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# taz.de -- Proteste in Hongkong: Die Mittelschicht macht mobil
> Demokratieaktivisten, Menschenrechtler und Gewerkschafter wehren sich
> gegen ihre Stadtregierung – und Chinas Staatsführung.
Bild: Unterstützer von „Occupy Central“ protestieren in Hongkong
HONGKONG taz | Zwischen Konsumtempeln und gläsernen Wolkenkratzern schieben
sich die Menschenmassen. Die Straßen in Central, dem Hongkonger Regierungs-
und Bankenviertel, sind an diesem Morgen wegen Überfüllung für den
Autoverkehr gesperrt. „Nein“, antwortet ein Polizist genervt. Der Grund der
Sperren seien nicht Demonstrationen. So sehe es inzwischen an fast jedem
Wochenende aus.
Bei den Massen handelt es sich vor allem um Einkaufstouristen vom
chinesischen Festland. Eigentlich müssten sich die Hongkonger angesichts
dieser Besucher glücklich schätzen: Seit die chinesische Führung in Peking
vor fünf Jahren sämtlichen Bürgern die Einreise in die
Sonderverwaltungszone gestattet hat, boomt die Wirtschaft in Hongkong. Die
Einkaufszentren sind voll, die Hotels an fast jedem Wochenende ausgebucht,
Restaurantbesitzer melden Jahr für Jahr neue Rekordumsätze.
Reiche Chinesen pumpen jede Menge Geld in die Stadt. Trotzdem schimpft ein
Hongkonger Verwaltungsangestellter: „Wir haben die Nase voll von dem
ständigen Andrang!“ Eine ältere Dame beklagt das fortwährende Drängeln und
die ruppige Art der Landsleute aus der Volksrepublik. Sie würden mit ihrem
Geld alles aufkaufen, wüssten sich aber nicht zu benehmen.
Die beiden sind nicht die einzigen Hongkonger, die sich beklagen. Seit
Monaten brodelt es in der 8-Millionen-Einwohner-Metropole.
Demokratieaktivisten, Menschenrechtler und Gewerkschafter machen mobil
gegen Stadtregierung und chinesische Führung. Der KP-kontrollierte
Volkskongress soll diese Woche über die politische Zukunft der Stadt
entscheiden. Eigentlich hatten sie den Hongkongern für 2017 erstmals freie
Wahlen auch des Regierungschefs versprochen und wollen nun den Wahlmodus
festlegen. Zugleich besteht Peking aber darauf, Kandidaten von einem
Komitee überprüfen zu lassen.
Kritiker fürchten, dass damit auch weiter nur Kandidaten eine Chance
gegeben werden wird, die Peking treu ergeben sind. Ein Teil der Hongkonger
Opposition hat sich daher zur Bewegung „Occupy Central“ zusammengeschlossen
und angedroht, das Regierungsviertel zu besetzen. Im Juni haben sie zudem
ein Referendum initiiert, in dem sie „wirklich freie Wahlen“ fordern. Fast
800.000 Hongkonger beteiligten sich – doch Peking erkannte die Abstimmung
nicht an und erklärte das Referendum für „illegal und ungültig“.
## Die Proteste gehen weiter
Die Organisatoren, die selbst nicht mit einer so hohen Beteiligung
gerechnet hatten, fühlen sich hingegen darin bestätigt, an ihrem Protest
festzuhalten und ihn sogar auszuweiten. „Sollten die neuen Wahlregeln nicht
internationalen Standards entsprechen, werden mindestens 10.000 Menschen
die Hauptstraßen des Regierungsviertels blockieren“, sagte Benny Tai,
Professor an der Hongkonger Universität und Gründer von Occupy Central.
„Soll die Polizei doch Tränengas und Wasserwerfer gegen uns einsetzen“,
wird der Aktivist von der Nachrichtenagentur Bloomberg zitiert. Das werde
die Sympathie der Bevölkerung für die Opposition nur noch verstärken.
