# taz.de -- Jesiden in Norddeutschland: Eine Gemeinschaft im Übergang | |
> Tradition, Bildung, Frauenrechte – in der jesidischen Gemeinde treffen | |
> Vergangenheit und Gegenwart aufeinander. | |
Bild: Ohne Frauen: Oldenburger Jesiden beraten, wie sie ihren Landsleuten im Ir… | |
HAMBURG taz | „Jetzt merken wir, warum die Jesiden immer so an der | |
Gemeinschaft festgehalten haben“, sagt Düzen Tekkal. „Es ist ein | |
Schutzmechanismus.“ Tekkal ist Journalistin, sie arbeitet für Spiegel TV | |
und RTL. Sie ist weit davon entfernt, die Dinge schönzureden. Die Dinge: | |
das sind die Konflikte der Jesiden untereinander. Das Aufbegehren der | |
Frauen gegen die Vormacht der Männer, das Ungenügen, das die Jungen | |
empfinden, weil ihnen die Alten so wenig über die eigene Religion sagen | |
können. | |
Der Zusammenprall einer Welt von vor 500 Jahren mit der gegenwärtigen, so | |
sagt es Jan Ihlan Kezilhan, der Psychologe ist und | |
ethnologisch-psychologische Studien zu den Jesiden veröffentlicht. Er hat | |
ein Kinderbuch geschrieben, das erklären soll, woran die Jesiden glauben. | |
Und in Prozessen wegen eines sogenannten Ehrenmordes hat er den jesidischen | |
Täter begutachtet. | |
Tekkal und Kezilhan sind selbst Jesiden. Man kann daraus schlussfolgern, | |
dass sie befangen sind, wenn sie über diese Gemeinschaft sprechen. Man kann | |
es aber auch so deuten, dass sie nicht nur einen Außenblick darauf werfen. | |
Es ist interessant, wie ähnlich der Ton ist, in dem sie und zwei weitere | |
junge Frauen über die Konfliktfelder innerhalb der Jesiden sprechen: | |
Niemand verneint, dass es „schwarze Schafe“ gibt, so sagt es die Studentin | |
Berivan Demir (Name geändert) von der jesidischen Hochschulgruppe in | |
Bremen, dass es Zwangsheiraten gibt und auch Morde an jungen Frauen, die | |
ihr Leben selbstbestimmt führen wollten. Aber alle sind sich sicher, dass | |
das Ausnahmen sind und dass die jesidische Gemeinschaft im Umbruch ist: von | |
einer, deren Überlebensstrategie Abkapselung ist, hin zu einer, der der | |
Spagat zwischen Innen und Außen immer mehr gelingt. | |
Nach außen, an die Öffentlichkeit, dringt weniger das Ringen um eine | |
religiöse Identität als die Frage, wie es den Jesidinnen geht. Es gibt eine | |
Studie aus dem Jahr 2011, die das Bundesfamilienministerium zu | |
Zwangsverheiratungen in Deutschland in Auftrag gegeben hat. Demnach ist der | |
Anteil von Jesidinnen, die aus Angst vor einer erzwungenen Ehe | |
Beratungsstellen aufsuchen, um ein Vielfaches höher als ihr Anteil an der | |
eingewanderten Bevölkerung. | |
Das kann man als Hinweis darauf sehen, dass das Problem innerhalb der | |
Jesiden besonders groß ist, zumal bei ihnen sowohl Mutter als auch Vater | |
Jeside sein müssen, damit das Kind als zur Gemeinschaft zugehörig gilt. Man | |
kann aber auch, das ist die Schwierigkeit der Statistik, darin einen | |
Hinweis sehen, dass Jesidinnen sich in dieser Zwangssituation eher Hilfe | |
holen als zum Beispiel muslimische Frauen. | |
## Frauen auf der Überholspur | |
Die Journalistin Düzen Tekkal sagt: „Ich habe mir Gehör verschafft“ – u… | |
studiert. Inzwischen ist die Familie stolz auf sie. „Du bist für mich wie | |
ein Sohn“, so formulierte der Vater sein zwiespältiges Lob. Und die Onkel | |
laden sie ein, mit ihnen über Politik zu diskutieren. Tekkal glaubt, dass | |
die jesidischen jungen Frauen inzwischen auf der Überholspur sind, dass sie | |
mit ihrem Bildungsehrgeiz perfekt zum deutschen Leistungsideal passen. | |
Auch für Jan Ihlan Kezilhan sind die Jesiden in Bewegung: Einen | |
„erheblichen Generationenkonflikt“ sieht er zwischen der ersten Generation, | |
die im Geist das Dorf ihrer Herkunft nicht verlassen habe, und der dritten, | |
die, in Deutschland aufgewachsen, die alten Regeln in Frage stelle. Die | |
sind, das macht Kezilhan sehr deutlich, oft nicht im eigentlichen Sinne | |
religiös, sondern kulturell begründet. | |
Das Jesidentum sieht keineswegs die Unterordnung der Frau vor. Gerade | |
