| # taz.de -- Die Wahrheit: Beim Schwager vorn | |
| > Was die öffentliche Personenbeförderung angeht, muss es an dieser Stelle | |
| > endlich zu einer Eloge auf den Postbus kommen. | |
| Bild: Und ab geht die Post: Walter Scheel predigt seit Jahrzehnten die Vorzüge… | |
| Seit vor einem Jahr das Monopol der Bahn auf Fernbusse gefallen ist, | |
| brummen Dutzende neuer Fuhrunternehmen durchs Land. Der Beste davon aber | |
| ist der ADAC-Postbus, und er ist der ausgesuchte Champion, wenn es darum | |
| geht, die Deutsche Bahn für immer in den Staub zu treten. Denn wo man für | |
| den ICE Frankfurt–Berlin und retour inzwischen knapp 400 Euro bezahlt, was | |
| grob der Kreditrate für einen Kleinwagen entspricht, kostet dieselbe Fahrt | |
| mit dem Postbus nicht mal ein Zehntel davon. | |
| Was für Menschen sind nun im Postbus unterwegs? Die besten natürlich! Nicht | |
| dieses verhetzte, in sündhaft hässliche Windjacken gewobene Business- und | |
| Funktionärspack der Bahnkunden, sondern kernige Gestalten. Da streift uns | |
| der Blick einer geheimnisvollen Schönen, schwarze Glutaugen funkeln durch | |
| den Schlitz ihrer Burka, und der Ehemann nebendran funkelt zünftig mit. Da | |
| wollen Thüringer Gothic-Damen nach Leipzig, sich mit Gothic-Boys paaren, | |
| und schimpfen wie die Waschweiber, wenn ihre perfekt aufgerüschten | |
| Reifröcke nicht durch den Gang passen. | |
| Da schläft ein schmächtiger junger Türke ein, bettet seinen Kopf | |
| unwillkürlich auf der Schulter eines bulligen „Freiwild“-Fans – der ihn … | |
| diesmal sanft gewähren lässt. Es herrscht ein friedliches Durcheinander, | |
| Lebenswelten verheddern sich heillos, und wo man in der Bahn aus | |
| Gepäckstücken Burgen baut, sich hinter Laptops verbarrikadiert und auch | |
| sonst rege Geschäftigkeit simuliert, um nur keinen Außeneinflüssen | |
| ausgesetzt zu sein, zwingt der Postbus zur Reflexion, und ja, auch zur | |
| Solidarität. | |
| Die Herrschaften, die die bequemen Sitze nächst der Toilette gewählt haben, | |
| warnen mit launigen Sprüchen, wenn diese gerade besetzt ist, verwickeln den | |
| Wartenden in einen amüsanten Plausch. Sie sind zu spät am Busbahnhof? Kein | |
| Problem! Bei vielen Linien wartet der Fahrer noch ein Weilchen, wenn ein | |
| Fahrgast nicht rechtzeitig kommt, ruft ihn eventuell auf dem Handy an: | |
| „Wie, Sie fahren jetzt doch mit der Mitfahrtzentrale? Na, Sie sind mir ja | |
| einer. Gute Fahrt!“ Herzlichkeit und Menschlichkeit sind erste | |
| Einstellungsvoraussetzungen für einen Postbusfahrer. | |
| ## Internet für alle | |
| Dann dieses: Im Postbus gibt es WLAN. Einfach so, ständig, eine | |
| Selbstverständlichkeit im 21. Jahrhundert. Die Bahn hingegen hat sich vor | |
| Jahren dazu entschlossen, mit dem Scientology-Ableger „Deutsche Telekom“ | |
| zusammenzuarbeiten, was bedeutet, dass man nur als operierender Thetan der | |
| achten Stufe Internet erhält, und auch dann nur zu unverschämten | |
| Konditionen. Und nicht nur das: Im Postbus gibt’s auch einen Medienserver, | |
| von dem man sich handverlesene Kino-Blockbuster, Musik und Hörbücher | |
| herunterladen kann, zusammengestellt von einem Menschen mit Geschmack, der | |
| uns unter drei Folgen Harry Potter auch den neuesten Woody Allen gemischt | |
| hat, auf dass sich unser Verstand weite und unsere Herzen größer werden. | |
| Und weht uns da nicht ein Hauch deutscher Klassik an, schmeckt’s da nicht | |
| nach einem schöneren Gestern? Goethe, Schiller, Mozart, Weyerstraß, alle | |
| fuhren sie mit der Postkutsche durchs Land, direkte Vorfahrin der | |
| Postbusse. Hei, wie das rumpelte! Fünfzehn Stunden von Berlin nach Spandau, | |
| achtzig Tage von Wien nach Bratislava – ein dröges Einerlei, unterbrochen | |
| nur durch Raubüberfälle oder weinende Kinder auf dem Rücksitz. Alternativen | |
| gab’s keine, und war vor Weimar plötzlich Krieg oder bekamen die Pferde die | |
| Franzosenpest, ging einfach nichts mehr. Genug Zeit für große Ideen! Haben | |
| wir dieser Monotonie, dieser entsetzlichen Langeweile nicht die | |
| wunderbarsten Werke der schönen Künste zu verdanken? | |
| ## Gelebter Proletkult | |
| Tritt vielleicht der Postbus auch dieses geistige Erbe an? Wer weiß, | |
| vielleicht hockt da neben uns im Schalensitz, hingelümmelt in | |
| Tortillakrümeln, ein neuer Dante, ein neuer Danton? Denken wir auch an die | |
| Romantik der amerikanischen Überlandbusse, der Greyhounds, hervorgegangen | |
| aus einem Fahrdienst für Bergleute, verewigt in zahllosen Schnulzballaden. | |
| Busfahren ist gelebter Proletkult, sogar antifaschistisch, denn Bahnzwang | |
| respektive Busverbot kamen natürlich von den Nazis, und das Erbe der Nazis | |
| ist bei der Bahn überall mit Händen zu greifen. | |
| Fahrt mit dem Postbus, Leute! Lest das gute Bordmagazin, wo Hans Zippert | |
| eine Kolumne hat und wir von den überspannten Sportlerporträts und | |
| scheußlichen Krimi-Vorabdrucken des DB-Magazins Mobil verschont bleiben. | |
| Lauscht den guten Witzen des Busfahrers, nickt ihm anerkennend zu, wenn er | |
| euch im Stau raus zum Rauchen lässt. | |
| Fühlt euch jedes Mal wie auf der Klassenfahrt, werdet noch mal 16 Jahre | |
| alt, legt euch mit dem komplett faschistoiden Junggesellenabschied aus dem | |
| Vordertaunus an und lasst euch von den übrigen Fahrgästen applaudieren, | |
| wenn ihr die besoffenen Provinztrottel niederbrüllt. Und tut all dies in | |
| dem Wissen, dass jede Fahrt mit dem Postbus eine knallharte Ohrfeige ins | |
| feiste Face von Bahnchef Grube ist! | |
| 22 Aug 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Leo Fischer | |
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