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# taz.de -- Neues Album von „Die Sterne“: Befruchtet von fremden Sounds
> Die Hamburger Band veröffentlicht mit „Flucht in die Flucht“ eine
> Auseinandersetzung mit subtilen Konflikten. Aber nicht ohne Groove.
Bild: Sie haben keinen Bock auf Bürgerliches: Christop Leich, Frank Spilker un…
Es herrscht hitzebedingte Nachmittagslethargie auf den Seitenstraßen des
Hamburger Stadtteils Altona. Nur ein handgeschriebener Wegweiser mit der
Aufschrift „Sterne“ deutet an, in welcher Richtung der Treffpunkt liegt. Er
weist den Weg zu einem kleinen, unscheinbaren Häuschen. Drinnen ist das
Studio der Sterne untergebracht. Bassist Thomas Wenzel und Gitarrist und
Sänger Frank Spilker begrüßen gut gelaunt im Hinterzimmer und bieten
Mineralwasser an.
Die Veröffentlichung ihres zehnten Albums, „Flucht in die Flucht“, steht
bevor. Wie der Titel schon vermuten lässt, geht es auf dem neuen Album um
die Themen Konflikt und Ausbrechen. Behandelt werden subtile Konflikte, die
lange im Verborgenen schlummern können, um irgendwann mit voller Wucht an
die Oberfläche zu drängen.
Der Song „Mein Sonnenschirm umspannt die Welt“ etwa beschäftigt sich mit
dem schwierigen Thema Mobbing – aber nicht mit dem nagenden Gefühl des
Selbstwertverlustes, sondern mit dem Moment, an dem der Gemobbte allen
endlich fröhlich den Stinkefinger zeigt: „Wie soll man euch Idioten das
erklären / Ich bin, was ich bin / Ich bin es gern“.
„Mir geht es um den Punkt, an dem man sagt, da mach ich nicht mehr mit“,
sagt Spilker. „Ich finde es wichtig, Nein sagen zu können. Nein zu noch
mehr Überstunden, Nein zu noch weniger Freiheiten, Nein zu Angreifern. Auch
wenn man sich damit Feinde macht.“ Wenn man nicht Nein sagen kann, dann ist
das Verrücktwerden vorprogrammiert. Das wird dann auch auf dem besten Stück
des Albums, „Innenstadt Illusionen“, beschrieben. Mit dem allseits
bekannten Satz „Bezahlbare Wohnung in den gängigen Vierteln gesucht“ hebt
Spilker an, um in immer abstraktere psychotische Äußerungen wie „Wir
strangen alle an einem Zerrn“ abzudriften.
## Lieber Großstadtneurose als Provinzterror
Das spiegelt auf ziemlich geniale Weise den Übergang vom Gefühl, dass es so
etwas wie Gentrifizierung vielleicht gibt, zur existenziellen Panik, bald
aus seiner Wohnung vertrieben zu werden, wider. Darauf angesprochen, sieht
Spilker die vielerorts beweinte und stetig fortschreitende Gentrifizierung
in den „gängigen“ Vierteln Hamburgs aber eher gelassen. Was er und seine
Freunde in den Neunzigern auf St. Pauli erlebt hätten, erlebe sein
18-jähriger Sohn nun eben auf der Elbinsel Veddel: „Das ist einfach die
nächste Generation, der nächste Stadtteil, der drankommt.“
Was wäre auch die Alternative zur „Großstadtneurose“, wie Spilker es nenn…
Ein Leben auf dem Land? Das kurze Stück „Mach mich vom Acker“ lässt
jedenfalls kein gutes Haar an Provinznestern: „Grillen und glotzen in
winzigen Butzen / Hundehalten und unterjochen / Was mach ich hier? / Was
hab ich verbrochen?“ Nur zu gut kann man sich die Atmosphäre vorstellen,
die hier besungen wird. Es ist ein großes Verdienst der Texte der Sterne,
so auch auf „Flucht in die Flucht“, immer nah an der Realität dran zu sein,
ohne dabei bloß auf humorlose Abbildungen zurückzugreifen. „Das Grundthema
von allem, was ich mache, ist eine Beschreibung von Lebenswirklichkeit –
dem, was einen umgibt“, sagt Spilker.
Vier Jahre sind vergangen seit dem letzten Sterne-Album, „24/7“, das auf
üppigen elektronischen Clubsound mit viel Schlagzeug- und Basseinsatz
setzte. Still war es um die Sterne in der Zwischenzeit aber nicht. 2012
feierten sie mit einigem Pomp ihr 20-jähriges Bandbestehen. Vergangenes
Jahr machte Spilker mit seinem Roman „Es interessiert mich nicht, aber das
kann ich nicht beweisen“, der den Ausbruch eines erfolglosen
Grafikdesigners aus der Stadt erzählt, einen Ausflug in den
Literaturbetrieb.
