| # taz.de -- Die Wahrheit: Hotspot Hilgatshofen | |
| > Die Milch und die Mafia machen's: Im Allgäu schnuppert die organisierte | |
| > Kriminalität Landluft. | |
| Bild: Nicht nur der Schatten der Mafia hängt über diesem Allgäu-Idyll. | |
| Milchhandlung Hügle in Hilgatshofen. Wer vor dem unscheinbaren | |
| 50er-Jahre-Bau mit der leicht angeschlagenen Eternitfassade steht, der | |
| glaubt kaum, dass hinter dem Schaufenster mit der Topfpflanze und dem | |
| antiken Schild „Milch macht müde Männer munter“ tatsächlich der Verkauf … | |
| Allgäuer Milchprodukten vonstatten gehen könnte. | |
| Um das Geschäft herum wurde nämlich ein zwei Meter hoher Maschendrahtzaun | |
| mit Stacheldrahtverhau gezogen, der Eingang zum Laden ist mit voluminösen | |
| Betonpollern verbaut, die auch einen Panzer aufhalten würden. Hat man dann | |
| noch die strenge Gesichtskontrolle von Hubert „Hubsi“ Gemmlinger passiert, | |
| der tagaus, tagein die Eingangstür bewacht, und betritt den Laden, umfängt | |
| einen sofort der betörende Duft von Emmentaler und würzigem Bergkäse. Die | |
| Milchhandlung Hügle lebt – aber um welchen Preis? | |
| Wer hierherkommt, muss einige Unannehmlichkeiten auf sich nehmen. Doch die | |
| Leidensbereitschaft der Kunden, die sich bis zu Martha Hügles | |
| Verkaufstresen durchgekämpft haben, wird reichlich belohnt. Milch, Quark, | |
| Butter und Käse sind von einer Güte, die auch im milchverwöhnten Allgäu | |
| ihresgleichen sucht. Fragt man die Chefin aber arglos nach den | |
| ungewöhnlichen Sicherheitsmaßnahmen rund um ihr Geschäft, verengen sich | |
| ihre Augen unmerklich, bekommt ihr Blick einen stählernen Ausdruck. „Kommet | |
| Sie vom Salvatore? Mir gebbet nix!“ | |
| ## | |
| Nachdem dieser Verdacht glaubhaft ausgeräumt worden ist, wird Martha Hügle | |
| etwas umgänglicher. Wie sich herausstellt, ist Salvatore B. (Name der | |
| Redaktion bekannt) der örtliche Schutzgeldeintreiber der Mafia, der | |
| mittlerweile bei allen Geschäftsbeziehungen in diesem idyllischen | |
| Landstrich die Hand aufhält. Wurden zunächst nur einzelne Pizzerien Opfer | |
| dieses skandalösen Geschäftsgebarens, so ist heutzutage das gesamte | |
| Wirtschaftsleben der Region von mafiösen Strukturen durchsetzt. | |
| Keine Autoreparatur im Landkreis ohne obskure „Zusatzgebühr“, keine Frisur | |
| im Salon Erika ohne unerklärlichen „Erschwernisaufschlag“, von den absurd | |
| überhöhten Preisen für das schauderhafte Fast Food in Tanja Eberleins | |
| „Truck Stop“ ganz zu schweigen. Bei Martha Hügle aber beißt auch ein | |
| eiskalter Profi wie Salvatore B. auf Granit. | |
| Und mit ihren umfangreichen privaten Sicherheitsmaßnahmen hat sie sich | |
| bislang ganz gut gegen die dreisten Forderungen des Allgäu-Paten schützen | |
| können. Hubsi Gemmlinger weiß da natürlich einiges zu berichten: „Beim | |
| ersten Besuch war der Salvatore noch ganz freundlich. Er hat nur | |
| geplaudert, von seiner Familie in Süditalien erzählt und ein bisschen Käse | |
| gekauft. Eine Woche später kam er wieder und schlug uns vor, wir sollten | |
| die Preise erhöhen. Wir seien viel zu billig, hat er gesagt. Wenn wir | |
| bereit wären, eine gewisse Pauschale an ihn abzuführen, könnte er uns bei | |
| der Preisgestaltung ’unterstützen‘. Als Frau Hügle das ablehnte, wurde | |
| Salvatore auf einmal pampig. Aber da kennt er unsere Chefin schlecht.“ An | |
| der legendären Sturschädeligkeit von Frau Hügle haben sich nach Hubsis | |
| Bericht in der näheren und ferneren Vergangenheit nämlich schon ganz andere | |
| Kaliber die Zähne ausgebissen. | |
| ## | |
| Salvatore B. also stieß sizilianische Verwünschungen aus und verließ | |
| wutschnaubend das Geschäftslokal. Am nächsten Morgen dann die böse | |
| Überraschung: Vor der Ladentür der Milchhandlung Hügle lag eine tote Ziege | |
| – und die war ganz sicher nicht als Anregung gedacht, mehr Ziegenkäse zu | |
| verkaufen. Doch Martha Hügle ließ sich auch von dieser plumpen Drohung | |
| nicht einschüchtern. | |
| Sie sann auf Rache und ließ eine 5-Kilo-Lieferung Romadur der Vollfettstufe | |
| ohne Kühlung nachreifen, bis sie die gewünschte Duftintensität erreicht | |
| hatte. Den infernalisch stinkenden Rotschmierkäse massierte Hubsi | |
| Gemmlinger dann großflächig in die beige ledernen Sitzbezüge von Salvatores | |
| Alfa-Romeo-Cabrio und deponierte sicherheitshalber noch ein Stück im | |
| Heizungsgebläse des Wagens. | |
| Jetzt herrscht Ruhe im Karton. Salvatore B. macht seitdem einen sehr großen | |
| Bogen um den Hügle’schen Laden. Und die Ziege? Die ließ Martha Hügle | |
| präparieren. Das schöne Tier ziert nun den Verkaufsraum ihrer | |
| Milchhandlung. Neben der Ziege hat der örtliche Taxidermist ein leeres | |
| Podest angeliefert, das die resolute Hügle schon einmal vorsorglich | |
| bestellt hat. Ein Messingschildchen verrät, welches Präparat es einmal | |
| tragen soll: "Salvatore G." steht dort in Schönschrift eingraviert. | |
| 8 Aug 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Rüdiger Kind | |
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