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# taz.de -- Kriegstagebuch aus dem Irak: „Der Kampf wird richtig global“
> Isis ist nicht die einzige mordende Miliz im Irak und die Golfstaaten
> mischen eifrig mit: dritter Teil eines Austauschs über Facebook.
Bild: Während Najem Walis Gesprächspartnerin in Bagdad auf Facebook postet, e…
Posting Nummer 1 – Bagdad, 4. August: „Das gestrige Foto aus al-Kadhimiya
(einem Vorort von Bagdad, wo sich die Gräber zweier Imame der
Zwölferschiiten befinden, des 7. Imams Musa al-Kadhim und des 9. Imams
Mohammed al-Taqi, d. A.) war herzzerreißend und schmerzhaft. Dutzende
Familien, Kinder, alte Männer und Frauen wurden aus ihren Häusern und
Vierteln vertrieben. Herausgerissen aus ihrem Leben und ihren Träumen, auf
der Flucht, um ihre nackte Haut zu retten. Es erinnert mich an das Jahr
1991, den Aufstand gegen das Saddam-Regime. Damals war ich noch eine
Schülerin, als mir plötzlich die Bedeutung einer militärischen Meldung klar
wurde. ’Unsere Truppen haben feindliche Stellungen bombardiert und dem
Feind empfindliche Verluste beschert‘, meldete damals das Saddam-Regime. In
die Tankstelle neben unserem Haus in Hila, wo ich mit meiner Familie
wohnte, hatte eine Rakete eingeschlagen. Auch unser Haus hat gebebt. Iraker
sind es gewohnt, Häuser, Träume und Heimat in einem Moment zu verlieren.
Wie soll man ohne Hoffnung und Illusionen leben?“
Posting Nummer 2 – 14. August: „Ein Gefühl von Enttäuschung, Zweifel und
Hilflosigkeit stellt sich ein, wenn der Mensch um sich herum nichts als
Zerstörung sieht. Der Boden scheint unter dir nachzugeben, du hängst
buchstäblich in der Luft. So fühle ich mich gerade, und wie ich wohl die
Mehrheit der Iraker.“
Posting Nummer 3 – 16. August: „Ich glaube, dass alle wissen (egal wie dumm
jemand ist!), dass hinter der die Region heimsuchenden Verwüstung die
beduinischen Machthaber in Saudi-Arabien und den Golfländern stecken. Sie
wollen damit jene Zentren zerstören, die einen Schimmer an Hoffnung
ausstrahlen. Diese Regionalmächte machen keinen Hehl aus ihrer Verschwörung
und können sich dabei auf ihre Wirtschafts- und Medienmacht stützen. Das
Königreich Saudi-Arabien überzieht die Region seit vierzig Jahren mit
seiner Propaganda wie ein medialer Oktopus, mit lokalen Tentakeln aus einem
Heer gekaufter Lobbyisten und Journalisten.“
Posting Nummer 4 – 20. August: „Isis spricht Chinesisch. Es soll
tatsächlich chinesische Krieger bei Isis geben. Das haben gestern
Flüchtlinge, die aus Dijala kamen, erzählt. Jetzt wird der Kampf richtig
global. Oder surreal?“
Am 21. August veröffentlicht unsere Frau in Bagdad drei Fotos von drei
bewaffneten Frauen. Eines zeige eine Jesidin in Sindschar, eines eine
Schiitin in Amerli und das dritte eine Sunnitin in al-Anbar. Alle drei
seien im Kampf gegen Isis gefallen. Ihr Facebook-Eintrag preist sie als
Märtyrerinnen.
Posting Nummer 5 – 26. August: „Wieder gibt es Videos von einer
Enthauptung. Ein US Journalist, namens James Foley. Wie in der Zeit von
al-Qaida und al-Sarkawi. Widerlich! Aus welchem Holz sind diese
Massenmörder geschaffen?“
Posting Nummer 6 – 31. August: „Eine gute Nachricht: Die irakischen
Streitkräfte haben zusammen mit freiwilligen Kämpfern die wochenlange
Belagerung von Amerli durchbrochen und Isis zurückgeschlagen.“
Posting Nummer 7 – 31. August: „Eine Frage stellt sich: Wieso konnte eine
so kleine Stadt wie Amerli (mit ca. 40.000 Einwohnern) wochenlang
Widerstand gegen den Isis-Abschaum leisten und durchhalten, während eine
Millionenstadt wie Mossul an einem Tag gefallen ist?“
Posting Nummer 8 – 2. September: „Noch ein neues Video von den Verbrechern.
Es zeigt die Enthauptung eines zweiten US-amerikanischen Journalisten,
Stephan Sotloff. Kann man mir sagen, was diese Mörder damit beabsichtigen?“
Wieder einige Tage später, am 7. September, habe ich sie erneut im Internet
angetroffen, es entspann sich folgende schriftliche Konversation.
Wali: Finally, endlich, da bist du. Habe dich vermisst in den letzten
Tagen.
Sie: Ich dich auch. Ich war beschäftigt. Und das Netz war sowieso müde.
Wali: Ich hoffe, es geht dir gut.
Sie: Ich bin wie das Netz. Mal so, mal so. Und die Lage verspricht alles
andere, als sich zu bessern. Wenn du Familie und Freunde in Bagdad hast,
bitte hilf ihnen, dass sie Richtung Süden gehen oder am besten noch ganz
raus aus dem Irak können. Tu, was du kannst, ihnen zu helfen.
Wali: Was ist mit dir? Willst du das Land verlassen?
