# taz.de -- Ausstellung in Berlin: Geschichte zerfällt in Bilder | |
> Zwischen Walter Benjamin und Bossa Nova: Der Künstler Fernando Bryce | |
> zeigt in seiner Wahlheimat Berlin die Serie „To The Civilized World“. | |
Bild: Verwüstetes Leuven. Aus der Serie „To The Civilized World“. | |
Ohne Orte wie die Berliner Staatsbibliothek oder das weltweit einmalige | |
Archiv des Ibero-Amerikanischen Instituts würde es das umfangreiche Werk | |
des in Lima geborenen Künstlers Fernando Bryce wahrscheinlich so nicht | |
geben. Nach dem Studium der Malerei an der Ecole des Beaux-Arts in Paris | |
war Bryce 1991 in das nach dem Mauerfall historisch aufgeladene Berlin | |
gekommen. | |
Hier entdeckte er für sich die Zeichnung als hervorragendes Medium einer | |
künstlerischen Auseinandersetzung mit Geschichte, die immer auch als | |
Weltgeschichte zu verstehen ist. Schließlich erlaubt ihm der vorläufige | |
Charakter der Zeichnung eine sehr viel direktere Umsetzung der Ideen als | |
etwa die Malerei. Seitdem zeichnet Fernando Bryce unverwechselbare Serien | |
in schwarzer Tinte, an deren Beginn immer ein Dokument und die Recherche in | |
den Archiven steht. „Die Ruhe in der Bibliothek ist fantastisch“, so Bryce. | |
In seinem zentralen Werk „Atlas Perú“ (2001), der die Geschichte Perus in | |
verschiedenen Etappen zwischen 1932 und 2001 in seiner ganzen | |
Widersprüchlichkeit in Bildern rekonstruiert, wird die künstlerische | |
Methode besonders deutlich. Mit dynamischem Strich entwickelte er zwischen | |
1999 und 2001 diese Serie aus 495 Zeichnungen. Als Vorlagen dienten | |
Zeitungsartikel und -bilder, Informationsbroschüren und Reklamen aus den | |
jeweiligen Perioden. | |
## Zwischen Walter Benjamin und Bossa Nova | |
Entstanden ist daraus ein ganz eigenes emblematisches Bildkompendium, das | |
die politische und kulturelle Geschichte einer postkolonial geprägten | |
Gesellschaft in Beziehung setzt. Eine Mischung aus Walter Benjamin und | |
Bossa Nova. Auf ähnlich undogmatische und analytische Weise näherte sich | |
Bryce auf 127 Bildern der Geschichte des Spanischen Bürgerkriegs („The | |
Spanish War“, 2003) oder widmete den revolutionären Bewegungen der 1960er | |
Jahre in Lateinamerika einen ausschweifenden Zeichenzyklus („Revolución“, | |
2004). | |
Im März 2014 nun zeigte Bryce zunächst im belgischen Leuven – dort, wo im | |
August 1914 deutsche Soldaten die Universitätsbibliothek niedergebrannt und | |
die Stadt in Trümmer gelegt hatten – „To The Civilized World“, seine Ser… | |
über den Ersten Weltkrieg. Der Titel verweist auf das 1914 veröffentlichte | |
„Manifest der 93“, ein aufgeregtes Bekenntnis deutscher Intellektueller zum | |
vaterländischen Krieg. | |
Auch für diesen Zyklus fördert Bryce in seiner Recherche vergessenes | |
Material aus den Archiven zutage – Propagandaplakate der Kriegsparteien, | |
Postkarten, Reklamen, aber auch Titelseiten der Tageszeitungen von 1914, | |
beispielsweise des peruanischen „El Comercio“. Eine Auswahl davon übertrug | |
er in Zeichnungen, ergänzt durch Porträts der Kriegsverklärer Ernst Jünger, | |
Filippo Tommaso Marinetti oder Guillaume Apollinaire. Das Ergebnis zeigt | |
ein breit angelegtes ikonografisches Panorama der Zerstörung und Gewalt, | |
aber auch der ideologischen Gefechte des Krieges um Zivilisation und | |
Barbarei. Deutlich wird auch die propagandistische Überlegenheit der Briten | |
und Franzosen gegenüber den Deutschen während des Ersten Weltkriegs. | |
## Mind Map des Ersten Weltkriegs | |
In der gleichnamigen, aber um einige Aspekte und durch neue Arbeiten | |
erweiterten Ausstellung, die heute zur Gallery Night der Berliner | |
Kunstmesse abc in der Galerie Barbara Thumm eröffnet, fallen besonders die | |
Bilder von Ruinenlandschaften ins Auge. Sie hängen in unmittelbarer | |
Nachbarschaft zu den illustrierten Automobil- und Weinbrand-Reklamen der | |
Kriegsjahre. Der Kontrast zwischen Wirklichkeit und Illusion könnte größer | |
nicht sein. Vorlage für die mit harten Flächen gezeichneten Ruinen sind | |
Fotografien, die nach der Verwüstung Leuvens in Belgien als Postkarte | |
verschickt wurden. | |
So sind die wenigen fotografischen Motive der Serie in ihrer manuellen | |
Übertragung herausragend. Sie geben einen Hinweis darauf, wie Bryce | |
künstlerische Praxis nicht nur Anleihen an die Methodik des Historikers | |
enthält, sondern auch mit der Entwicklung fotografischer Reproduktionen im | |
zwanzigsten Jahrhundert verbunden bleibt. Die Titelseiten der | |
Tageszeitungen enthielten 1914 noch keine Fotografien. Den von Bryce in | |
Tusche gezeichneten Zeitungsausschnitten der internationalen Presse dieser | |
Zeit haftet trotzdem auch etwas Bildhaftes an. | |
Für die Präsentation in Berlin entschied sich Fernando Bryce dafür, „To The | |
Civilized World“ um eine neue Perspektive zu ergänzen. Also zeichnete er an | |
einer weiteren Umdrehung seiner Mind Map des Ersten Weltkriegs und ergänzt | |
die Serie um Filmstills und Kinoplakate jener Kriegsfilme, die mit dem | |
Aufschwung der Filmindustrie in Deutschland und den USA nach 1918 | |
entstanden und die Ereignisse des Ersten Weltkriegs fiktionalisierten. So | |
produzierte Universal Pictures 1930 Erich Maria Remarques Antikriegsroman | |
„Im Westen nichts Neues“ unter dem Titel „All Quiet on the Western Front�… | |
Auch hier gelingt es Fernando Bryce, die kulturellen und politischen | |
Aspekte dieses Kapitels Weltgeschichte kontrastreich mit dem Pinsel | |
zusammenzuführen – „Geschichte zerfällt in Bilder, nicht in Geschichten“ | |
(Walter Benjamin). | |
22 Sep 2014 | |
## AUTOREN | |
Eva-Christina Meier | |
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