jetzt, so beschreibt es Kezilhan, stießen in der jesidischen Community in | |
Deutschland Tradition und Moderne heftig aufeinander, wenn Jesiden aus | |
ehemaligen Sowjetrepubliken und der Türkei auf die deutlich konservativeren | |
aus dem Irak träfen. Und doch ist er überzeugt, dass sich nach einer | |
„Übergangsphase“ von etwa 15 Jahren die freiheitlichere, jüngere Fraktion | |
durchgesetzt haben wird. | |
## Fragen der Jungen | |
Die Linien dieser Entwicklung sind oft feiner als die von Frau gegen Mann | |
und Jung gegen Alt. Die älteren Frauen in ihrer Gemeinde in | |
Osterholz-Scharmbeck hätten großes Interesse an Computerkursen, sagt Hülya | |
Cengiz, die dort Referentin für Frauen- und Mädchenfragen ist. Weniger, um | |
sich von ihren Ehemännern zu emanzipieren, als um nicht länger bei allen | |
Amtsfragen von ihren Kindern abhängig zu sein. Die Jungen wüchsen hier | |
freiheitlicher auf, meint Cengiz, sie fürchteten nicht wie die Alten, dass | |
es um Assimilation statt um Integration ginge. | |
Diese Jungen rücken den Alten mit ihren Fragen auf die Pelle, so klingt es | |
in den Gesprächen – aber natürlich ist das ein Ausschnitt, sind es | |
diejenigen, die sich mit dem Bestehenden ohnehin nicht zufriedengeben. Es | |
gibt ein großes Interesse an den religiösen Grundlagen, über die unter den | |
Jesiden, von denen viele ohne Schulbildung waren, wenig bekannt war. Junge | |
Frauen wie Berivan Demir übersetzen Gebete aus dem Kurdischen ins Deutsche. | |
Sie kritisieren die bestehenden jesidischen Verbände – „Egospiele zwischen | |
älteren Männern“ – und setzen auf die Jüngeren. Die sollen | |
Aufklärungsarbeit leisten. | |
Mehr zu den Jesiden in Norddeutschland gibt es in der gedruckten | |
Wochenendausgabe der taz oder am [1][E-Kiosk]. | |
17 Aug 2014 | |
## LINKS | |
[1] /e-Paper/!p4350/ | |
## AUTOREN | |
Friederike Gräff | |
## TAGS | |
Jesiden | |
Community | |
Jesiden | |
Asylrecht | |
Flüchtlinge | |
Irak | |
Jesiden | |
Jesiden | |
Irak | |
Jesiden | |
Irak | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Jesiden in Deutschland: Das Trauma der Vorfahren | |
100.000 Jesiden leben in Deutschland. Auf den IS-Terror „war niemand | |
vorbereitet“, sagt Yunus Cengiz. Ein Besuch in einer jesidischen Gemeinde. | |
IS-Terror im Irak und Asylrecht: Jesiden müssen Schutz einklagen | |
Deutschland will zwar den Kurden im Irak Waffen liefern. Doch jesidischen | |
Flüchtlingen wird die Asylanerkennung schwergemacht. | |
Gräueltaten der IS-Extremisten: Waren die keine von uns? | |
Musste erst der Reporter James Foley ermordet werden, damit wir die Augen | |
vor den Gräueltaten der IS-Terroristen öffnen? Opfer gab es bereits zuvor. | |
IS-Terror im Irak: Streit um Waffenlieferung geht weiter | |
Die Bundeswehr hat 36 Tonnen Hilfsgüter in den Irak gebracht. Unterdessen | |
spricht sich Joschka Fischer für Waffenlieferung an die irakischen Kurden | |
aus. | |
Jesiden und Kurden in Deutschland: Protest gegen den IS-Terror | |
Tausende haben am Samstag in Hannover demonstriert. Derweil ist ein | |
jesidischer Imbissbetreiber in Herford laut Polizeibericht erneut bedroht | |
worden. | |
Jesiden in Norddeutschland: Die zweite Heimat | |
In Norddeutschland lebt die größte Exil-Community der Jesiden. Ihre | |
Migrationsgeschichte beginnt mit dem Ruf nach Gastarbeitern. | |
Frontbesuch im Nordirak: Schwierige Stellung | |
Die kurdischen Peschmerga-Kämpfer äußern Respekt vor ihrem Gegner, der | |
Terrororganisation IS. Sie setzen auf moderne Waffen aus dem Westen. | |
Zentralrats-Vorsitzender Telim Tolan über die Situation der Jesiden: „Es ist… | |
Telim Tolan aus Oldenburg telefoniert jeden Tag mit Jesiden in den | |
umkämpften Gebieten des Nordirak. An eine diplomatische Lösung glaubt er | |
nicht mehr. | |
Jesiden flüchten vor IS-Terror: Über Syrien in den Irak zurück | |
Die meisten der von der IS-Miliz bedrohten Jesiden konnten in kurdische | |
Gebiete flüchten. Freigekämpft wurde die Route von der PKK. |