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# taz.de -- Wahlkampf in Thüringen: Die Zaudernde
> Die Bilanz von CDU-Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht ist mager.
> Doch sie tritt am 14. September erneut zur Wahl an. Warum tut sie das?
Bild: Setzt auf Sacharbeit wie die große Parteichefin, der sie sich verbunden …
ERFURT taz | Es ist einer dieser besonderen Sonnenuntergänge. Der Tag war
anstrengend, Christine Lieberknecht ist mit ihrem Tross durch Thüringen
gerast und hat gemacht, was sie machen muss: Landtagswahlkampf. Nun, gegen
zehn Uhr, versinkt die Sonne in einem sagenhaften Rot hinter den sanft
geschwungenen Hügeln. Nur noch wenige Kilometer und der gepanzerte Audi
wird vor dem Wohnhaus der Ministerpräsidentin bremsen. Es ist Freitagabend,
sie hofft, dass noch jemand wach ist. Jemand, der sich mit ihr hinsetzt in
die dunkle Wärme und ihr ein Glas Wein bringt, vielleicht ein Stück Käse.
Ihr Mann, der Sohn, dessen Frau? „Die Enkel werden schlafen“, sagt
Lieberknecht. Sie alle wohnen gemeinsam auf dem Grundstück am Weingarten.
Christine Lieberknecht liebt ihre Familie. Man hört diese Liebe in ihrer
immer leiser, immer weicher werdenden Stimme. Aber Christine Lieberknecht
mag auch, was sie tut: Sie ist Ministerpräsidentin des Freistaates
Thüringen.
Am 14. September sind hier Wahlen. Wenn Lieberknechts CDU die vergeigt,
könnte dieses Datum das Ende der CDU-Herrschaft in Thüringen markieren.
Eine Zeitenwende nach 24 Jahren. Denn blieben die Sozialdemokraten diesmal
standhaft gegenüber den Ministerposten-Avancen der CDU, wäre Rot-Rot
möglich. Vielleicht auch Rot-Rot-Grün. Es wäre die erste Landesregierung,
die von der Linkspartei geführt würde. Das Okay aus dem Willy-Brandt-Haus
gibt es schon. Thüringen als Experimentierfeld für die Sozis und als
Bewährungsraum für die Linke und ihren Spitzenkandidaten, den vorlauten
Bodo Ramelow.
## Von Beruf Pfarrerin
Fliegt Lieberknechts CDU diesmal also aus der Regierung, könnte die Frau
mit dem dunklen Pagenschnitt vielleicht noch einmal etwas Neues probieren,
etwas anderes als Landespolitik. Etwas Interessanteres als immer nur reden
und rennen und Schadensbegrenzung betreiben, wenn in der Staatskanzlei
wieder mal die Egos ausflippen.
Christine Lieberknecht sagt: „Ich habe noch nie ein ganz normales Leben
geführt.“ Die 56 Jahre alte Pfarrerin ist vor einem Vierteljahrhundert in
die Politik gegangen. Sie war 31 Jahre alt, als der politische Umbruch sie
zur Berufspolitikerin machte. Plötzlich war sie, die Ottmannsdorfer
Pfarrerin mit den zwei Kindern, Kultusministerin. Ab da ging es einfach
immer weiter.
Vor fünf Jahren schließlich wurde sie Ministerpräsidentin. Damals hat sie
die CDU aus einer schweren Krise gerettet, ihr Vorgänger Dieter Althaus
hatte die Brocken hingeschmissen. Bei einem von ihm verursachten Skiunfall
war im Januar 2009 eine Frau tödlich verunglückt, Althaus verlor hernach
den Tritt und seine CDU bei der Landtagswahl 12 Prozent der Wählerstimmen.
Lieberknecht erkannte in dieser Krise ihre Chance und ergriff die Macht.
Sie wurde, wie es ihr Biograf Martin Debes formuliert, „von der Mitläuferin
zur Ministerpräsidentin“.
## Etwas Eigenes mache - vielleicht
Mehr denn je war Lieberknecht ab da eine öffentliche Person: eine
Landesmutter. Aber nun, nach fünf Jahren Staatskanzlei, nach fünfundzwanzig
Jahren Politik, könnte sich Christine Lieberknecht auch noch etwas anderes
vorstellen, als sich jeden Morgen von Ramsla nach Erfurt fahren zu lassen.
