# taz.de -- Flüchtlingspolitik in Deutschland: Sieg des Chauvinismus | |
> Die Deutschen fühlen sich so sicher wie seit zwanzig Jahren nicht mehr. | |
> Aber sie wehren Flüchtlinge ab, als wären sie bankrott. | |
Bild: An Geld mangelt es nicht, Politiker wollen es bloß nicht ausgeben: zentr… | |
Deutschland hat einen neuen inneren Feind: Er ist kein Terrorist, kein | |
Fundamentalist, er ist einfach nur ein Antragssteller. Und er ist schwach. | |
Trotzdem zieht die Politik, zumal die CDU, die Reißleine: In Bayern, in | |
Nordrhein-Westfalen und auch in Berlin werden Zentrale Erstaufnahmestellen | |
für Flüchtlinge nun vorübergehend geschlossen. Und niemand informiert die | |
Leute, die sich ordnungsgemäß melden wollen, an wen sie sich nun wenden | |
können. Denn sie sollen sich an niemanden wenden. Sie sollen verschwinden. | |
Berlins Sozialsenator Mario Czaja (CDU) äußerte auf einer Pressekonferenz | |
die Hoffnung, dass die Bedürftigen ihr Glück in anderen Bundesländern | |
versuchen. Doch auch in diesen stellt man bereits Zelte und Container zu | |
ihrer Verwahrung auf – nicht weil unbewältigbar viele Menschen in Not den | |
Weg nach Deutschland gefunden hätten, sondern weil es mehr sind, als | |
erwartet wurden. | |
Das Problem ist nicht, dass die deutsche Bürokratie grundsätzlich unfähig | |
wäre, also nicht in der Lage, Millionen von Menschen zu verwalten. Das | |
macht sie jeden Tag. Dass ein paar Tausend Anträge mehr ganze Behörden zum | |
Kollabieren bringen, ist die Folge einer politischen Entscheidung: | |
Politiker wollen kein Geld für Flüchtlinge ausgeben, weil sie davon | |
ausgehen, dass ihre Wählerschaft sie dafür abstrafen wird. | |
Auf die Frage nach Möglichkeiten der Personalaufstockung gerät Czaja dann | |
auch ins Stocken: So viele Sachbearbeiter wären bereits im Einsatz und, na | |
ja, der Krankenstand sei nun mal hoch. Genaue Zahlen kann er nicht nennen. | |
Damit keine Missverständnisse entstehen: Die Mehrheit der Anträge wird | |
abgelehnt. Die Zahl der Anträge sagt also nichts darüber aus, wie vielen | |
Menschen tatsächlich ein Aufenthaltstitel gewährt wird. | |
## Augen zu und durch | |
Das Problem ist, dass Deutschland seit Jahren die Augen vor dem | |
verschließt, was in der Welt passiert. Also nicht darauf vorbereitet ist, | |
dass, wenn weltweit fünfzig Millionen Menschen auf der Flucht sind, | |
zwangsläufig – trotz Schengener Abkommen und Aufrüstung der europäischen | |
Außengrenzen durch die Agentur Frontex – mehr Menschen auch in Deutschland | |
um sicheren Aufenthalt ansuchen als in den Jahren zuvor. | |
Schließlich hören Kriegsparteien nicht auf, Krieg zu führen und Menschen in | |
die Flucht zu zwingen, nur weil Deutschlands Bürokratie keine weitere | |
humanitäre Hilfe eingeplant hat. | |
Doch nicht allen kommt die Not der Leidtragenden von Krieg und Krise | |
ungelegen. Die Abwertung von Antragsstellern als Sozialschmarotzer und die | |
Inszenierung, dass Deutschland überflutet würde von Fremden, ist Wasser auf | |
die Mühlen der aufsteigenden Alternative für Deutschland (AfD). | |
Diese hat jüngst gefordert, afrikanische Antragssteller in sichere | |
afrikanische Länder zurückzuführen; man solle aufhören, die Kontingente | |
„einseitig aufzustocken“. Was wohl „beidseitig“ in dem Zusammenhang | |
bedeuten würde? Dass Kontingentdeutsche in sicheren afrikanischen Ländern | |
umsonst Urlaub machen dürfen? | |
## Sie werden ausgehungert | |
In Berlin hat Innensenator Frank Henkel (CDU) vor wenigen Tagen per | |
Gerichtsbeschluss absichern lassen, dass Flüchtlinge, die gegen ihre | |
unmenschliche Behandlung protestieren, keine Nahrung mehr erhalten. | |
Entsprechend verhinderten Polizisten, dass Anwohner und Unterstützer Brot | |
an sie verteilten. Auch die Mahnwache samt die Verwendung von Schlafsäcken | |
wurde verboten. Ein Senator setzt mitten in Deutschland die Strategie des | |
Aushungerns ein. Die Empörung darüber fällt (leise) aus. | |
Auch dieses „Detail“ zeigt, wie massiv die deutsche Gesellschaft nach | |
rechts rutscht. Bewusst oder nicht: Henkel reagiert mit seiner | |
Gnadenlosigkeit auf die Konkurrenz von rechts in Form der AfD. Die wird | |
nach Sachsen auch in Thüringen und Brandenburg in die Landtage einziehen. | |
Laut einer von einem der größten Versicherer R+V durchgeführten Studie | |
fühlen sich die Deutschen ökonomisch und sozial so sicher wie seit zwanzig | |
Jahren nicht. Ob das jemals zu einem Mehr an Weltoffenheit führen wird? | |
6 Sep 2014 | |
## AUTOREN | |
Ines Kappert | |
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