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# taz.de -- DGB im Streit mit Freiberuflern: Wider besseres Wissen
> Zwischen Selbstständigen und dem DGB-Bildungswerk kommt es wegen
> schlechter Bezahlung zum Eklat. Kritik wird als Vertrauensbruch gewertet.
Bild: Das Bildungswerk des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) prangert prekär…
Mit dieser E-Mail hatte er nicht mehr gerechnet: „Hallo D.,“ stand da. „I…
muss Dir mitteilen, dass ich mich dazu entschlossen habe, Dich aus dem Team
auszuschließen. Du wirst keine weiteren Aufträge erhalten.“ D. hatte bis zu
diesem 27. Juni 2014 sechs Jahre lang freiberuflich für das
DGB-Bildungswerk gearbeitet. Der studierte Künstler bot etwa Seminare zum
Einfluss von Medien auf das soziale Leben an.
Das Bildungswerk, die bundesweite Weiterbildungsorganisation des Deutschen
Gewerkschaftsbunds, organisiert Seminare für Gewerkschaftsfunktionäre und
Betriebsräte, aber auch für Arbeitnehmer oder Schulklassen. Fast 500
solcher Veranstaltungen wurden vergangenes Jahr angeboten, etwa 6.800
Menschen nahmen teil. Der DGB steuert rund 6 Millionen Euro zum Jahresetat
bei, das entspricht ungefähr einem Drittel. Weitere Geldgeber sind etwa die
Bundeszentrale für Politische Bildung oder das Entwicklungsministerium.
In den vergangenen Jahren musste das Bildungswerk sparen. Man schloss
Tagungshäuser und ersetzte hauptamtliche Mitarbeiter verstärkt durch freie.
Angesichts der vor allem in den 90er Jahren stark gesunkenen
Mitgliederzahlen bei den Gewerkschaften schien das unumgänglich,
gleichzeitig bescherte es dem DGB ein wachsendes Glaubwürdigkeitsproblem.
Nach außen prangert der DGB prekäre Beschäftigung an Volkshochschulen oder
in der beruflichen Weiterbildung an: „Die massive Verbreitung von schlecht
dotierten Honorarverträgen muss deutlich zurückgedrängt werden“ , heißt es
im Leitantrag „Gute Bildung für Gute Arbeit“, der im Mai verabschiedet
wurde. Den eigenen Betrieb klammert man aus.
Dabei profitiert das DGB-Bildungswerk von mäßig bis schlecht entlohnten
freien Mitarbeitern. Die meisten Seminare werden heute von externen
Qualifizierten wie D. angeboten, 262 waren es 2013. Daneben beschäftigt das
Bildungswerk Bund noch 130 hauptamtliche Mitarbeiter.
Die Externen beim Bildungswerk bekommen für Projekte an Schulen zwischen
120 und 150 Euro pro Tag. Im Bereich Bildungsurlaub, wo D. arbeitete, gibt
es immerhin 350 Euro Tageshonorar. Davon bestreiten viele allerdings nicht
nur den Lebensunterhalt, sondern müssen sich auch gegen Krankheit, Unfall
und Alter versichern. Zudem stagnieren die Honorare seit zehn Jahren, wie
das Bildungswerk bestätigt. Die allgemeine Einkommensentwicklung ist dem
DGB im eigenen Betrieb also ziemlich egal.
## „Komplett an der Realität vorbei“
Die Geschäftsführerin des Bildungswerks, Claudia Meyer, begründet die
Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit damit, dass die meisten
Referenten nicht mehr als drei Seminare pro Jahr gäben. Die Situation sei
insofern nicht zu vergleichen mit der in Volkshochschulen oder
Integrationskursen: Dort würden die Freiberufler mehrere Wochen lang
eingesetzt, seien also in die Betriebsabläufe stärker integriert als beim
Bildungswerk. „Gerade im Jugendbereich verstehen sich unsere Freiberufler
vor allem als Ehrenamtliche“, sagt Meyer.
„Das geht komplett an der Realität vorbei", sagt ein Referent, der unter
anderem von Seminaren für die DGB-Jugendbildungsstätte Flecken Zechlin, das
Haus der Gewerkschaftsjugend Berlin-Brandenburg lebt. „Das ist einfach nur
prekäre Arbeit." Zechlin, „ein Ort für Begegnung und ein solidarisches
Miteinander", zahlt Referenten ein Tageshonorar von 100 Euro.
Nach taz-Recherchen befindet sich die DGB-Jugendbildungsstätte in guter
Gesellschaft. Beim Kurt-Löwenstein-Haus, einer Bildungsstätte der
sozialistischen Jugend Die Falken, die „Bildungsarbeit als Teil der
Auseinandersetzung für eine Welt" versteht, „die ohne Ausbeutung von
Menschen durch Menschen funktioniert", bekommen Seminarleiter ein
Tageshonorar von 110 Euro.