Etwas Größeres, vielleicht in der Bundespolitik. Oder etwas Kleineres. Eine
Professur. Ein hohes Parteiamt. Etwas Eigenes.
„Politik ist mein Leben im Moment. Aber sie ist nicht das Bestimmende“,
antwortet Lieberknecht auf die Frage nach ihren Plänen. Pause. „Politik ist
nicht der Sinn allen Lebens.“ Es sind die bemerkenswerten Sätze einer Frau,
die in Thüringen überall von den Wahlplakaten lächelt.
## Fächer statt Aschenbecher
Es ist neun Uhr morgens, die Stimme der „MP“, der Ministerpräsidentin, ist
noch ganz frisch und laut. Aus den Fenstern ihres Büros in der
Staatskanzlei geht der Blick hinaus zum Hirschgarten, im Café Bauer stellt
der Kellner die Stühle raus. Christine Lieberknecht trägt einen leichten
Sommeranzug, überm dunklen T-Shirt eine dezente Kette. Praktischer
Merkel-Style für den langen Wahlkampftag.
In der Glasvitrine neben ihrer Bürotür steht wie ein Mahnmal der klobige
Aschenbecher ihres Vorvorgängers Bernhard Vogel. Der Westimport aus
Rheinland-Pfalz war bis 2003 CDU-Ministerpräsident. Vogel regierte das Land
wie ein kleiner König. Förderte Günstlinge, strafte Kritiker, schmähte die
Opposition, verachtete die Presse und redete den Thüringern ein, ohne die
Teilung und die Kommunisten wären sie heute so stark wie Baden-Württemberg.
Es hat funktioniert. Schon sechsmal hat die CDU die Regierung geführt.
Diesmal, beim siebenten Versuch, könnte ein Roter in das schön gelegene
MP-Büro einziehen.
Christine Lieberknecht, die Protestantin ohne Macker-Attitüde, müsste dann
gehen. Sie sagt: „Ich bin die Letzte, die sich um mich Sorgen macht.“
Wenn sie verliert, wird Vogels Aschenbecher vielleicht endlich hinaus in
den Flur wandern. Dort liegt in Vitrinen, was Ministerpräsidenten bei
offiziellen Besuchen so überreicht bekommen. Vogel und Althaus erhielten
Dolche und Terrakotta-Krieger. Frau Lieberknecht werden Handtaschen, Fächer
und Halsketten zugeeignet. Für Bodo Ramelow gäbe es vermutlich wieder ein
chinesisches Kampfschwert.
## Botschaften an die Sozis
In ihrem Büro sinniert Christine Lieberknecht über ihre politischen
Möglichkeiten nach dem 14. September. Was vielleicht ginge, wäre
Schwarz-Grün, „eine Option, aber eine schwierige“. Am liebsten würde sie
erneut mit der SPD regieren. Gemeinsam habe man, sagt Lieberknecht, 90
Prozent der Vorhaben abgearbeitet. Im Übrigen sei die Chemie zwischen den
Koalitionären „besser, als man das vielleicht von außen wahrnimmt“. Jeder
Satz eine Botschaft an die Sozis: Wollen wir es noch mal versuchen?
Entsprechend hoch handelt die SPD-Spitzenkandidatin Heike Taubert den
Preis. Sie blinkt Richtung Linkspartei, behauptet aber, selbst die künftige
Ministerpräsidentin werden zu wollen. In den Umfragen liegt ihre SPD bei
mageren 18 Prozent.
Lieberknechts ernsthafter politischer Konkurrent verfolgt eine andere
Strategie. Bodo Ramelow, dessen Tonlage im Wahlkampf 2009 schon mal sehr
rauh werden konnte, inszeniert sich diesmal als moderater Sachpolitiker. Er
will der CDU die Staatskanzlei abjagen, da schaden flapsige Bemerkungen
nur. Über Lieberknecht verliert er kein böses Wort. Die beiden duzen
einander. „Das ist kein taktisches Du“, betont er, „auch jetzt im Wahlkam…
genießt sie meine menschliche Anerkennung.“ Aber er sagt auch, dass er bei
ihr eine innere Blockade gegenüber dem Posten als Ministerpräsidentin
erkenne. „Man spürt ihr an: Es gefällt ihr nicht.“
## Kompromisse und Intrigen
Er muss das sagen. Er will ihr Amt. Aber in diesem Punkt hat Ramelow
womöglich recht. Christine Lieberknecht ist nicht gelungen, was sie sich
vorgenommen hatte: einen neuen, einen anderen Politikstil einzuführen. Mehr
Vertrauen, mehr Miteinander, weniger Intrige. Am Ende hat sie Kompromiss um
Kompromiss schließen müssen, weil die unterlegenen Sozis 2009 die Hälfte
der Ministerposten bekommen haben. Die dringend notwendige
Gemeindegebietsreform steckt fest. Der Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs
kam quasi zum Erliegen. Und in der Bildungspolitik mussten erst die Grünen
die Gleichbehandlung freier Schulen einklagen. In der Staatskanzlei kamen
und gingen die Minister und Sprecher. Reihenweise personelle
Fehlentscheidungen mit teilweise enormen Folgekosten. Und stets blieb der
Hautgout des Unvermögens an ihr kleben, der MP.
