# taz.de -- Die Wahrheit: Multae sunt causae bibendi | |
> Vielfältig sind die Gründe zu trinken. Es sei denn, eine traumatische | |
> Adoleszenzerfahrung verhindert den Konsum bestimmter Alkoholika. | |
Er konnte ja nicht wissen, dass ich ein gestörtes Verhältnis zu Martell | |
habe. Mein Freund Charlie schenkte mir neulich eine Flasche dieses | |
angeblich edlen Cognacs, doch der weckte Erinnerungen bei mir. Es waren | |
keine schönen Erinnerungen. | |
„Ich war damals 17“, erzählte ich Charlie, der sich unterdessen ein | |
Gläschen genehmigte, „und ich hatte noch nie Alkohol getrunken.“ Die | |
Abiturprüfungen standen an, Latein war für mich die größte Hürde. Als ich | |
einmal im Unterricht einen Absatz übersetzen musste, brach der Lehrer in | |
unkontrolliertes Lachen aus, bis ihm die Tränen über die Wangen liefen. | |
Dann keuchte er: „Dass man sowas aus diesem Text herauslesen kann?“ | |
Eines Tages bekamen wir einen Latein-Referendar, den wir aufgrund seiner | |
Physis „Kaktus“ nannten. Er hatte auf der Pädagogischen Hochschule gelernt, | |
dass man sich mit den Schülern gut stellen sollte, und so lud er uns für | |
einen Umtrunk in seine Wohnung ein. Es war an jenem Abend bitterkalt, und | |
Kaktus erwartete uns an der Tür mit einem Glas Martell für jeden – zum | |
Aufwärmen. Mir blieb für einen Moment der Atem weg, aber ich schluckte das | |
Zeug tapfer hinunter. Ich beschloss, den Rest des Abends Wein zu trinken. | |
Da ich nicht wusste, wie der schmeckt, merkte ich nicht, dass meine | |
Klassenkameraden anderes planten: Sie gossen mir Martell ins Weinglas. | |
„Nach einer Stunde klappte Kaktus’ Klappcouch zusammen“, sagte ich zu | |
Charlie, während er sich nachschenkte. „Das war fatal, denn mit der Couch | |
klappte auch ich zusammen.“ Zwei Schulfreunde brachten mich an die frische | |
Luft. Die Einäugigen führten den Blinden, denn die beiden waren auch nicht | |
mehr nüchtern. Wir liefen längs über einen Käfer, und damit ist nicht das | |
Insekt gemeint, sondern das Auto. Es war der Käfer eines Mitschülers, der | |
mich nach Hause fahren und ins Bett bringen musste, nachdem ich mich | |
mehrmals übergeben hatte. Kaktus lieh ihm für die Fahrt einen Eimer. | |
Als meine Eltern, die in der Kino-Spätvorstellung waren, nach Hause kamen, | |
lag ich gelbgesichtig und mit halboffenen Augen im Bett. Der Krankenwagen | |
kam, und kurz darauf auch die Polizei, die meine vollgekotzte Kleidung | |
beschlagnahmte, weil sich die Beamten nicht vorstellen konnten, dass | |
Alkohol mich so zugerichtet hatte. | |
„Nach 18 Stunden wachte ich im Krankenhausbett auf“, erzählte ich Charlie, | |
der sich ungerührt einen weiteren Martell eingoss. „In meiner Nase steckte | |
ein Schlauch. Wäre ich eine Viertelstunde später eingeliefert worden, wäre | |
ich hopsgegangen.“ Zwei Ärzte, ein weißer und ein schwarzer, beugten sich | |
über mich, und der schwarze Arzt fragte: „Hast du einen Muskelkater?“ Am | |
Abend durfte ich nach Hause. | |
Zwei Tage später saß ich wieder im Lateinunterricht. Kaktus brachte mir die | |
leere Martell-Flasche als Andenken mit. „Verstehst du jetzt“, fragte ich | |
Charlie, „warum ich keinen Martell mehr anrühre?“ Charlie nickte, goss sich | |
nach und lallte: „Dasisschade.“ Das Zeug sei wirklich lecker. Die nur noch | |
viertelvolle Flasche nahm er wieder mit. | |
25 Aug 2014 | |
## AUTOREN | |
Ralf Sotscheck | |
## TAGS | |
Alkohol | |
Abitur | |
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