# taz.de -- „Die Sterne“ besuchen China: Big in Wuhan | |
> Der „Universal Tellerwäscher“ live aus China: Frank Spilker, Sänger der | |
> Band Die Sterne, notiert seine Eindrücke von der Asientour. | |
Bild: Ein Mann springt in den Han-Fluss in Wuhan. | |
Hinter den letzten Bergen verschlechtert sich die Sicht, und wir tauchen in | |
die Milchsuppe von Peking ein. Wir, das sind die Sterne, außer mir Thomas | |
Wenzel und Christoph Leich sowie Live-Keyboarderin Dyan und außerdem zwei | |
Verbündete: Andreas Fröhling aka Oemmes und Gregor Hennig, die die Technik | |
betreuen. Wir sind der Einladung des Goethe-Instituts Peking gerne gefolgt, | |
schon weil es bei uns konzeptbedingt schwierig ist, überhaupt mal den | |
deutschen Sprachraum zu verlassen. | |
Ja, es ist Smog, trotzdem können wir aus den Flugzeugluken einigermaßen die | |
Dimensionen der Stadt erkennen. Am auffälligsten ist dieses verdrehte | |
Quadrat des CCTV Headquarters. Wir fahren drei Stationen mit einer kleinen | |
Bahn von der Passkontrolle zur Gepäckausgabe und dann noch einmal eine | |
Viertelstunde mit einem Bus vom internationalen zum nationalen Terminal. | |
Das ist eigentlich ein eigener Flughafen, der ungefähr so groß ist wie der | |
von Wien. Angesichts der vielen Hochhäuser, die wir aus der | |
Vogelperspektive gesehen haben, stellt sich die Frage: „Leben hier | |
eigentlich wirklich nur 20 Millionen Menschen?“ Oliver Müller vom | |
Goethe-Institut, der uns in China begleiten wird, erzählt von einer | |
kürzlich durchgeführten Erhebung, nach der es auch 44 Millionen sein | |
könnten. Grundlage waren wohl angemeldete und in der Stadt benutzte Handys. | |
Weiter geht es in einem Inlandsflieger der China Southern Airlines, aber | |
erst nachdem wir anständig von Hand gefilzt worden sind. Das Flugzeug | |
landet versehentlich im Los Angeles der fünfziger Jahre, so scheint es, | |
möglicherweise sind die an der Autobahn angebrachten Billboard-Reklamen | |
aber auch die größten, die es jemals gab. Es ist schwül warm in der Nähe | |
des gelben Flusses, rechts und links am Horizont wachsen Kräne aus dunklen | |
Haufen, die man nicht genauer definieren kann. Den Rest der Landschaft | |
dominieren vor allem Hochhausneubauten. | |
Die Fahrt vom Flughafen in die Innenstadt von Wuhan, in einem klapprigen | |
Wohnmobil, dauert 55 Minuten, jedes Mal wenn man den Kopf nach rechts oder | |
links wendet und über die mit Oleander bewachsenen Fahrbahnbegrenzungen | |
hinwegschaut, sieht man eine oder mehrere Baustellen. Wir überqueren den | |
Jangtse und nun wird es richtig urban in dem Sinn, dass zwischen den neuen | |
Bauten auch ein par ältere stehen. 30 bis 40 Jahre scheint die Lebensdauer | |
einer in den achtziger Jahren schnell hochgezogenen Notunterkunft zu | |
betragen, aber neuerdings werden Nägel mit Köpfen bzw. Pagodendächern | |
gemacht, die fast immer auf den schmalen Zwanzig- bis Dreißigstöckern zu | |
finden sind. | |
Da der einheimische Fahrer sich mit all dem Neuen auch nicht so gut | |
auskennt, erreichen wir unser Hotel nur über ein paar Umwege. Es erfüllt | |
sämtliche westliche Standards der gehobenen, sagen wir Vier-Sterne-Klasse | |
und liegt direkt neben einer Einrichtung, in der Panzer und anderes | |
schweres Gerät gewartet werden. Von meinem Zimmer aus kann ich ein paar | |
schöne Fotos davon machen. Meine letzte Verpflichtung für heute (ab 16 Uhr | |