Hart verdientes Geld: Im Honorar inbegriffen sind neben einem unbezahlten
Vorbereitungstreffen auch die Vor- und Nachbereitung des Seminars.
„Feierabend oder Freizeit gibt es nicht wirklich, weil wir ja dort
übernachten", sagt eine Referentin. Üblich sei zudem, dass die Referenten
eine Pauschale für Unterkunft und Verpflegung abgeben. Sie möchte, wie auch
andere ReferentInnen, mit denen die taz sprach, auf keinen Fall namentlich
erwähnt werden. „Das spricht sich rum, wenn jemand Stress macht. Dann
bekommt man keine Aufträge mehr."
107.000 solcher hauptberuflich freiberuflicher Dozenten und Lehrer gab es
nach einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaft (DIW) im Jahr
2009. „Inzwischen dürfte die Anzahl noch gewaltig zugenommen haben, weil
der Weiterbildungssektor wächst“, sagt Studienautor Karl Brenke vom DIW.
## Freiberufler arbeiten in prekären Verhältnissen
Über die Hälfte der Freiberufler in der allgemeinen Weiterbildung lebt in
prekären Verhältnissen oder ist davon bedroht, wie eine Studie der
Universität Duisburg-Essen im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung vom Juli
zeigt. Ihre Einkommen liegen also im Niedriglohnbereich, sie sind kaum
sozialversichert, ihre berufliche Perspektive gilt als unsicher. Die
Autoren verweisen auf eine „Zweiklassengesellschaft“ in der öffentlich
finanzierten Weiterbildung: auf der einen Seite das festangestellte
Personal, auf der anderen die von Prekarität betroffenen Dozenten und
Lehrkräfte.
Zudem genießen die Freien keine Arbeitnehmerrechte, für sie gelten weder
Kündigungsschutz noch betriebliche Mitbestimmung. „Wir werden behandelt wie
Lieferanten“, sagt einer, der seit Jahren für das DGB-Bildungswerk
arbeitet.
Vor drei Jahren gründeten einige Externe mit Unterstützung der
Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di daher eine Interessensvertretung. Auch
D. schloss sich an. In einem Papier vom Februar 2013 fordern sie das
DGB-Bildungswerk auf, die Honorare zu verdoppeln, „um auch für die freien
ReferentInnen die umfassenden Anforderungen und Kriterien von ’Guter
Arbeit‘ (DGB Kampagne) zu erfüllen. Gerade die Gewerkschaften müssen
beispielhaft und glaubwürdig handeln“, argumentieren sie.
## Eine folgenreiche Bemerkung
Die lange schwelenden Konflikte entzündeten sich auf einer Veranstaltung
Ende Mai. Das Bildungswerk hatte zum „FlowMarkt“ nach Hattingen eingeladen.
Flow wie fließen – denn auf der dreitägigen Veranstaltung sollte es darum
gehen, sich auszutauschen und Ideen für weitere Seminare zu sammeln.
Zusammen mit Kollegen setzte D. das Thema „Vernetzung statt Vereinzelung“
auf die Tagesordnung. Diskutiert werden sollte etwa das Gefälle zwischen
hauptamtlichen und ehrenamtlichen Mitarbeitern beim Bildungswerk und der
eigene unsichere Status.
Die Atmosphäre während der dreitägigen Tagung beschreibt D. als extrem
locker. „Man konnte während einer Session rausgehen und Kuchen holen.“
Diskutiert wurde auch, was denn gute politische Bildung sei – wenn man so
will, das Kerngeschäft der Anwesenden. Einer der Hauptamtlichen meinte, ein
Seminar sei erfolgreich, wenn die Teilnehmer rausgingen und „Hurra, hurra“
riefen. D. entgegnete trocken: „Dann wäre es folgerichtig, wenn jeder
Teilnehmer nach Seminarende einen geblasen bekommt.“ Die Abkehr des
Bildungswerks von dem Anspruch, politische Bildung zu machen hin zu immer
mehr Serviceorientierung, habe er seit Längerem kritisiert, begründet D.
seine flapsige Bemerkung.
Einen Monat lang hörte er nichts vom Bildungswerk. Dann kam jene Mail. Zur
Begründung hieß es darin: „Auslöser sind Deine verletzenden Äußerungen“
während des Treffens. Die Interessenvertretung wiederum zeigt sich in einer
Stellungnahme vom 12. August sehr irritiert über die Umstände des
Ausschlusses: D. wurde nicht zu den Vorwürfen angehört, der Vorwurf nicht
konkretisiert.
