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# taz.de -- Cannabis-Samenhandel: Der deutsche Sonderweg
> Die Hamburger Firma Mediseed hat Hanfsamen zum medizinalen Eigenanbau
> verkauft. Mittlerweile läuft ein Verfahren gegen die Geschäftsführerin.
Bild: Samen nur aus dem Ausland: Cannabis-Anbau.
HAMBURG taz | Auf den ersten Blick denkt man, die beiden Läden gehörten
zusammen: Der „Amsterdam-Headshop“ an der Reeperbahn 155 und der kleine
Laden „Kiezsmoke“ rechts daneben. Ein Graffito zieht sich über die
Außenfassaden beider Läden, innen verbindet ein Durchgang die Räume. Aber
die Geschäfte laufen getrennt: Während links alles von Hanflollys und
Aktivkohlefiltern bis zu Kiezsouvenirs wie Peniskerzen und
Zuckerperlen-Stringtangas verkauft wird, gibt es rechts nur E-Zigaretten.
Das war mal anders. Vor einem Jahr wurden auf der kleinen Ladenfläche
rechts keine E-Zigaretten, sondern Hanfsamen verkauft. Mediseed hieß das
Geschäft. Es war das einzige in Deutschland, das Saat zum Anbau von
Cannabispflanzen verkaufte. Zu medizinischen Zwecken, versteht sich.
SchmerzpatientInnen hilft die beruhigende Wirkung der Cannabispflanze:
Krebskranken zum Beispiel, die unter chronischen Schmerzen und
Gewichtsverlust leiden oder Multiple-Sklerose-PatientInnen mit
schmerzhaften Spasmen. „Cannabis entspannt die Muskeln und regt den Appetit
an“, erklärt Christian Hoffmann, stellvertretender Geschäftsleiter der
Apothekerkammer Hamburg.
An vier Automaten konnten die Kunden sich die Saatgutpäckchen ziehen und
dabei zwischen 250 Sorten wählen. Ein Päckchen enthielt zwischen drei und
fünfzehn Hanfsamen und kostete um die 20 Euro.
## Nach elf Tagen kam die Polizei
Der Verkauf lief gut, bis nur elf Tage nach der Eröffnung die Polizei auf
der Matte stand und den Laden leer räumte. „Zwanzig Polizisten mit
kugelsicheren Westen standen plötzlich vor dem Laden“, erinnert sich
Geschäftsführerin Nicky Wichmann. Die 41-Jährige war allein. Die Polizei
musste dann allerdings erst einen Mietwagen organisieren, bevor sie die
Saatgut-Automaten abtransportieren konnte. Die waren zu sperrig für den
mitgebrachten LKW.
Die Beamten durchsuchten neben dem Laden auch Wichmanns Privatwohnung.
Computer, Festplatten und Telefone wurden mitgenommen, außerdem das gesamte
Firmeninventar der Mediseed GmbH. Wert: 20.000 Euro, schätzt Wichmann.
Gegen die Geschäftsinhaberin läuft nun ein Ermittlungsverfahren.
„Gewerbsmäßiger Handel mit Betäubungsmitteln“ lautet der Vorwurf. Dabei …
das mit dem Verbot von Cannabissamen nach dem Betäubungsmittelgesetz (BtmG)
so eine Sache: Bis 1998 kamen die Samen der Cannabispflanze unter den
verbotenen Substanzen des BtmG nicht vor. Schließlich ist die Menge des
Wirkstoffs Tetrahydrocannabinol (THC) in den Samen so gering, dass man sich
daran nicht berauschen kann. So waren die Samen von der Aufzählung der
illegalen Substanzen im BtmG ausgenommen: „Cannabis (Marihuana, Pflanzen
und Pflanzenteile der zur Gattung Cannabis gehörenden Pflanzen) ausgenommen
a) deren Samen“ lautete die betreffende Passage. Eine kleine, aber
folgenreiche Änderung trat im Februar 1998 in Kraft: „Cannabis (Marihuana
[usw., s. o.]), ausgenommen a) deren Samen, sofern nicht zum unerlaubten
Anbau bestimmt“ lautet der neue Zusatz. Und da es in Deutschland keinen
erlaubten Anbau gibt, war es mit der Legalität der Hanfsamen damit aus.
Zumindest fast. Wäre da nicht die Tatsache, dass der Handel mit Hanfsamen
in fast allen anderen EU-Ländern erlaubt ist. Und zwischen denen gilt die
Wettbewerbsfreiheit, deren wichtiger gesetzlicher Bestandteil die
Warenverkehrsfreiheit ist. Nationale Handelshemmnisse sind demnach
verboten, der Wettbewerb zwischen den HändlerInnen innerhalb der EU muss
möglich sein. So gesehen verstößt Deutschland mit dem Verbot von Hanfsaat
gegen EU-Recht.
Als Nicky Wichmann 2012 den Eintrag der Firma Mediseed in das
Handelsregister beantragte, rechnete sie nicht mit einer Genehmigung. Doch
die kam prompt. Der im Handelsregister vermerkte Geschäftszweck der
Mediseed GmbH lautet „Handel mit Cannabis-Samen in den Mitgliedsländern der
Europäischen Union, ausgenommen zum unerlaubten Anbau“.