wird es dann doch schwer, nicht geschlafen zu haben): ein Interview mit | |
Windy vom lokalen Radio in Wuhan. Ich kann leider nach ungefähr sechs | |
Stunden in Asien noch kein abschließendes Urteil über den Kontinent fällen, | |
sorry, Windy. Immerhin lerne ich, dass Wuhan eigentlich aus drei Städten | |
besteht, die irgendwie zusammengewachsen sind, und darf eine Strophe | |
unseres Songs „Universal Tellerwäscher“ ins Handy singen. | |
Dann wird es Zeit für eine Zwischenmahlzeit. Meine Grundeinstellung zu | |
Essen, das in Ländern mit, ich sage mal abweichenden Hygienevorstellungen | |
am Straßenrand angeboten wird: Eine Wurmkur kann man immer noch machen! | |
Vorerst beschränke ich mich auf Dumplings (wird sehr gerne von Teenagern in | |
vollem Galopp gegessen) und einen Tintenfisch in Saté-Sauce. Beides für | |
Centbeträge zu haben. Die Mall um die Ecke ist europäischen Straßen | |
nachempfunden. Hier wird kein Klischee ausgelassen. Man schlendert vom | |
spanischen Platz in die noch unfertige deutsche Hofbräuhausecke, Höhepunkt | |
ist eine Kirchenattrappe, die, den römisch-katholischen Vorbildern ähnlich, | |
aus Kitsch gemacht ist. Sie beherbergt eine Bar. | |
Vor dem Konzert am nächsten Abend müssen wir in die Schule. Bei einem | |
Imbiss mit dem Dekan der Sprachabteilung der Universität lernen wir die | |
lokalen Gepflogenheiten kennen und dürfen mit dünnem Bier anstoßen. Er | |
entschuldigt sich unnötigerweise für die Bar in der Kirche. Über einen | |
malerisch schattigen Campus geht es dann in den Hörsaal. Die Studenten sind | |
sehr gut vorbereitet, wenn man mal davon absieht, dass sie manchmal selbst | |
nicht genau wissen, warum sie ausgerechnet Deutsch studieren. | |
Der Text unseres Songs „Big in Berlin“ war zu schwer, wegen der vielen | |
regionalen Anspielungen, aber mindestens eine Studentin hat „Was hat dich | |
bloß so ruiniert“ besser verstanden als ihr Lehrer und lässt sich auch | |
durch herausfordernde Fragen nicht beirren. Respekt. | |
## Ein Bekannter namens Mao | |
Aus verschiedenen Gründen finden nur wenige Leute aus dem Seminar zum | |
Konzert im Vox Livehouse. Es ist ein weiter Weg, außerdem wird der Campus | |
zu einer bestimmten Zeit abgesperrt. Von unseren Bekannten erscheint nur | |
Mao, der auch in einer Band spielt, mit 14 in Sachsen Deutsch gelernt hat | |
und auf jeden Fall hier studieren will. Seine Zukunftsvorstellungen sind | |
sehr realistisch. Über der Bühne hängt ein Banner. „The Voice of Youth. The | |
Voice of Freedom“. | |
Am Ende ist der Club gut gefüllt und es gibt alles, was es auch im Westen | |
gibt, wie WLAN oder Dünnbier, nach kurzer Zeit hat man vergessen, dass man | |
in China ist, so lange, bis die regional sehr spezielle Popstar-Belagerung | |
nach dem Konzert beginnt. 30 von den etwa 50 Gästen wollen ein Foto von | |
sich mit jemandem haben, der gerade auf der Bühne gestanden hat. Manchmal | |
auch Autogramme. | |
Anschließend sitzen wir in kleinen Gruppen herum. Thomas, Christoph und | |
Dyan mit unseren Gastgebern und Mao, Oemmes mit ein paar betrunkenen | |
Grafikstudenten. Sie haben Namen wie Emma und Serena. Merkwürdig. Nach | |
einem weiteren Straßensnack geht es in eine Bar, in der sich beinahe nur | |
Europäer herumtreiben. Die Chinesen essen eher beim Trinken oder umgekehrt. | |
