| # taz.de -- Anklage gegen Home-Grower: Schmerzpatient landet vor Gericht | |
| > Ralf C. ist Arthrosepatient und kiffte zur Schmerzlinderung. Bis die | |
| > Polizei seine Pflanzen beschlagnahmte. Nun muss er Opiate nehmen und | |
| > steht vor dem Strafgericht. | |
| Bild: Grün ist die Hoffnung für SchmerzpatientInnen. Die Staatsanwaltschaft s… | |
| Hamburg taz | Wenn die Schmerzen anfangen, ist das, als ob man plötzlich in | |
| einem Tunnel ist und auf etwas zurast. Alles fängt an zu pfeifen und die | |
| Welt um einen herum verschwindet, es gibt nur noch den Schmerz. Irgendwann | |
| wacht man auf, die Schmerzen lassen langsam nach, es geht vorbei. | |
| So beschreibt es Ralf C., Arthritis- und Arthrose-Patient. Er steht in | |
| Hamburg vor dem Strafgericht, weil er Marihuana angebaut hat. 30 Pflanzen | |
| wuchsen in seinem Keller, er kiffte als Schmerztherapie. Weil die Hamburger | |
| Staatsanwaltschaft nicht glaubt, dass er alles selber rauchen wollte, wirft | |
| sie ihm neben illegalem Anbau auch Handel mit Betäubungsmitteln vor. | |
| „Niemals habe ich auch nur ein einziges Gramm von dem Zeug verkauft“, | |
| beteuert der Angeklagte gegenüber der Richterin. Bei der Hausdurchsuchung | |
| im Juli, als sechs PolizistInnen mit Durchsuchungsbefehl in seinem Garten | |
| standen, habe er sich zunächst nicht vorstellen können, was die wollten. | |
| Als es ihm klar wurde, führte er die BeamtInnen sofort auf den Dachboden, | |
| wo die Pflanzen zum Trocknen an Wäscheleinen hingen. | |
| 3,4 Kilogramm Marihuana stellte die Polizei sicher. Das ist, je nach | |
| THC-Gehalt, das 22- bis 68fache dessen, was in Hamburg als „geringe Menge“ | |
| eingestuft wird. Auf eine „nicht geringe Menge“ steht eine Freiheitsstrafe | |
| von mindestens einem Jahr. | |
| Allerdings deutet nichts darauf hin, dass C. gedealt haben könnte. Keine | |
| einschlägigen Utensilien wurden bei der Hausdurchsuchung gefunden, keine | |
| Tütchen, keine Digitalwage, keine großen Summen Geld. Die BeamtInnen fanden | |
| nur mehrere Döschen mit Gras, Pflanzenreste im Mülleimer und Joints im | |
| Aschenbecher. Zehn bis 15 Joints pro Tag hat C. geraucht. Seit er keine | |
| Pflanzen mehr hat, nimmt er Tilidin, ein synthetisches Opiat. | |
| Gut geht es ihm damit nicht. „Man ist so weggetreten davon“, sagt er. | |
| Außerdem hat er Angst, abhängig zu werden. An schlimmen Tagen nimmt er | |
| morgens und abends zwei Tabletten – arbeiten kann er dann nicht mehr. | |
| Stattdessen schläft er viel. „Beim Kiffen war das anders“, sagt C., „wenn | |
| man sich dran gewöhnt hat, ist man gar nicht benebelt. Nur die | |
| schmerzstillende Wirkung bleibt.“ | |
| Das Verfahren gegen C. kommt laut seiner Anwältin Alexandra Wichmann einer | |
| Doppelbestrafung gleich. „Zum einen wird dem Angeklagten notwendige | |
| medizinische Hilfe verweigert. Zusätzlich wird er nun für seine Selbsthilfe | |
| kriminalisiert“, sagt sie. Das Kaufen von Marihuana auf Rezept sei für | |
| ihren Mandanten nie infrage gekommen, weil die Krankenkassen die Kosten | |
