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# taz.de -- Leben in Donezk: Eine Stadt liegt im Koma
> Dei meisten Geschäfte in Donezk sind geschlossen. Geld gibt es auch
> keines mehr. Nachts versuchen die Menschen, den Flug der Granaten zu
> erahnen.
Bild: Zerstörtes Gebäude in Donezk.
DONEZK taz | Ein Einkauf ist in diesen Tagen in Donezk schnell erledigt. In
einem der beliebtesten Supermärkte ist die Hälfte der Regale leer. Nur noch
zehn Packungen Tee liegen irgendwo in einer Ecke. Das Angebot beim Gemüse
besteht einzig aus Kartoffeln. Nur beim Brot gibt es überhaupt noch eine
Auswahl. „Schließen Sie?“, fragt eine Kundin an der Kasse. „Nein, wie
kommen Sie darauf?“, entgegnet die Verkäuferin. „Die Regale sind leer …�…
sagt die Kundin. „Wo sind sie heutzutage nicht leer?“, erwidert die
Verkäuferin.
Der stellvertretende Bürgermeister von Donezk, Konstantin Sawinow, geht
davon aus, dass 600.000 Menschen in der Stadt geblieben sind. Es waren
einmal mehr als eine Million. Läuft man allerdings über die Straßen, die zu
jeder Tageszeiten wie ausgestorben wirken, erscheinen die Angaben Sawinows
optimistisch. Die Einwohner, die geblieben sind, verlassen das Haus nur,
wenn es unbedingt nötig ist.
Aus Donezk, einer lebendigen Metropole, ist eine Stadt geworden, in der die
Menschen nur noch versuchen zu überleben. Apotheken arbeiten mit
Unterbrechungen, Geschäfte genauso. Alle warten nur darauf, dass der Krieg
zwischen der ukrainischen Armee und den prorussischen Separatisten zu Ende
geht. Das alles mutet absurd an, im 21. Jahrhundert, in Europa.
Natalija ist Managerin in einem ukrainischen Unternehmen. „Unsere Chefs
haben uns erlaubt, nicht zur Arbeit zu kommen, wenn wir uns rechtzeitig
abmelden. Wir verlieren unseren Job deswegen nicht. Unsere Vorgesetzten
wissen doch, dass die Stadt umkämpft ist und ein Menschenleben wichtiger
als ein Arbeitsplatz ist“, sagt sie. Natalija arbeitet seit einem Monat von
zu Hause. Ins Büro kommt sie nur selten, ihre Kollegen machen das genauso.
Die Mehrheit der Firmen hat ihre Büros und Filialen in Donezk geschlossen.
Irina, die aus Donezk stammt, lebt jetzt in Uschgorod in der Westukraine.
„Unser ganzes Büro wurde nach Uschgorod umgesiedelt. Man hat uns
vorgeschlagen, mitzukommen bis bessere Zeiten anbrechen. Das machen jetzt
viele so.“
## Schulen und Universitäten geschlossen
In Donezk arbeiten nur noch die notwendigsten Einrichtungen wie
Supermärkte, Krankenhäuser, kommunale Dienstleister und Rettungsdienste.
Die Schüler haben Ferien. Der ukrainische Bildungsminister Sergej Kwita hat
angekündigt, dass das neue Schuljahr mit mindestens einem Monat Verspätung
beginnen könnte.
Traditionell starten Schuljahr und Wintersemester am 1. September. An den
Universitäten konnten sich Studenten bisher nicht einschreiben.
Abiturienten wird empfohlen, sich bei Universitäten anderer Regionen zu
bewerben oder einen Monat oder länger zu warten, bis die Einschreibung im
Herbst beginnen kann. Sollte der Krieg bis dahin nicht vorbei sein, könnte
sich die Immatrikulation bis zum Winter hinziehen.
Statt der Studenten leben jetzt Separatisten in den Wohnheimen. „Sie kamen
mitten in der Nacht und befahlen uns, schnell unsere Sachen zu packen,
damit sie hier einziehen können. Wir hatten keine Wahl, sie waren
bewaffnet. Wenigstens waren wir noch vor Ort. Andere, die nicht im Wohnheim
waren, haben ihre Sachen nicht wiederbekommen“, erzählt der Student Andrej.
## Keine Ahnung, wer schießt
Jede Nacht hören Tausende Menschen konzentriert auf die Geräuschen da
draußen. Sie können sie mittlerweile ziemlich gut unterscheiden. Ob es sich
um einen Raketenabschuss oder einen Einschlag handelt, in welcher
Entfernung die Explosion stattfand, wie stark der Einschlag war, ob er von
einem Granat- oder einem Raketenwerfer verursachte wurde. Und in welchen
Stadtviertel das alles geschah. Die Angriffe enden meist am frühen Morgen.
Erst dann fallen die Menschen in einen kurzen Schlaf, um wenige Stunden
später aus den Nachrichten zu erfahren, ob es in der Nacht Opfer gegeben
hat. Die gibt es leider immer.
In dieser Woche wurden zwei Krankenhäuser im Stadtzentrum beschossen. Dabei
starben zwei Menschen, fünf wurden verletzt. Unter den Toten war ein Kind.
Während der Angriffe ist es unmöglich herauszufinden, wer geschossen hat.
Es kursieren Gerüchte, dass die Separatisten in der Stadt Panik schüren
wollen und den Beschuss von Donezk so imitieren, als seien das Einheiten
der Armee gewesen.
Die anderen Krankenhäuser sind noch in Betrieb. Die Keller dort sind schon
lange vorbereitet, um Patienten verstecken zu können. Eine der größten
Kliniken wird von den Separatisten kontrolliert. Dort sind die Ärzte
gezwungen, unter vorgehaltener Waffe zu arbeiten. Notarztwagen werden
entwendet. Darin sitzen dann keine Sanitäter, sondern Uniformierte.
Irina, Krankenschwester in einer Entzugsklinik, weiß nicht, ob sie nach
Hause gehen oder an ihrem Arbeitsplatz bleiben soll. „Hier ganz in der Nähe
schlagen Granaten ein. Aber ich kann doch nicht die Kranken zurücklassen,
denn die können nirgendwo hinlaufen“, sagt sie.
## Kein Geld, kein Angebot
Weil die Situation so instabil ist, bekommen viele Menschen ihre Löhne
nicht. Obwohl die Verwaltung alles versucht, Angestellten und Rentnern ihre
Gehälter und Pensionen auszuzahlen, schafft sie auch das nicht
fristgerecht. Geld an einem Automaten abzuheben ist fast nicht mehr
möglich. Da, wo es noch funktioniert, stehen lange Schlangen.
Aber wo sollte man das Geld auch ausgeben? Schon lange geht niemand mehr in
der Stadt spazieren, ins Kino oder ins Theater. Die sind geschlossen –
einige davon wurden von den Separatisten geplündert. Fenster, die von
Granatsplittern zerstört wurden, sind mit Kreuzen aus Papier verklebt – wie
im Zweiten Weltkrieg. Cafés und Bars machen früh zu. Aber ausgehen und
irgendwo zu Abend essen will jetzt ohnehin niemand.
(Aus dem Russischen Ljuba Naminova und Barbara Oertel)
8 Aug 2014
## AUTOREN
Valerija Dubova
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Donezk
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