Sie beurteilt das natürlich anders. Sie sagt, ihre Währung sei
Authentizität, es gäbe vorzeigbare Ergebnisse, die am Wahltag honoriert
würden. Und Klüngeln, das sei nichts für sie. „Anfangs habe ich noch
gedacht, ich muss mitmachen, was die Männer machen. Aber nicht sehr lange.
Ich muss nicht bis nachts um drei an der Bar stehen.“
## Die Sacharbeiterin
Das klingt sehr nach einer anderen CDU-Politikerin. Angela Merkel wurde
2005 hauchdünn Kanzlerin. Sie machte sich nicht anheischig bei den Jungs
und setzte ebenfalls auf Sacharbeit. Gegner räumte sie kühl aus dem Weg.
Heute ist sie die unangefochtene Parteichefin und Kanzlerin der
Bundesrepublik.
Merkel und Lieberknecht mögen einander. „Uns verbindet ja auch einiges“,
sagt die MP, „wir sind Pfarrerskinder, wir waren aber auch in der FDJ.“ Sie
zückt ihr Handy, ruft wie zum Beweis Merkels Mobilfunknummer auf und steckt
es dann schnell wieder weg.
Es gibt noch eine weitere Verbindung. Merkels Bundes-CDU war schwer
erschüttert, als sie 2000 den Laden übernahm – nach der Spendenaffäre
klaffte eine riesige personelle und identitäre Lücke. Ähnlich war es bei
Lieberknecht, als sie 2009 in Thüringen in die Bresche sprang. „Ich wollte
nicht schuld daran sein, keine Lösung zu haben“, erinnert sie sich an diese
Zeit. Eine dünne Motivlage für ein derart mächtiges Amt.
## Keine Versprechungen
Gerade mal zwei Minister aus Althaus’ Kabinett hat sie 2009 übernommen. Ein
Neuanfang sollte es sein, ein Zeichen, auch an die Wähler. Genützt hat es
ihr wenig. Ihr fehlten die Netzwerke; die neuen, die sie knüpfte, wurden
schnell löchrig. In ihrer Fraktion lauerten sie darauf, dass sie Fehler
machte. Und wenn ihre Ministerpräsidentin welche machte, hüllten sich die
meisten Parteifreunde in ostentatives Schweigen.
Fünf Jahre sind nun um. Christine Lieberknecht hat viel Zeit bekommen, um
zu zeigen, was sie politisch bewegen kann. Jetzt, im Wahlkampf, eilt sie
durch Thüringen und erklärt den Leuten, warum sie wieder ihr Kreuz bei der
CDU machen sollen. Mit ihrer rollenden Roadshow „Lieberknecht direkt“
taucht sie in Städtchen wie Kahla, Örtchen wie Triptis oder Gefell auf und
versucht, Nähe herzustellen. Sie isst Thüringer Bratwurst, bekommt
Wurstkörbe und Blumengebinde überreicht und lächelt in Handykameras. Sie
hört aufmerksam zu, verspricht aber nichts. Wie auch? Ernst wird es erst
nach dem 14. September.
Was antwortet Christine Lieberknecht auf die Frage nach ihrem inneren
Antrieb? „Ich wollte schon immer etwas mit Menschen machen, Politik ist
Arbeit mit Menschen.“ Dann: „Ich kann auch mit anderen Leuten was machen.“
Und dass ihre Enkelkinder darauf warten, Märchen vorgelesen zu bekommen.
12 Aug 2014
## AUTOREN
Anja Maier
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