# taz.de -- Der Fortsetzungsroman: Kapitel 38: Amerikanischer Kommunist gesucht | |
> Mit der Rente beginnt das Reisen für Mütterchen: Ihre Eindrücke, etwa aus | |
> den USA, hält sie in einem Notizbuch fest. Immer dabei: eine Betrachtung | |
> des Duschvorhangs. | |
Bild: „Erster guter Eindruck in N.Y.: Das Kofferkarussell.“ | |
"Nur noch drei Kapitel und noch so viel zu erzählen! Ich weiß gar nicht, | |
was ich weglassen soll.“ | |
– „Was willst du denn unbedingt noch erzählen?“ | |
– „Die Reisen! Und die Filme! Und wie sie gestorben ist! Und was für eine | |
tolle Oma sie war! Soll ich noch mal um Verlängerung bitten?“ | |
– „Nein. Jetzt ist Schluss. Du machst jetzt ein Reise-, ein Film- und ein | |
Schlusskapitel und den Rest schreibst du in den Roman. Und dass du sie sehr | |
geliebt hast, steht sowieso in jeder Zeile.“ | |
Am Freitag, den 12. Juli 1974 - also heute vor 40 Jahren, einem Monat und | |
neun Tagen - kaufte sich meine Großmutter ein Notizbüchlein. Ich habe es | |
hier vor mir liegen. Es ist zitronengelb und hat die Größe eines Iphones. | |
Die Metallringbindung an der Schmalseite ist durch Zwirnsfaden ersetzt | |
worden. „Memo Book“ steht auf dem Einband. Rechts oben in der Ecke ist eine | |
Art Blümchen, „29¢“, steht in der Mitte. Mütterchen hat mit Kugelschreib… | |
eine „I“ oben drauf geschrieben und da drunter: „erst alles in einer | |
Richtung lesen, dann alles in der anderen“. Es ist das Reisetagebuch über | |
ihre erste Auslandsreise, nachdem sie in Rente gegangen war. Ihre Reise | |
nach New York, White Plains, zu Onkel Erich. | |
Sie hat das Büchlein ergänzt und abgetippt, als sie wieder zu Hause war. 36 | |
Schreibmaschinenseiten sind dabei rausgekommen. | |
Hier der Beginn: | |
“10.7., 9-9.50 Flug nach Frankfurt, 137 Plätze, Verpflegung eine Tasse | |
Kaffee. Flughafen Frankfurt, ein Labyrinth. Langweilige Wartezeit bis | |
Abgang des großen Flugzeuges. 437 Plätze, 146 belegt. Verpflegung | |
Orangensaft, Fisch mit Bohnen, Kartoffelsalat. Nachtisch Tasse Kaffee, noch | |
mal Orangensaft, Tee, Kuchen (1 Stück warm, 1 Stück kalt).“ | |
Ähnlich ereignisreich geht es weiter. Nach der Landung: | |
„Flughafen New York, schlechter Eindruck. Jede Fluggesellschaft hat ihr | |
eigenes Gebäude, die wild verstreut im Gelände liegen. Ziemlich dürftig für | |
eine Weltstadt. Flughafen Frankfurt ist eindrucksvoller, sogar Tempelhof | |
besser.“ | |
Sie ist eine olle Meckertante, meine Großmutter! Nur eine Sache hat | |
Mütterchens Lob verdient: „Erster guter Eindruck in N.Y.: Das | |
Kofferkarussell.“ | |
Kein Wort über das Wiedersehen mit Erich, nur ein Lakonisches: „Erich, Bea | |
da.“ Bea war Erichs Frau. Sie war sechs Jahre älter als er und acht Jahre | |
älter als Mütterchen und starb 2007. Sie wurde 103 Jahre alt. | |
Mütterchen ergeht sich in Beschreibungen der Wohnungseinrichtung: „leicht | |
asiatisch verkitscht“ und dem Lob des Gästebadezimmers: „Klo, | |