Sie: Ja, ich denke daran, das Land zu verlassen. Die Frage ist, wohin?
Außerdem: Immer wenn ich ans Weggehen denke, überfällt mich ein
Schuldgefühl. Dann denke ich, jetzt wegzugehen sei Verrat. Entschuldige,
ich will nicht Parolen ausgeben, aber das ist mein echtes Gefühl. Viele
Male wollte ich schon weggehen, so weit weg wie möglich von diesem Land,
habe es schon geplant. Aber ich kann den Irak nicht verlassen, während
alles hier zusammenbricht. Wenn ich gehe, möchte ich gleichzeitig die
Hoffnung haben, dass das Land eines Tages zur Ruhe kommt und seine
Bedeutung wiederfinden wird. Aber ehrlich gesagt, ich will trotzdem weg.
Der Irak ist in Korruption versunken. Denen, die das Land regieren,
bedeuten die Menschen nichts.
Wali: Das alles ist nicht neu.
Sie: Ich weiß. Ich hatte mich zuletzt wie die meisten Menschen in Bagdad
und anderen Städten an die Sicherheitsprobleme gewöhnt. Ich hatte mich
daran gewöhnt, mit dem Tod auf der Straße zu gehen. Aber nicht an die Macht
der Dunkelheit und jener Fledermäuse, die darin nun aufgetaucht sind. Ich
meine, es war bereits dunkel, aber jetzt ist es stockfinster. Bis jetzt gab
es Hoffnung, dass der Sturm einmal abzieht und sich Raum für Wiederaufbau
und Entwicklung auftut. Aber jetzt? es gibt keinen Traum mehr und kaum mehr
Hoffnung.
Wali: Ich verstehe deine Gefühle. Aber was könnte noch Schlimmeres
passieren, als in den vergangen Jahren bereits passiert ist?
Sie: Bagdad ist jetzt relativ stark und sicher in der Verteidigung. Weder
al-Baghdadi (der Isis-Kalif) noch zehn seinesgleichen können hier etwas
erreichen. Ich meine, was die Eroberung der Stadt betrifft. Das Problem ist
nach Baghdadi.
Wali: Bitte erklär, was du damit meinst.
Sie: Das Land liegt jetzt völlig in den Händen der Milizen. Es gibt keine
Armee. Der nächste Schritt wird ein Krieg zwischen den schiitischen Milizen
sein. Denn seit Kurzem morden die as-Sajib und andere schiitische Milizen
wieder in Bagdad. Sie plündern wahl-, moral- und religionslos. Alle wissen,
dass der Sicherheitsapparat zusammengebrochen ist. Den wiederaufzurichten
scheint fast unmöglich. Das Thema hängt von der politischen, ethnischen,
konfessionellen Verteilung ab.
Wali: Ein düsteres Bild. Ich habe von dem Verbrechen an den 24 Frauen im
Stadtteil von Sajona in Bagdad gehört. Sie wurden vor einiger Zeit in ihrem
Haus mit Waffen, die mit Schalldämpfer versehen waren, liquidiert, weil sie
angeblich Prostituierte waren. Al-Baghdadi scheint tatsächlich nur einer im
Meer der extremistischen Milizen zu sein.
Sie: Genau. Er ist ein klar zu lokalisierender Feind. Er sagt, was er
vorhat. Du weißt, woran du bist. Du kannst gegen ihn kämpfen, flüchten oder
sterben. Mit den Milizen verhält sich die Sache anders. Die Übergänge sind
undeutlicher zwischen Gruppen, aktiven Unterstützern und Sympathisanten.
Und immer finden sie eine Ausrede.
Wali: Aber was wäre die Lösung? Eine Regierung, gebildet aus Technokraten
der drei Volksgruppen, Schiiten, Sunniten, Kurden?
Sie: Es wird keine solche Regierung geben. Auch jetzt nicht mit Abadi.
Selbst wenn al-Baghdadi kommt. Die politischen Persönlichkeiten müssten
aufhören, so egoistisch zu handeln, ein Minimum des
Zusammengehörigkeitsgefühls in diesem Land entwickeln. Ein Minimum an
Menschlichkeit, um eine nationale Regierung und zivile Institutionen zu
bilden. Aber das ist ein ferner Traum. Das kann noch 20 oder 30 Jahre
dauern, bis es soweit ist.
Wali: Höre ich da ein wenig Optimismus?
Sie: Oh, hat das so geklungen?
Wali: Bei aller Verzweiflung, ohne Hoffnung geht es nicht.
Sie: Das stimmt. Was soll man sonst über alle Geschlechter und Religionen
hinwegtun.
Wali: Bis zum nächsten Mal.
Sie: Ja, hoffentlich sprechen wir uns bald wieder.
Es war das erste Mal, dass wir uns mit einem „wir“ verabschiedeten.
Der Autor ist irakischer Schriftsteller und lebt in Berlin. Im Frühjahr
erschien sein Roman „[1][Bagdad Marlboro]“ im Hanser Verlag. Der erste Teil
des Austauschs mit unserer Frau in Bagdad, die aus Gründen der Sicherheit
anonym bleiben muss, erschien am [2][18. Juni 2014], der zweite am [3][3.
August 2014].
24 Sep 2014
## LINKS
[1] http://www.hanser-literaturverlage.de/buecher/buch.html?isbn=978-3-446-2448…
[2] /Kriegstagebuch-aus-dem-Irak/!140620/
[3] /Kriegstagebuch-aus-dem-Irak/!143481/
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