| nicht übernehmen. Und die wären hoch gewesen, bei seinem Konsum. Für fünf | |
| Gramm zahlt man in der Apotheke 120 Euro. | |
| Kurios ist an dem Fall auch, wie die Polizei auf den Home-Grower aufmerksam | |
| wurde, denn Ralf C. ist weder vorbestraft noch auf andere Art polizeilich | |
| in Erscheinung getreten. Sein Pech war, dass Ermittlungen gegen den | |
| Growshop liefen, bei dem er das Bewässerungssystem für die Pflanzen | |
| bestellt hatte. Die Staatsanwaltschaft Hannover warf dem Growshop Euphoria | |
| und dessen Großhändler Miha „Hilfeleistung zu Straftaten“ vor. Sie wertete | |
| den E-Mailverkehr zwischen Euphoria und Miha aus und griff die Kundendaten | |
| ab. | |
| Am 30. April 2015 überflog ein Polizeihubschrauber das Haus von C. und | |
| seiner Frau auf der Suche nach verdächtig hoher Wärmeausstrahlung. | |
| Ergebnis: „Leichte thermische Auffälligkeiten am Objekt“. Der Stromanbieter | |
| Vattenfall bestätigte einen leicht erhöhten Energieverbrauch bei C. Das | |
| reichte für die Durchsuchung. Bundesweit wurden auf Basis der Kundendaten | |
| von Euphoria noch 75 andere Haushalte durchsucht. | |
| Ende der Woche steht für Ralf C. der zweite Gerichtstermin an. Er hält das | |
| Verfahren für absurd und unverhältnismäßig. „Ich habe mich kaputt | |
| gearbeitet und jetzt stehe ich als Krimineller da“, sagt er. „Wenn jemand | |
| drei Fässer Bier im Keller hat, unterstellt man ihm ja auch nicht gleich, | |
| dass er eine illegale Kneipe betreibt.“ | |
| 4 Apr 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Katharina Schipkowski | |
| ## TAGS | |
| Cannabis | |
| Anbau-Verbot | |
| Schmerzen | |
| Cannabis | |
| Cannabis | |
| Cannabis | |
| Cannabis | |
| Cannabis | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Mit Strom gegen den Schmerz: Abgeschwächtes Schmerzsignal | |
| Mit elektrischen Signalen verdrängen Mediziner chronischen Schmerz. Neue | |
| Technologien sollen die Behandlungen schonender machen. | |
| Bremer Haschisch-Politik: Lieber nur als Medizin | |
| Bei einer Expertenanhörung zum Umgang mit Cannabis überwiegen zunächst im | |
| Haus der Bügerschaft die kritischen Stimmen. | |
| Kriminalisiertes Saatgut: Saatgutshopping weiter illegal | |
| Mediseed war der einzige Laden Deutschlands, in dem man legal Cannabissaat | |
| kaufen konnte. Nun wurde die Inhaberin wegen Drogenhandels verurteilt. | |
| Cannabis-Samenhandel: Der deutsche Sonderweg | |
| Die Hamburger Firma Mediseed hat Hanfsamen zum medizinalen Eigenanbau | |
| verkauft. Mittlerweile läuft ein Verfahren gegen die Geschäftsführerin. | |
| Kommentar Cannabis und Medizin: Kein Hanf für Kranke | |
| Ein Bundesinstitut will verhindern, dass Schwerkranke Cannabis selbst | |
| anbauen – zur Linderung ihrer Schmerzen. Eine Petition könnte helfen. | |
| Urteil zu Cannabis als Therapiemittel: Anbau als „Notlösung“ erlaubt | |
| Wer chronisch krank ist und Cannabis für die Therapie braucht, darf dieses | |
| künftig in Ausnahmefällen selbst anbauen. Das entschied das | |
| Verwaltungsgericht Köln. |