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# taz.de -- Rocko Schamoni in Berlin: Persönliche Evergreens
> Unterhaltung statt Diskurspop: Bei seinem Konzert in Berlin wird Rocko
> Schamoni mit Lieblingssongs und großem Orchester nostalgisch.
Bild: Rocko Schamoni hat's mit dem Deutschen Theater: Vor drei Jahren führte e…
Bleiben Sie auf Ihren Plätzen, empfiehlt der Autor Gereon Klug, der die
Zuschauer im ausverkauften Deutschen Theater am Samstagabend begrüßt,
nennenswerte Pausen werde es keine geben. Das Konzert von Rocko Schamoni
mit dem Orchester Mirage wird mit Spannung erwartet. Das Getuschel
erstirbt, sobald das Licht gedimmt wird.
Der den Abend einleitende Berliner Musiker Lambert beginnt sehr langsame
Akkorde am Piano zu spielen. Er zitiert den Anfang von J. S. Bachs
„Wohltemperiertem Klavier“. Dann erklärt er, einmal im Jahr ringe er sich
zum Joggen durch, davon handle das nächste Lied. „Run“ ist wieder im
Zeitlupentempo. Lambert reckt eine Faust in die Höhe, spielt das Lied zu
Ende und verabschiedet sich unter Applaus.
Das Orchester Mirage nimmt die Plätze ein. Rocko Schamoni hat sich in der
Wahl seiner 16-köpfigen Begleitung einen Herzenswunsch erfüllt. Mit den
Musikern, darunter die Geigerin Ruth May, die Sängerin Rica Blunck und der
Arrangeur und Posaunist Sebastian Hoffmann, hat er Coverversionen seiner
Lieblingssongs aufgenommen. Weil sich keine Plattenfirma fand, hat Schamoni
„Die Vergessenen“ mittels Crowdfunding finanziert, es wird 2015 erscheinen.
## Eine Spur Charles Aznavour
Einleitend spielt das Orchester ein Thema aus dem Soundtrack des
italienischen Films „La moglie più bella“ („Recht und Leidenschaft“, 1…
komponiert von Ennio Morricone. Das melodramatisch brodelnde Motiv des
Originals nimmt das Orchester zurück, tastet sich beim Spielen an den
Raumklang und die schwierige Dynamik zwischen akustischen und elektrisch
verstärkten Instrumenten vor. Rocko Schamoni und Rica Blunck schleichen auf
die Bühne. Schamoni blickt sich suchend um: Wo bin ich? Wer bin ich?
„Michelangelo Antonioni“ vom brasilianischen Sänger Caetano Veloso singt
Schamoni auf Deutsch, wirkt aber stimmlich etwas unbeholfen, wenn er ins
Portugiesische wechselt. Er grinst ins Publikum, gewinnt im Duett mit
Blunck an Sicherheit, macht dann auch großzügige Chansonnier-Gesten mit der
ausgestreckten Hand und erinnert in seinem grau-braunen Anzug an Charles
Aznavour.
Jeden Anflug professionellen Entertainments zerstört Schamoni fast
wollüstig mit seinen Ansagen. „Ihr seid echt strong!“ Bei Manfred Krugs
Liebeserklärung an Ostberlin, „Der Tag beginnt“, wird klar, Schamoni ist
kein Stimmwunder, er wackelt bedenklich in den Nuancen, verhehlt auch
nicht, wie schwer ihm die Anverwandlung dieses Evergreens fällt.
Je näher er den Songs seiner Jugend kommt, etwa „Rom“ von der Hamburger
NDW-Band Saal 2 oder „Was kostet die Welt“ von der Münchner Band FSK, desto
sicherer wirkt seine Darbietung. Dann schafft er es, die New-Wave-Kühle
ohne Reibungsverlust auf die Bühne zu übersetzen. Dieses Spiel zwischen
Distanz und Nähe klappt auch bei der Orchesterversion des
Lassie-Singers-Songs „Ist das wieder so’ne Phase“, wozu er die Komponistin
Christiane Rösinger auf die Bühne bittet und ihr
Kreuzberger-Kitchen-Sink-Drama auf ein Seidenlakenarrangement bettet.
Nonchalant schmuggelt er eine Eigenkomposition ins Programm: „Die Raute“
handelt von einer Frau namens Angela. „Was hat die Macht aus dir gemacht?“,
fragt Schamoni im funky Groove und dem endlos gehauchten „CDU“.
Zum Tanzen kriegt Schamoni das Publikum dann mit dem
anarcho-syndikalistischen Discopunk des Berliner Duos Jeans Team. Sein
Refrain „Kein Gott / Kein Staat / Keine Arbeit /Kein Geld / Mein Zuhause
ist die Welt“ wird bereitwillig mitgesungen. Der Atheismus von
Coverversionen, das zeigt Schamoni an diesem unterhaltsamen Abend, kann ein
Ausweg aus dem missionarischen Eifer von Diskurspop sein.
31 Aug 2014
## AUTOREN
Julian Weber
## TAGS
Rocko Schamoni
Musik
Cyborg
Achtziger Jahre
Rocko Schamoni
Popmusik
Pudelclub
Helge Schneider
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