Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Hanf als Rohstoff: Bauen statt kiffen
> Die Genossenschaft „Hanffaser Uckermark“ will Hanf als Baustoff
> etablieren – auch 20 Jahre nach der Legalisierung des Nutzanbaus ist das
> noch Pionierarbeit.
Bild: Nutzpflanze Hanf
Auf 430 Hektar reckt sich in diesem Juni eine Pflanze in den Himmel der
Uckermark, die nicht nur größer wird als alle anderen Nutzpflanzen auf den
Feldern ringsum, sondern im Unterschied zu ihnen auch keinerlei Herbizide
oder Pestizide benötigt. Die Rede ist natürlich von Hanf, der zur Ernte im
September bis zu vier Meter in die Höhe gewachsen sein wird, um dann
geschnitten auf den Feldern zu trocknen. „Dann brauchen wir ein paar Tage
Regen und einen goldenen Oktober“, sagt Rainer Nowotny, Chef der
Genossenschaft „Hanffaser Uckermark“, mit Blick auf die Ernte und den
Rohstoff, der dann in die Hanffabrik am Ortseingang von Prenzlau
eingefahren wird.
Mit den Landwirten der Region haben die Hanfgenossen auch in diesem Jahr
wieder Verträge geschlossen, wobei sie nicht nur die Abnahme der Hanfernte
garantieren, sondern die Bauern auch bei den immer noch aufwendigen
notwendigen Formalitäten, beim Bezug genehmigten Saatguts und bei den
technischen Aspekten der Ernte unterstützen.
## Spezielle Erntemaschinen
Letzteres stellte nach der Relegalisierung des Nutzhanfanbaus in
Deutschland 1996 das größte Problem dar: Um die robusten, hohen Pflanzen zu
ernten, reichten herkömmliche Mäh- und Schneidegeräte nicht aus. Dies war
die Geburtsstunde der großen Hanferntemaschine, die Rainer Nowotny und
seine Leute entwickelten und die heute auf allen Feldern der
Genossenschafts,- und Vertragsbauern das Mähen übernimmt.
Bis zu 12 Tonnen getrocknete Biomasse erbringt ein Hektar Hanf, und wie zum
Niedermähen des grünen Dschungels braucht es auch zur Gewinnung der Fasern
besondere Kraft. Die in gepressten Ballen bei der Hanffabrik angelieferten
Stängel müssen gebrochen und durch Schwingen und Schaben von Resten des
Stängelkerns, den Schäben, befreit werden.
## Baustoffe par excellence
In früheren Zeiten geschah dies per Hand mit einfachen hölzernen Geräten –
und wenn den Fasern dann noch hölzerne Reste anhafteten, sahen die daraus
gewonnen Textilien eben „schäbig“ aus. Heute erledigt das Brechen und
Schwingen des Hanfs ein Koloss von Maschine, 2 Meter breit und fast 100
Meter lang.
In der ersten Etappe werden die Stängel gebrochen, danach auf vielen Metern
gebürstet und geschüttelt, wobei die herausfallenden hölzernen Reste auf
der ganzen Strecke abgesaugt werden. Am Ende der lauten und staubigen
Prozedur liegen dann die beiden Endprodukte der Hanffabrik Uckermark vor:
Hanffasern und Schäben – Baustoffe par exellence.
Dass dem so ist und die Verwendung von Hanffasern wegen deren Festigkeit,
Dämmeigenschaften und ihrer überragenden Widerstandsfähigkeit gegen Nässe
nicht nur in Seefahrt und Klempnerei, sondern auch im Baugewerbe eine
jahrtausendealte Tradition hat, hinderte deutsche Behörden nicht, die
Zulassung als Baustoff zuerst einmal abzulehnen. Man habe zur Dämmung doch
Mineralwolle, wurde Rainer Nowotny lakonisch zur Ablehnung seines Antrags
mitgeteilt.
