| # taz.de -- Prosa-Debütantin Karen Köhler: Kunst und Leben | |
| > Die Hamburger Autorin Karen Köhler hat mit „Wir haben Raketen geangelt“ | |
| > einen größeren Medien-Hype ausgelöst: Der hat etwas mit der literarischen | |
| > Kraft ihrer Texte zu tun – und mit Windpocken. | |
| Bild: Schwere Geschichten leichtgängig erzählt: Die Hamburger Autorin Karen K… | |
| HAMBURG taz | Karen Köhler konnte im Juli nicht beim | |
| Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb lesen, weil sie Windpocken hatte. Große | |
| Tragik: Der Bachmann-Preis ist mega-renommiert, er wird im Fernsehen für | |
| großes Publikum übertragen, das überregionale Feuilleton sitzt vollzählig | |
| im Zuschauerraum. Die Hamburgerin wäre eine von nur 14 AutorInnen gewesen | |
| und hätte aus ihrem literarischen Debüt gelesen. Eine große Chance schien | |
| verpasst. | |
| Und dann passierte Folgendes: Über den Fall wurde berichtet, weil es noch | |
| nie passiert ist, dass ein geladener Autor dem Preis fern bleibt. Der | |
| Österreichische Rundfunk ORF lehnte es ab, Köhler aus der Ferne mitlesen zu | |
| lassen, etwa per Videoschalte. Also wurde in Klagenfurt eine Soli-Lesung | |
| mit dem Titel „Gegen Windpocken – für Raketen“ organisiert. Und Karen | |
| Köhler wurde die Autorin, die neben Tex Rubinowitz – dem Gewinner des | |
| Hauptpreises – im Gedächtnis blieb von den diesjährigen „Tagen der | |
| deutschsprachigen Literatur“. | |
| Als dann Ende August Köhlers Erzählband „Wir haben Raketen geangelt“ in d… | |
| Läden kam, reagierten die Medien mit einem mittelgroßen Hype. Es ist | |
| selten, dass ein Debüt so häufig und umfangreich besprochen wird. Nach wie | |
| vor ist die 40-Jährige viel mit Journalistenterminen beschäftigt. Und die | |
| Hamburger Premiere des Buches an diesem Donnerstag ist ausverkauft. | |
| Ebenso selten ist, dass die Rezensionen so einhellig positiv bis | |
| überschwänglich ausfallen. Das mag daran liegen, dass bei Köhler Kunst und | |
| Leben auf eine Art ineinander fließen, die dem literarischen Ergebnis Kraft | |
| verleiht. Ihre Geschichten haben Außenwirkung, obwohl sie sich mit der | |
| Introspektion beschäftigen: In ihrem Buch spricht eine weibliche | |
| Ich-Erzählerin, die sich oft mit ihrer Vergangenheit beschäftigt, mitunter | |
| auch darauf zurückgeworfen wird. | |
| Die Kurzgeschichte „Cowboy und Indianer“ etwa erzählt von einem Trip mit | |
| einer Zufallsbekanntschaft durch den Westen der USA, bei dem die vielleicht | |
| 30-jährige Frau die Kämpfe ihre Kindheit und Jugend noch mal durchlebt. Die | |
| Gegenwart der Wüste wird unterbrochen durch Rückblenden in die | |
| Kleinstadt-Vergangenheit, die Zufallsbekanntschaft ist eine Spiegelung | |
| vergangener Beziehungen und Erlebnisse. Der Text kreist um die Frage, wie | |
| die Ich-Erzählerin wurde, was sie ist. Das Kraftvolle liegt darin, dass | |
| diese Ich-Erzählerin viel Mist erlebt hat, aber bei ihrem späten Triumph | |
| darüber ihre Verletzlichkeit nicht vergisst. | |
| In der Geschichte „Il Comandante“ – dem verhinderten Klagenfurt-Text – … | |
| die Ich-Erzählerin Krebs und freundet sich im Krankenhaus mit einem alten | |
| Mann an, der ihr hilft, sich nicht aufzugeben. In der Geschichte „Name. | |
| Tier. Beruf“ trifft die Ich-Erzählerin ihre Jugendliebe nach fünfzehn | |
| Jahren wieder und konfrontiert sie mit einer damals verschwiegenen und | |
| schließlich verlorenen Schwangerschaft. | |
| Die Geschichte „Polarkreis“ erzählt von einem Hochzeitsantrag und der | |
| Reaktion darauf. Und in „Starcode Red“ ist die Ich-Erzählerin | |
| Entertainment-Mitarbeiterin auf einem Kreuzfahrtschiff, das so verwinkelt | |
| ist wie ihre Gedankengänge; sie ist gerade dabei, eine Trennung zu | |
| verarbeiten. | |
| Köhler arbeitet viel mit Symbolen und Pop-Zitaten und sie packt gerne die | |
| großen Themen an: Tod, Trennung, Schwangerschaft, Heirat. Das klingt alles | |
| schwer, ist es aber nicht: Die Ich-Erzählerin ist eine, die noch lange | |
| nicht fertig ist mit dem Leben und zurück schlägt, wenn es sein muss. In | |
| der Regel ist das beschwingend. Nur manchmal ist es kurz davor, dass die | |
| Heldin nervt in ihrem Heroismus. | |
| Köhlers Blick auf ihre Welt ist geschult durch künstlerisches Arbeiten in | |
| nicht-literarischen Bereichen: Sie studierte Schauspielerei in Bern und | |
| arbeitete als Schauspielerin, bevor sie sich professionell dem Schreiben | |
| widmete. Sie schrieb Theaterstücke für Kinder („Ramayana. Ein | |
| Heldenversuch“) und für Erwachsene („Pornorama. Ein Männermärchen“). | |
| Nach wie vor arbeitet sie als Performance-Künstlerin und Illustratorin, | |
| auch das jetzt erschienene Buch hat sie selbst illustriert. Auf ihrer | |
| Website veröffentlicht sie Fotos, Schnappschüsse von Häuserfassaden oder | |
| Schaufenstern, die zeigen: Diese Autorin sitzt nicht nur am Schreibtisch, | |
| sie ist unterwegs und nutzt alles, was ihr widerfährt, künstlerisch. Zudem | |
| weiß sie, wie das Internet funktioniert und [1][nimmt ihre | |
| Selbstdarstellung selbst in die Hand.] | |
| Der Hunger nach Gegenwart und die Verfangenheit im Vergangenen ist das | |
| Spannungsverhältnis, in dem sich Köhler bewegt. Die Windpocken passen dazu | |
| verdächtig gut. Hat es sie wirklich gegeben? „Ja, die | |
| Windpockeninfektionsgeschichte stimmt“, schreibt sie. „Es stimmt auch, dass | |
| ich die Windpocken bereits als Kind gehabt habe. Ich habe anscheinend keine | |
| Antikörper ausgebildet und mich in Luxemburg während einer Kunstaktion | |
| nochmals angesteckt.“ | |
| ## Karen Köhler: „Wir haben Raketen geangelt“, Hanser Verlag 2014, 240 S., | |
| 19,90 Euro Nächste Lesungen im Norden: Do, 4. 9., Buchhandlung Cohen & | |
| Dobernigg, Hamburg (ausverkauft); 28. 9., Das Loft, Ohlsdorfer Straße 26, | |
| Hamburg | |
| 3 Sep 2014 | |
| ## LINKS | |
| [1] http://www.karenkoehler.de/ | |
| ## AUTOREN | |
| Klaus Irler | |
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