleich mitgerettet. | |
| Die rennen auch los, klar. | |
| Und sie selbst? | |
| Wir sitzen in einem sicheren Unterstand und überwachen die Sprengungen. | |
| Hören kann man das bis in die Stadt hinein. | |
| Herr Püpke, vielen Dank für das Gespräch. Und ich habe Sie nichts | |
| Persönliches gefragt. Zufrieden? | |
| Ja. (lacht) | |
| Sie hatten darum gebeten, dass wir auf allzu persönliche Fragen verzichten. | |
| Nerven die denn so? | |
| Na ja, was heißt „nerven“. Die erste Frage, die dann immer gestellt wird, | |
| lautet: Haben Sie denn keine Angst? Ich sage dazu: Wir kennen die Gefahren, | |
| unsere Familien kennen die Gefahren, und es ist nicht der einzige Beruf, | |
| der zum Nachteil von Leben und Gesundheit enden kann. Dazu kommt, dass wir | |
| immer als Gruppe arbeiten. Deshalb muss der Einzelne nicht herausgestellt | |
| werden. Der Bombe selbst ist es völlig egal, wen sie in den Tod mitnimmt. | |
| Das Interview haben wir aus aktuellem Anlass noch einmal aufbereitet. Es | |
| ist erstmals erschienen am 21. Juli 2014. | |
| 21 Jul 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Claudius Prößer | |
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