Erst seit er sich mit einem österreichischen Kollegen zusammentat und 2002
über die EU in Brüssel die Zulassung durchsetzte, darf er auch offiziell
rohe Hanffasern unter Dachziegel stopfen, ohne damit gegen Bau- oder
Wärmeschutzverordnungen zu verstoßen. Dass die Uckermärker konsequent
darauf verzichten, mit Glasfasern oder giftigen Phenolharzen
handelsübliche Dämmmatten herzustellen, hindert den unters Dach gestopften
Hanf nicht daran, im Schall,- und Wärmeschutz mindestens so gut wie die
Konkurrenz abzuschneiden – und um Klassen besser, wenn es um Feuchtigkeit
geht.
## Ausgezeichnet zum Dämmen
„Wer mit Hanf dämmt, braucht keine Kunststofffolie als Dampfsperre mehr,
darauf geben wir Garantie“, sagt Rainer Nowotny, während er von draußen auf
die Dächer der Fabrikhallen schaut. Sie sind komplett mit Solarpanelen
bedeckt und liefern den grünen Strom für die Höllenmaschine, mit der
drinnen die grüne Kraft vom Acker in ihre nützlichen Einzelteile zerlegt
wird. Wenn im Winter geheizt werden muss, wird das betriebseigene
Blockheizkraftwerk mit Pellets aus Hanfschäben befeuert – so geht nicht nur
Energie-, sondern auch Rohstoffwende.
Außer zur Energiegewinnung hat der bei der Faserproduktion anfallende
„Abfall“ auch noch einen anderen großen Markt: als Einstreu für Tiere.
Weil Hanf 80 Prozent seines Gewichts an Feuchtigkeit aufnehmen kann, ohne
selbst chemisch zu reagieren, ist er für Pferdeställe und Katzenklos die
optimale geruchsdämmende Unterlage.
Deshalb beliefert HempFlax, die größte europäische Hanffabrik in den
Niederlanden, seit Jahren tonnenweise Hanfschäben an die königlichen
Stallungen nach England, und auch in der Hanffabrik Uckermark steht eine
kleine Anlage, die Katzen-und Kleintierstreu für einen Tierbedarfshändler
abfüllt.
In der Hauptsache aber arbeiten die derzeit 16 Angestellten mit der Faser
und ihrem Einsatz als Baustoff. Zuletzt haben sie zum Beispiel einen
„Hanf-Kalkstein“ entwickelt. Die Bauplatte aus Hanf schlägt im Labor alle
üblichen Materialien. Wie „Plattenbau mit Hanf“ dann praktisch
funktioniert, soll mit der Errichtung einer Halle auf dem Gelände
demonstriert werden. Sowie mit Versuchen als Material für den 3-D-Druck.
Bis zur Einführung der erdölbasierten Kunstfasern Mitte des 20.
Jahrhunderts war Hanf der wichtigste Rohstoff für Seile, Segel und
Textilien aller Art, von groben Säcken über robuste Uniformen bis zum
feinsten Leinen. Seit der Relegalisierung des Nutzhanfanbaus 1996 ist es
in Deutschland aber nicht gelungen, die Fasern in industriellem Maßstab
so aufzubereiten, dass sie für eine textile Weiterverarbeitung infrage
kommen.
## Hanfroboter
Hier wollen die Pioniere der Hanfgenossenschaft mit ihrem „Hanfroboter“
Abhilfe schaffen, den ein Ingenieurstudent der TU Berlin vorführt, der dort
sein Praktikum absolviert: einer Schälmaschine, die grünen Hanfstengeln
sekundenschnell die Haut abzieht. „Es sind erst 20 Zentimeter“, deutet
Rainer Nowotny auf die Breite des Prototyps, „davon hätten wir gerne 100
Stück.“ Um dann einen Feinbast zu gewinnen, dessen Fasern höchsten
Ansprüchen der Textilindustrie genügt.
