| # taz.de -- Kolumne Knapp überm Boulevard: Schlachtruf der „Angry White Men�… | |
| > Andreas Gabalier findet im Kampf gegen den „Genderwahnsinn“ viele | |
| > Unterstützer. Ein offener Brief fordert die Abschaffung des Binnen-I. | |
| Bild: Allen voran im Kampf gegen den „Genderwahnsinn“: Andreas Gabalier. | |
| In Österreich erlebt man derzeit ein richtiges Wechselbad: erst heiß, dann | |
| kalt. Nicht nur meteorologisch, sondern auch gesellschaftspolitisch. Erst | |
| gibt es Bilder und Zeichen einer gesellschaftlichen Öffnung – und dann | |
| kommt der Backlash. | |
| Erst gab es Conchita Wurst und ihren fulminanten Sieg – und dann. Ja, was | |
| dann kam, waren eine ganze Reihe von Ereignissen: da gab es den | |
| „Volks-Rock-’n’-Roller“ Andreas Gabalier, der sich zu Conchitas | |
| Gegenspieler aufwirft, und der bei einem großen Autorennen die | |
| österreichische Hymne in ihrer alten Version sang (als „Heimat großer | |
| Söhne“) und die Töchter der neuen Version bewusst ausließ. | |
| In einer anschließenden TV-Diskussion platzierte er dann das Wort vom | |
| „Genderwahnsinn“, dem Einhalt geboten werden müsse. Ein Wort, das seither | |
| wie ein Lauffeuer umgeht. Dann gab es noch ein Plakat der FPÖ mit einer | |
| fast nackten Blondine unter dem Spruch: So sehen echte Frauen aus. Und dann | |
| folgte noch vor ein paar Tagen ein offener Brief, in dem „die | |
| unterzeichnenden Linguisten, Germanisten, Hochschul-, Gymnasial- und | |
| Pflichtschullehrer, Journalisten und Schriftsteller, aber auch andere | |
| Personen des Gesellschaftslebens“ dringend die Abschaffung des Binnen-Is | |
| (und aller sonstigen geschlechtlichen Sonderzeichen) fordern. Nicht nur | |
| wegen dieser Unterzeichner, nicht nur weil der Brief an die zuständige | |
| Frauenministerin ausgerechnet im größten Boulevardblatt des Landes | |
| veröffentlicht wurde, schlägt dieser immense Wellen. | |
| Erst tut sich eine Tür zur gesellschaftlichen Veränderung auf und gleich | |
| wird sie wieder geschlossen. Nichts ist gesichert. Die Bewegung des | |
| Fortschritts ist eindeutig nicht linear. Diese vielfältigen Ereignisse | |
| fügen sich zu einem Gesamtbild, in dem die unterschiedlichsten, oft | |
| gegensätzlichen gesellschaftlichen Kräfte unintendiert zusammenwirken: von | |
| den FPÖ-affinen Wählern bis hin zum Bildungsbürgertum. Dieses hat mit | |
| seinem offenen Brief das gesellschaftliche Rollback in Frauenfragen von | |
| rechts außen in die Mitte der Gesellschaft getragen. | |
| Dafür haben sie im Binnen-I ein ideales Symbol gefunden – ideal, weil es | |
| ambivalent ist, weil es widersprüchliche Gefühle hervorruft. Wer steht | |
| schon voll hinter dem Binnen-I als solches? Oder hinter */_? Natürlich | |
| tragen die Zeichen, mit denen sich das andere Geschlecht mitten ins Wort | |
| drängt, nicht zur Verschönerung der Sprache bei. Zudem sind die Zeichen der | |
| weiblichen Sichtbarkeit nur teilweise auch hörbar. Ja, man kann durchaus | |
| gegen das Binnen-I als eine unzulängliche Form sein. Aber es geht den | |
| Frauenstürmern nicht darum, andere, bessere Formen für die weibliche | |
| Teilhabe, für die weibliche Präsenz in der Sprache zu finden. Es geht ihnen | |
| vielmehr, wie sie explizit schreiben, um die „Rückkehr zur sprachlichen | |
| Normalität“. | |
| ## Willkürliche „Normalität“ | |
| Dass man heute noch so unbefangen von Normalität sprechen kann! Und es sind | |
| Linguisten, Germanisten und Hochschullehrer, die dieses Wort von der | |
| sprachlichen Normalität so unbefangen in den Mund nehmen. Haben ihnen | |
| Jahrzehnte von kulturwissenschaftlichen, postkolonialen und feministischen | |
| Studien nicht nahe gebracht, was es mit solcher Normalität auf sich hat? | |
| Haben wir nicht alle gelernt, dass deren scheinbare Neutralität nur ein | |
| Deckmantel für Dominanz ist? Und dass dieser Normalität keine „Echtheit“ | |
| zugrundeliegt, sondern vielmehr geronnene Willkür? Ist nicht gerade in | |
| einer Demokratie Normalität – also das, was als selbstverständlich gilt – | |
| etwas, das umkämpft, etwas, das ständig neu verhandelt und umgeschrieben | |
| wird? | |
| Da man den Autoren und Unterzeichnern des offenen Briefes solche Naivität | |
| nicht unterstellen möchte, muss man ihre Wortwahl, ihre Rede von der | |
| sprachlichen Normalität, als das nehmen, was sie ist: ein Schlachtruf der | |
| „Angry White Men“. | |
| Diese Normalität ist eben der Punkt, der die verschiedenen | |
| gesellschaftlichen Kräfte verbindet, der sie zu einer Kette macht: Es ist | |
| der Kampf der „weißen männlichen Heten“ (René Pollesch) um ihre Hegemoni… | |
| Um diese kämpft man aber erst, wenn sie bedroht ist. Immerhin. | |
| 22 Jul 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Isolde Charim | |
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