In Xi’An, der alten Hauptstadt Chinas, sind wir am nächsten Tag in der | |
Mitte des „Reichs der Mitte“ angekommen. Ganz in der Nähe befindet sich die | |
Terracottaarmee. Die machen das richtig: Eingebuddelt sind mir Armeen immer | |
noch am liebsten. Durch einen Zufall geraten wir am Abend in eine Gegend, | |
in der die ärmeren Leute einkaufen. Nur unweit von unserem Luxushotel geht | |
es so zu, wie man sich China vor etlichen Jahren noch vorgestellt hat. Die | |
Mischung aus Wochenmarkt und Straßenrestaurant, die auch in Wuhan zu finden | |
war, ist hier noch einmal mit Armut und Gewusel getränkt. Die Leute haben | |
ihre schlafenden Kleinkinder in den Armen, weil sie auch dort wohnen | |
müssen, wo sie ihre Ware verkaufen. Kein Wunder, dass ständig neue | |
Hochhäuser gebaut werden. | |
Heute ist das Konzert direkt auf dem Campus, der aussieht, als wäre die | |
späte DDR doch noch zu etwas Geld gekommen, und die Hütte ist mit über 600 | |
Leuten äußerst voll. Das offizielle Kulturereignis verwandelt sich in ein | |
Popkonzert, als die Kader in der ersten Reihe früh gegangen sind. Leider | |
verabschiedet sich auch unser MIDI Keyboard und Dyan bekommt ein graues | |
Haar. Thomas gleicht aus. | |
Nach etwas Sightseeing fahren wir am frühen Nachmittag weiter in die | |
heutige Hauptstadt. Dass es dort heute keinen Smog gibt, ist sehr | |
ungewöhnlich, wie uns immer wieder versichert wird. Unser Hotel befindet | |
sich mitten in einem Hudon. In einem anderen Viertel dieser Art sind wir | |
später zu einer Grillparty von sogenannten Expats eingeladen. Hier erfahren | |
wir auch gleich, was ein Hudon ist: traditionelle Pekinger Lebensweise, die | |
viel mit einfachen Hütten, Nachbarschaft und der Tatsache zu tun hat, dass | |
man sich ein Klo teilen muss. Rentner huschen am frühen Abend im | |
Schlafanzug über die Straßen. | |
Die Expats sind teils komische Typen, die die Undankbarkeit der Chinesen | |
bejammern. Früher hätten sie (die Chinesen) Europa bewundert und jetzt | |
behandeln sie einen (die Expats) wie einen Ausländer, den man fragt, wann | |
er denn wieder nach Hause fahren würde. | |
Der Yu Gong Yi Shan Club, in dem wir auftreten, gehört Doro, ebenfalls eine | |
Expat mit chinesischer Familie, und ist hervorragend organisiert. Ein | |
ausverkauftes Haus vor neugierigem, aber auch kritischem Großstadtpublikum. | |
Eigentlich das Angenehmste, das man haben kann. Zum Glück spielen wir auch | |
unsere beste Show und warten seitdem auf Angebote chinesischer | |
Plattenfirmen. | |
## Namen aus einer Liste | |
Am nächsten Tag erfahren wir im Goethe-Institut, dass alle Studenten sich | |
in der ersten Deutschstunde einen Namen aus einer Liste aussuchen. Deswegen | |
heißen sie Alexandra und Serena, teilweise auch Hildemarie, was nahelegt, | |
dass a) die Studenten größtenteils weiblich sind und b) die Namensliste | |
älteren Datums ist. | |
Nach dem Besuch der (chinesischen) Mauer und zwei weiteren Erfahrungen – | |
Nummer eins: Peking ist irgendwann doch zu Ende, Nummer zwei: Christoph | |
kann auch in einer zweidimensionalen Welt verloren gehen – erreichen wir | |
Tokio. Das fühlt sich nun irgendwie westlich vertraut an, obwohl wir da | |
auch noch nie waren. | |
22 Jun 2014 | |
## AUTOREN | |
Frank Spilker | |
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China | |
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