## 1.001 Verwendungen für Hanfsaat
Aber wie will man sicherstellen, dass Kunden die Samen nicht für den
unerlaubten Anbau kaufen? Schließlich darf in Deutschland niemand legal
anbauen. Aber theoretisch könnte man auch etwas anderes mit der
Cannabissaat machen – die Hanfpflanze ist schließlich für ihre
Vielseitigkeit bekannt: Klamotten, Papier, Schiffstaue und Kosmetikprodukte
werden aus der Nutzpflanze hergestellt. Ähnlich ist es mit den Samen: In
Koch-Foren im Internet finden sich diverse Koch- und Backrezepte mit
Hanfsamen. Neben Vogelfutter und Müsliriegeln ist über Hanf-Gnocchi bis zum
Kartoffel-Hanf-Auflauf alles möglich.
Praktisch würde man dafür allerdings doch die billigeren Hanfsamen aus dem
Bioladen kaufen, die 150-grammweise kommen und deren Keimlinge weniger THC
enthalten als der Medizinalhanf. Trotzdem: Der unerlaubte Anbau wäre nur
einer von zahlreichen Verwendungszwecken. Und dieser liegt nicht in der
Verantwortung des Vertriebs. Denn, wie Wichmann sagt: „Du kannst ja auch in
einen Laden gehen und ein Küchenmesser kaufen und damit jemanden
verletzen.“ Sie guckt ernst. „Dafür dann den Verkäufer verantwortlich zu
machen, finde ich schwierig.“
An den Saatgutautomaten bei Mediseed prangte außerdem der Hinweis: „Der
Anbau von Cannabis zu medizinischen Zwecken ist in Deutschland
erlaubnispflichtig. Die angebotenen Produkte dürfen nicht gesetzeswidrig
verwendet werden.“ Durch das Drücken des Enter-Buttons stimmte man den AGB
zu. Außerdem musste man über achtzehn sein, um die Samen zu kaufen. Kunden,
die nicht volljährig waren, verwies Wichmann des Ladens. Das stellte auch
die Polizei fest, als sie bei verdeckten Ermittlungen den Laden
beobachtete. So steht es in einem anwaltlichen Dokument, das der taz
vorliegt.
## Cannabis zu Apothekerpreisen
Außerdem bei Mediseed erhältlich war ein Vordruck, mit dem man beim
Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfAM) beantragen kann,
legal Cannabisblüten oder Cannabis-Extrakt aus der Apotheke zu beziehen.
270 Menschen in Deutschland verfügen derzeit über eine solche Erlaubnis.
Aber das Apothekengras ist teuer. Ein Päckchen à fünf Gramm kostet 120
Euro, die Krankenkassen übernehmen die Kosten nicht. „Wenn du die Taschen
voller Geld hast, kannst du dir Gras aus der Apotheke holen“, sagt Wichmann
schulterzuckend. Ansonsten bleibt der illegale Markt, oder eben der
Eigenanbau.
Für den häuslichen Eigenanbau kann man in jedem gut sortierten Growshop in
Deutschland alles bekommen: Lampen, Dünger, Bewässerungs- und
Belüftungssysteme sowie Ernte-Sets, Geruchsneutralisierer und jede Menge
Fachliteratur. Nur eben nicht die Samen.
Dabei gibt es seit Neustem drei Menschen in Deutschland, die legal anbauen
dürfen. Beim Kölner Verwaltungsgerichten erwirkten drei von fünf Klägern
Ende Juni eine Anbauerlaubnis. Das Gericht entschied zugunsten der Kläger,
weil die Schwerkranken die Kosten für den medizinalen Marihuana-Konsum
nicht aufbringen können. Wenn das Urteil dieser Tage rechtskräftig wird,
könnte sich auch der Fall von Nicky Wichmann noch mal ändern. Falls nicht,
wollen ihre Anwälte im Fall einer Verurteilung Berufung einlegen. Wichmann
ist fest entschlossen: Zur Not geht sie bis zum europäischen Gerichtshof.
Es geht schließlich um EU-Recht.
Bis es soweit ist, müssen Homegrower die Samen im Ausland bestellen. Im
Internet kann man zwischen über 100 Samenbanken wählen, die europaweit
Cannabissaat verschicken. Strafbar macht man sich damit nicht: Damit das
Vergehen verfolgt würde, müsste es in beiden beteiligten Ländern illegal
sein. Mit dem Verbot steht Deutschland jedoch allein da. „Dass Substanzen,
die wie Hanfsamen keine Betäubungsmittel sind, trotzdem im
Betäubungsmittelgesetz erfasst werden, ist eine juristische Spitze, die
sich nur Deutschland leistet“, sagt Florian Richter vom Deutschen
Hanf-Verband.
Bis die deutsche Rechtslage sich ändert, werden an der Reeperbahn 155 erst
mal weiter E-Zigaretten verkauft. Die Auswahl für Elektroraucher ist groß:
Mango, Pfirsich, Melone, Schokolade – das E-Liquid, mit der man die
E-Zigarette befüllt, ist bei Kiezsmoke in allen möglichen
Geschmacksrichtungen erhältlich. Der Laden ist aber fast immer leer. Da
läuft es nebenan schon besser: Wasserpfeifen, Papers und Filter sind immer
gefragt.
16 Sep 2014
## AUTOREN
Katharina Schipkowski
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