Seit der Rückgabe der britischen Kronkolonie an China im Jahre 1997 genießt
Hongkong zwar einen Sonderstatus, der eine gewisse Autonomie sowie Presse-
und Versammlungsfreiheit gewährt. Freie Wahlen aber sind bislang tabu.
Stattdessen werden Stadtregierung und auch die Mehrheit des Stadtparlaments
unmittelbar von Peking ernannt.
Vielen Hongkongern geht es längst nicht mehr nur darum, politisch
mitzubestimmen. Wirkliche Demokratie erlebten sie auch unter britischer
Kolonialherrschaft erst in den letzten Jahren vor der Rückgabe. Was ihnen
mittlerweile viel mehr Sorge bereitet, sind die zunehmenden
wirtschaftlichen und sozialen Nöte der Bürger Hongkongs.
## Die teuerste Stadt der Welt
Seit Festlandchinesen in Hongkong Wohnungen, Geschäftsräume und Häuser
erwerben dürfen, sind die Preise auf dem Immobilienmarkt in die Höhe
geschossen. Nach Angaben des Economist Intelligence Unit (EIU) ist Hongkong
inzwischen eine der teuersten Städte der Welt. Viele traditionelle
Restaurants und Geschäfte können sich wegen der hohen Mieten nicht mehr
halten. Deswegen müssen immer mehr Hongkonger in die weit vom Zentrum
entfernten Satellitenviertel ziehen – oder gleich auf die andere Seite der
Grenze, in die Volksrepublik.
Hinzu kommt die massive Abwanderung der Industrie über die Grenze ins
restliche China. Wer nicht in der Finanzbranche oder im Servicesektor für
die Millionen von Touristen arbeitet, die jedes Wochenende und an den
zahlreichen chinesischen Feiertagen die Stadt überschwemmen, findet kaum
mehr ein Auskommen. Während Hongkongs Superreiche immer reicher werden,
schrumpft die Mittelschicht der Stadt und droht zu verarmen.
Die KP-Führung in Peking ist über den Unmut der Hongkonger alarmiert. Doch
anstatt auf die Sorgen einzugehen, befeuert sie die Ängste zusätzlich. In
einem sogenannten Weißen Papier stellte sie Mitte Juni erstmals indirekt
den Sonderstatus infrage. Darin heißt es, der hohe Grad an Unabhängigkeit
der Sonderverwaltungszone Hongkong bedeute auf keinen Fall eine
vollständige Autonomie. Auch die Hongkonger sollten lediglich lokale
Angelegenheiten im Rahmen der Befugnisse durch die zentrale Führung
umsetzen.
## Drohungen mit der Armee
Angesichts der vielen Protesten drohte der ehemalige Leiter der amtlichen
Nachrichtenagentur Xinhua in Hongkong, Zhou Nan, gar mit dem Einsatz der
Volksbefreiungsarmee. Die Occupy-Bewegung sei von „antichinesischen Kräften
in und außerhalb Hongkongs“ unterlaufen, wird er von Hongkonger Medien
zitiert. Vor drei Wochen musste mit „House News“ eine der beliebtesten
prodemokratischen Internetseiten ihren Betrieb einstellen. Als Grund
nannten die Betreiber „wachsenden politischen Druck“.
Aber auch in Hongkong selbst hat sich eine Strömung gegen die
Demokratieaktivisten gebildet. Ein Bündnis aus prokommunistischen Kräften,
internationalen Unternehmern und Bankern, darunter auch
PricewaterhouseCoopers, KPMG und Ernst & Young, warnt vor „Instabilität und
Chaos“. Die Proteste könnten den Status Hongkongs als internationales
Finanzzentrum gefährden.
Das Bündnis rief letzte Woche zu Gegenprotesten auf. Mehrere Zehntausend
Teilnehmer kamen. Auch an diesem Tag war im Hongkonger Regierungsviertel
mal wieder alles blockiert.
26 Aug 2014
## AUTOREN
Felix Lee
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