Auch gegen einen anderen Kollegen seien schwerwiegende Anschuldigungen
erhoben, „die nicht konkretisiert wurden“, kritisiert die
Interessenvertretung und fragt: „Werden ausgerechnet die engagiertesten
Kollegen abgestraft – ein Zeichen an Andersdenkende?“
Geschäftsführerin Meyer widerspricht: „Einer der beiden hat eine Aussage
getroffen, die eindeutig nicht mit unseren Werten und Zielen vereinbar ist,
ein anderer hat ein problematisches kommunikatives Verhalten an den Tag
gelegt.“ In beiden Fällen seien vergleichbare Maßstäbe zugrunde gelegt
worden, die auch für Festangestellte gälten. Allerdings können sich
Festangestellte in solchen Fällen an den Betriebsrat wenden und gegen eine
Kündigung klagen. Für die Freien gilt das nicht. Ihre Interessenvertretung
wurde gar nicht informiert.
Dabei ist das Bildungswerk kein besonders fieser Arbeitgeber in einer
Branche, die von Willkür, schlechter Bezahlung und fehlender Mitbestimmung
gekennzeichnet ist. Wie Beispiele von anderen öffentlich geförderten
Trägern zeigen, die Seminare zur politischen Bildung anbieten, folgen
Auseinandersetzungen einer ähnlichen Logik wie beim DGB: In dem
Bewusstsein, dass man auf der richtigen Seite steht und Gutes tut, wird
Kritik als Nestbeschmutzung gewertet, Arbeitskämpfe werden als
Loyalitätsbruch geahndet.
So forderten die Seminarleiter der Ver.di-Bildungsstätte Konradshöhe in
Berlin im Sommer eine Erhöhung ihrer Tagessätze von 100 auf 140 Euro. Als
das Bildungswerk darauf nicht einging, schickten die Seminarleiter eine
Mail an Referenten mit der Bitte, die Forderung zu unterstützen, indem man
sich nicht auf das entsprechende Jobangebot der Bildungsstätte bewerbe. Die
Geschäftsleitung des Bildungswerks, eines formal unabhängigen Vereins,
dessen Vorstand aber mit Ver.di-Leuten besetzt ist, wertete das als
Boykottaufruf und kündigte die Rahmenvereinbarung aller Seminarleiter.
## „Völlig ausgesaugt“
Zwei andere freiberufliche Referenten berichten von einer ähnlichen
Auseinandersetzung beim Verein Christlicher Jugendaustausch (ICJA) vor zwei
Jahren. Der Verein ist eine von 177 Organisationen, die für das
Entwicklungsministerium das „Weltwärts“-Programm abwickeln und junge
Menschen in Entwicklungsländer schicken. Der jährliche Vereinsetat beträgt
drei Millionen Euro, rund ein Drittel davon steuert das Ministerium bei.
Auf ihren Auslandsaufenthalt werden die Jugendlichen von Trainern wie A.
und P. zehn Tage lang vorbereitet. Die Tage beginnen um 7 Uhr und enden
abends mit dem letzten Bier im Kreis der Teilnehmer. „Nach zehn Tagen fühle
ich mich immer völlig ausgesaugt“, sagt P. und schüttelt den Kopf: „Wir
klären über Gewerschaftsrechte in Kolumbien auf, aber interne
Ungerechtigkeiten thematisieren wir nicht.“
Der Verein ICJA zahlte seinen TrainerInnen im Jahr 2010 Tagessätze von 140
Euro. Um bessere Honorare und mehr Mitbestimmung zu fordern, schlossen sich
die TrainerInnen zusammen. „Wir wollten raus aus der Vereinzelung“, sagen
A. und P.
Auf dem Höhepunkt der Auseinandersetzung – „Das Wort Arbeitskampf war
verpönt“ – wurde ihnen mitgeteilt, dass künftig eine Halbtagskraft ihre
Aufgaben übernehmen werde. A. und P. bekamen keine Aufträge mehr, die
Honorare der verbleibenden Trainer wurden immerhin um 60 Euro erhöht.
„Ach, die alte Geschichte“, sagt ICJA-Geschäftsführer Stephan Langenberge…
Nein, es habe eigentlich keinen Zusammenhang zwischen dem Ausscheiden
mehrerer Trainer und den Forderungen der Interessenvertretung gegeben. Die
Betreffenden hätten den Konflikt in die Gruppe der Seminarteilnehmer
getragen. „Das war nicht korrekt.“
Sie erörterten damals die Frage, ob man sich Hilfe bei der Gewerkschaft
holen sollte, sagen A. und P. Der Gedanke wurde verworfen: „Weil die
Gewerkschaften selbst so miese Arbeitgeber sind.“
28 Sep 2014
## AUTOREN
Anna Lehmann
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