Nach so viel Tamtam ist man fast erleichtert, wenn die ersten Stücke von
„Flucht in die Flucht“ verklungen sind. Denn, da sind sie wieder, die
deutlichen Anklänge, die alten Sterne. Anspielungsreicher Indie-Rock trifft
auf psychedelische Popanleihen und versponnene Melodien, die „etwas
außerhalb des Realen passieren“, wie Spilker es beschreibt.
## Altern ohne Spießigwerden
Und weil die Sterne wissen, dass gute Musik am besten aus bereits
vorhandener guter Musik entsteht, haben sie sich diesmal von
Sixties-Psychedelicpop-Bands wie den Electric Prunes oder den
brasilianischen Os Mutantes inspirieren lassen. „Man fragt sich: Was machen
andere mit ihren Stücken“, erklärt Spilker. „Da bedient man sich aus einer
Art virtuellem Museum.“ Produzent Olaf Opal half später, die vielen Ideen
bei den Aufnahmen zu einem stimmigen Ganzen zusammenzufügen.
Befruchtet von fremden Sounds, verfolgten die Sterne die Idee, ihre bereits
vorhandenen Stücke zu dekonstruieren, bis nur noch die klanglichen
Rudimente stehen blieben. „Das ist wie in der Malerei“, erklärt Spilker.
„Die Hälfte kann weggelassen werden, aber die Bedeutung wird trotzdem noch
wahrgenommen.“ So bleibt etwa auf dem Mobbing-Stück „Mein Sonnenschirm
umspannt die Welt“ immer wieder das Schlagzeug aus, um bald darauf
zurückzukehren.
Verstärkung haben die Sterne für „Flucht in die Flucht“ außerdem von
Musikern der jungen Hamburger Bands Zucker, Der Bürgermeister der Nacht und
Schnipo Schranke erhalten. Zu verdanken sind ihnen vor allem die
Chorgesangsparts, die in den Songs immer wieder an prominenter Stelle
aufscheinen und ein klangliches Leitmotiv von „Flucht in die Flucht“
bilden. Nicht selten geben sie den Stücken ihr gewisses Etwas, wie beim
Titelsong: „Jaja, hier kommt das Ende / Jaja, hier kommt die Wende“
eröffnet ein Chor das Stück und tritt so in groovy Kommunikation mit
Spilkers Gesang: „Hier kommt das Ende / Wir haben alles versucht / Hier
kommt die Wende / Hier kommt die Flucht in die Flucht“, heißt es später im
Refrain.
Vom Druck, mit „Flucht in die Flucht“ ein besonderes Sahnestück hinzulegen,
haben sich die Hamburger von vornherein befreit: „Mittlerweile sind wir so
abgeklärt, dass man so etwas nicht mehr wahrnimmt“, sagt Wenzel
altersmilde. „Wir wollten ein gutes Werk machen, und das haben wir
geschafft.“
## Älterwerden ist kein Thema
Älterwerden spielt darauf thematisch keine Rolle für die Musiker. Wenn
Altern mit Spießigwerden gleichzusetzen ist, wollen die Sterne damit nichts
zu tun haben. „Oft denkt man das ja bei Bands – die toben sich ein paar
Jahre aus und kehren dann in ihre bürgerlichen Existenzen zurück“, sagt
Spilker. „Das ist für keinen von uns eine Option.“ Die Sterne von 2014
fühlen sich noch genauso wie die Sterne von 1994, minus exzessive
Ausgeherei plus Gelassenheit eines eingespielten Teams.
Damals, Mitte der Neunziger, hatten sich die Sterne als eine der
Gründerbands der „Hamburger Schule“ einen Namen gemacht und hauten mit
ihrem Hit „Was hat dich bloß so ruiniert“ einen faustdicken Gassenhauer
raus. Es folgten ausverkaufte Konzerte, Chartplatzierungen und neulich
sogar eine Tour durch China. Und dann wird Spilker doch ein bisschen
sentimental: „1994, da begannen die Majorlabels sich für uns zu
interessieren, das Musikfernsehen Viva war gerade neu … Das fühlt sich fast
schon länger an als nur 20 Jahre.“
Was ist eigentlich das Erfolgsrezept der fast schon ein Vierteljahrhundert
dauernden Bandexistenz? Wenzel ist überzeugt, dass es mit dem
unerschütterlichen „Groove-Gerüst“ seiner Bassfiguren, Frank Spilkers fun…
Gitarrenlicks und den Drumbeats von Christoph Leich zu tun haben muss. „Es
ist auffällig, dass sich die ersten drei Reihen bei jedem Konzert gleich
bei den Anfangstakten zu bewegen beginnen“, sagt er. „Sogar in China“,
setzt Spilker schmunzelnd hinzu. [1][Dort brachten die Sterne
Sprachstudenten zum Tanzen].
Spilker und Wenzel strahlen eine bestechende Gelassenheit aus, wie sie sich
an diesem heißen Sommertag in entspannter Pose auf dem Studiosofa fläzen.
Wenn sich auch alles verändert – auf das Groove-Gerüst ist Verlass. Eine
beruhigende Vorstellung.
28 Aug 2014
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## AUTOREN
Carla Baum
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