# taz.de -- Gewaltbereiten Salafismus verhindern: Umfassend gegen Radikalisieru… | |
> Hamburger Behörden und muslimische Verbände haben ein Konzept zur | |
> Deradikalisierung von Jugendlichen vorgelegt. | |
Bild: Je früher man versucht, gegen Radikalisierung vorzugehen, desto höher d… | |
HAMBURG taz | Hamburger Behörden haben in der vergangenen Woche die | |
Ausreise von vier Jugendlichen in die Türkei verhindert, weil diese | |
vermutlich nach Syrien weiter reisen wollten. Die Eltern hatten | |
One-Way-Tickekts bei den zwei Mädchen (14 und 15 Jahre) und zwei Jungen (17 | |
Jahre) aus Altona gefunden. Auf Rat der Behörden nahmen sie ihren Kindern | |
die Pässe weg. Es gebe jetzt ein „Ermittlungsverfahren, um | |
herauszubekommen, was da gelaufen ist“, sagt Polizeisprecher Andreas | |
Schöpflin. | |
Für Rechtsanwalt Mahmut Erdem ist dieser neue Fall nur die „Spitze des | |
Eisbergs“. Er ist Sprecher des „Elternrats Aktionsinitiative gegen die | |
IS-Miliz“, an der acht Eltern teilnehmen, deren Kinder bereits in den | |
Kriegsgebieten sind oder dies planen. „Wir gehen davon aus, dass über | |
hundert Jugendliche aus Hamburg in Syrien kämpfen“, sagt Erdem. Den | |
Behörden seien viele Fälle nicht bekannt. Auch werde zu wenig gegen die | |
Hintermänner unternommen, die die Jugendlichen anwerben. Die Eltern würden | |
oft allein gelassen und zu wenig ernst genommen. Nötig sei | |
niedrigschwellige Beratung und eine Hotline in mehreren Sprachen. | |
Eine Beratungsstelle für den Norden | |
Bislang hat Hamburg noch keine eigene Beratungsstelle für Eltern | |
radikalisierter muslimischer Jugendlicher. Zur Zeit werden rund 40 | |
Hamburger Familien von der in Bremen angesiedelten Beratungsstelle „Kitab“ | |
betreut, die mit zwei halben Stellen den ganzen Norden versorgt. | |
Doch in der Hamburger Sozialbehörde sieht man den Handlungsbedarf. „Hier | |
sind junge Menschen in ihrem Leben bedroht“, erklärt Petra Lotzkat, die | |
Leiterin des Amtes für Arbeit und Integration. Hamburg wird Kitab | |
kurzfristig um mehrere Stellen aufstocken. | |
Gewaltbereiter Salafismus sei ein Jugendthema und nicht auf muslimische | |
Familien begrenzt – es gebe einen hohen Anteil von Konvertiten, sagt | |
Lotzkat. Betroffen sei eine Altersgruppe von zwölf bis Anfang 20. Die | |
Radikalisierung sei besonders aus sozialarbeiterischer und psychologischer | |
Perspektive zu betrachten. Oft verstünden die Eltern gar nicht, was mit | |
ihren Kindern passiere. Die Berater würden den Eltern mit systemischer | |
Familienberatung zeigen, wie sie wieder Kontakt zu ihren Kindern bekommen | |
könnten. | |
Die Amtsleiterin hat gemeinsam mit anderen Behörden ein umfassendes Konzept | |
erarbeitet, dass auch die muslimischen Verbände in Hamburg unterstützen. | |
Das am Freitag vorgestellte Papier richtet sich sowohl gegen „religiös | |
motivierten Extremismus“ als auch gegen „anti-muslimische Diskriminierung�… | |
„Beides sind Seiten einer Medaille“, sagt Murat Piroldar vom Verband der | |
Islamischen Kulturzentren (VIKZ). | |
"Vagabundierende Szene" hat sich festgesetzt | |
Die Lage in Hamburg sei besonders, sagt Norbert Müller von der Schura, dem | |
Rat der islamischen Gemeinschaften Hamburg. Es gebe keine zentrale Moschee | |
für Salafisten, dies sei eine „vagabundierende Szene“, die sich dort | |
festsetze, wo eine Gemeinde nicht gut strukturiert sei. Man wolle deshalb | |
Imame in Tagesseminaren schulen. | |
Viele der Radikalisierten kämen in den Gemeinden gar nicht mehr an, so | |
Müller. Es seien oft junge Menschen, die schwerer an eine Ausbildung kämen, | |
weil sie einen arabischen oder türkischen Namen haben. „Die fühlen sich | |
abgewertet: Diese Gesellschaft will mich nicht, also will ich diese | |
Gesellschaft auch nicht.“ Viele kämen auch aus nicht-religiösen | |
Elternhäusern und würden wegen ihres Namens auf ihr Muslim-Sein | |
angesprochen. Es handle sich um ein „Identitätsthema“ und darum, „dass | |
Menschen einen Sinn in dieser Gesellschaft brauchen“. | |
Beim dem Thema klaffe eine „Zuständigkeitslücke“, heißt es im Konzept. | |
Deshalb gibt es nun ein „Netzwerk Prävention und Deradikalisierung“ mit | |
einem Beirat, in dem sich die Akteure auf Analyse und Vorgehen | |
verständigen. Eine Gruppe soll Präventionsarbeit planen, wie etwa | |
Theaterprojekte, Kampagnen oder die „Etablierung von Gegen-Diskursen“. Die | |
Arbeitsgruppe „Intervention“ rekrutiert sich aus den beteiligten Behörden. | |
Das wichtige dritte Element ist das „mobile Beratungsteam“, eine Aufgabe, | |
die gegenwärtig Kitab ausfüllt. Hier wird Hamburg laut Konzept-Papier | |
mindestens drei Stellen aufstocken. Doch das Netzwerk soll mehr leisten. Es | |
gehe um eine „Entdramatisierung des Themas“, so das Papier. Lehrer zum | |
Beispiel müssen unterscheiden lernen, was bei ihren Schülern Hinweis aus | |
Radikalisierung oder einfach nur gelebte fromme Religiosität sei. Denn | |
junge Muslime, so berichtet Lotzkat, erlebten auch Benachteiligungen als | |
Folge der angeheizten Salafisten-Debatte. | |
29 Sep 2014 | |
## AUTOREN | |
Kaija Kutter | |
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