Handwaschbecken, Wanne, die durch Schiebewände vom übrigen Raum getrennt | |
ist. Sehr praktisch, dadurch beim Duschen kein Nassspritzen des Raumes.“ | |
Die Duschvorhänge sollten Mütterchens Fetisch bleiben. In jedem ihrer | |
Reiseberichte in den kommenden 20 Jahren widmet sie den örtlichen | |
Patentlösungen zur Vermeidung von Spritzwasser durch Duschen stets mehrere | |
Seiten Erläuterung und Diskussion, die oft auch noch durch Bildmaterial | |
belegt werden. Manchmal glaube ich, sie hätte Ingenieurin werden sollen und | |
nicht Schauspielerin | |
„Sa. 13.7. Nachm. Fahrt nach N.-Y. Wagen in der Columbus Garage geparkt. | |
Riesengroße, unterirdische Garage mit 2 Stockwerken unter dem Haus. | |
Parkgebühr, da vor 16 Uhr geparkt, für 8 Stunden 10 Dollar! (d.h. 37,50 | |
West!)“ | |
Mütterchen bekam zu der Zeit 241 Mark 80 Rente im Monat. Ostmark natürlich. | |
Rechnet man die Parkgebühr von DM mit 1:5 in Ost-Mark um, sind das 187 Mark | |
50 für einmal Parken. Gut, wenn man reiche Freunde hat! | |
Im MoMA war sie auch. „Viel Verrücktes, aber auch viel Schönes. Picasso, | |
van Gogh, Nolde. Kein Museum, das ich unbedingt ein 2. Mal sehen müsste.“ | |
Danach Ballett. „Gute Bühnenbilder, gute Beleuchtung. Gezeigt wurden 4 | |
verschiedene Nummern. Zuerst ein klassisches Tanzstück, die zweite Nummer | |
war die beste des Abends. Inhalt: Der Teufel und sein junger Gehilfe | |
versuchen, 3 Jungfrauen in die Hölle zu locken, sehr lustig. 3. Nummer: | |
Seelenkacke, modern (die Teufelssache war auch modern, nur das erste war | |
klassisch): Ein Jüngling, aufgrund einer schlechten Jugend vereinsamt, | |
sucht Anschluss, findet aber keinen. Zum Schluss ermordet er ein Mädchen | |
und das schafft ihm die seelische Befreiung?! Recht gut inszeniert, aber | |
natürlich Mist. 4. Nummer wieder lustig.“ | |
Ich kann nicht alles erzählen, was Mütterchen aufgeschrieben hat, das würde | |
ein eigener Roman werden. | |
Am Ende ihres Reiseberichts scheint sie aber ihre Widerborstigkeit etwas | |
abgelegt zu haben. Sie resümiert: „Ich würde nicht unbedingt sagen: Ein | |
Land, in dem ich begraben sein möchte. Mit diesem Gedanken hatte ich bei | |
meinem Abflug geglaubt, zurück zu kommen. So ist es nicht. Aber N.Y. ist | |
eine Stadt, an die ich mich gewöhnen könnte. Nicht mit 62, aber mit 26. Es | |
gibt unendlich Vieles, das einen anstinkt, der Kitsch ist scheußlich, aber | |
der frische, vitale, zupackende Geist von N.Y. hat was Faszinierendes. Die | |
Menschen sind schnell (nicht eilig oder hektisch wie in Westberlin), | |
sondern konzentriert, realistisch, zupackend. Sicher auch rücksichtslos. | |
Sehr angenehm finde ich die legere Art der Menschen. Jeder läuft rum wie er | |
will und keinen interessiert‘s. Schade, dass ich keine amerikanischen | |
Kommunisten kennen gelernt habe. Ich hätte gern gewusst, wie so was auf | |
amerikanisch aussieht.“ | |
21 Aug 2014 | |
## AUTOREN | |
Lea Streisand | |
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