Bisher wird der Markt für Hanfbekleidung vor allem mit Stoffen aus China
gedeckt – keine Frage, dass Jeans oder T-Shirts „grown in Uckermark“ ein
weiteres Mal zeigen könnten, wie Rohstoffwende und Kreislaufwirtschaft
wirklich gehen. Anders als bei der Baumwollproduktion, die 50 Prozent des
globalen Pestizidverbrauchs verursacht, ist auf den Hanffeldern in
Brandenburg noch nie ein Gramm irgendwelcher Spritzmittel gelandet – gegen
Unkraut und Schädlinge schützt sich die Hanfpflanze selbst.
Als Rainer Nowotny vor 20 Jahren die „Hanffaser Uckermark“ gründete, „gab
es nichts: keine Erntemaschinen, keine Verarbeitung, keinen Markt“. Umso
beeindruckender ist es, was die Pioniere im Norden Brandenburgs in zäher
Kleinarbeit seitdem entwickelt haben. Mit der Umwandlung in eine
Genossenschaft vor einigen Jahren will der Gründer sicherstellen, dass
diese Entwicklung weitergeht. Dass die Förderung des Nutzhanfs durch die EU
im Jahr 2000 gestrichen wurde, hat das schwungvolle Wiederaufleben des
Hanfanbaus in Deutschland nachhaltig gestoppt: 1997, ein Jahr nach der
Legalisierung, wurden 2.900 Hektar angebaut, 1999 waren es über 4.000
Hektar, 2015 nur noch 700 Hektar.
Subventionen haben sehr großen Einfluss darauf, was Landwirte anbauen, und
so kommt die „Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe“ in einer Analyse 2014 zu
dem Schluss, dass die „instabile Förderung“ ein wesentlicher Grund dafür
sei, dass eine Etablierung der Faserpflanze bis heute nicht gelungen ist.
## Kein Gramm Gift
Konkurrenz macht dem Hanf auf den Feldern hier vor allem der Mais, der
aufgrund des Erneuerbare-Energie-Gesetzes hoch bezuschusst und in
Biogasanlagen verheizt wird. Wegen des massiven Einsatzes von Herbiziden
beim Maisanbau kann von Nachhaltigkeit dieser „Bio“-Energie aber kaum die
Rede sein. „Nach der Energiewende muss jetzt die Rohstoffwende kommen“,
sagt Rainer Nowotny deshalb und deutet in die Richtung der Hanffelder in
der Nähe von Prenzlau, auf denen kein Gramm Gift gelandet ist, während die
Felder nebenan sechsmal pro Saison gespritzt werden.
Erst wenn die langfristigen Folgen dieser rabiaten Agrarwirtschaft – für
Grundwasser, Böden, Mikroorganismen, Bienen etc. – in die Gesamtrechnung
eingehen, hat die Hanfpflanze als universell nutzbarer ökologischer
Rohstoff wieder ein echte Chance. Bis dahin wird die Hanfgenossenschaft
Uckermark ihre kleine Marktnische nutzen, um die praktischen Wege in eine
grüne Zukunft weiter begehbar zu machen.
15 Jun 2017
## AUTOREN
Mathias Bröckers
## TAGS
Hanf
Marihuana
Hanfparade
Cannabis
## ARTIKEL ZUM THEMA
Interview zur Hanfparade: „Wir brauchen noch einen langen Atem“
Am Samstag zieht die Hanfparade wieder durch Berlin – Fragen an Dirk Dumke,
Mitveranstalter der ersten Hanfparade 1997.
Mit Cannabis-Eis zur Hanfparade: Coole Tüte
Bei erwarteten 32 Grad ist ein Joint auf der heutigen Parade die falsche
Wahl. Viel besser: Dope schlecken! Die taz war auf der Suche nach dem
Hanf-Eis.
Cannabis-Samenhandel: Der deutsche Sonderweg
Die Hamburger Firma Mediseed hat Hanfsamen zum medizinalen Eigenanbau
verkauft. Mittlerweile läuft ein Verfahren gegen die Geschäftsführerin.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.