# taz.de -- Islamisches Selbstvertrauen: „Es gibt ein Problem“ | |
> Die Schura Hamburg über den Umgang des Islam mit Extremismus. | |
> Islamwissenschaftlerin Katajun Amirpur spricht über Pegida, | |
> Radikalisierung und Abschottung | |
Bild: Katajun Amirpur im Gespräch über Muslime in Deutschland. | |
taz: Frau Amirpur, bedeutet es eine Zeitenwende, dass die Schura in Hamburg | |
fragt, wie sie den Ursachen von Islamismus entgegentreten kann? | |
Katajun Amirpur: Das würde ich so nicht sagen. Es ist zwar eine breit | |
anlegte Konferenz am Wochenende, aber in den letzten Jahren hat sich die | |
Schura vielfältig mit dem Phänomen beschäftigt. Das hat sicher auch damit | |
zu tun, dass die Attentäter des 11. September aus Hamburg stammten und man | |
sich fragte: Warum haben wir nicht bemerkt, dass sie unter uns waren? | |
Wie sieht diese Arbeit aus? | |
Imam Abu Ahmad Jakobi gibt schon lange Kurse, in denen er Studierende auf | |
die Gefahren des Extremismus hinweist. Auch der Staatsvertrag zwischen | |
muslimischen Gemeinden und dem Land Hamburg ist eine Initiative, um zu | |
zeigen: Wir sind gegen extremistische Haltungen und wir wollen einen | |
Religionsunterricht für alle. | |
Ist diese Beschäftigung mit Extremismus auf beiden Seiten auch Ausdruck | |
eines gewachsenen Selbstbewusstseins der Gemeinden? | |
Es ist ein wichtiger Punkt, genügend Selbstbewusstsein zu haben, um zu | |
sagen: Es gibt da ein Problem und man kann nicht einfach sagen, das hat mit | |
dem Islam nichts zu tun. Man muss sagen, warum es mit dem Islam nichts zu | |
tun hat. Und wir haben theologische Ressourcen, um uns dem | |
entgegenzustellen. Wobei immer wieder eingefordert wird, dass sich die | |
Muslime vom Terror distanzieren – aber kaum jemand nimmt wahr, dass es | |
ständig geschieht. Erst im September gab es eine Erklärung von 140 | |
muslimischen Geistlichen aus aller Welt an den selbst ernannten Kalifen von | |
Bagdad, die darlegte, dass das, was der islamische Staat tut, islamisch | |
nicht zu rechtfertigen ist. Das ist ein gigantisches Manifest – niemand hat | |
es wahrgenommen. | |
Liegt in der gegenwärtigen Polarisierung auch die Chance, Positionen klar | |
zu machen? Bei der Mehrheitsgesellschaft, sich zum Islam in Deutschland zu | |
bekennen, und bei den Muslimen, ihr religiöses Verständnis zu klären? | |
Ein klares Jein, würde ich sagen. Bestimmte Dinge werden durch Pegida | |
geklärt. So fürchterlich ich diese Aufmärsche finde, so großartig sind die | |
Gegendemonstrationen: Ich komme gebürtig aus Köln und als ich am Montag das | |
Bild der Altstadt im Dunkeln sah, dachte ich schon: Wahnsinn, dass so viele | |
Leute gegen Pegida auf die Straße gehen. Liest man andererseits die neue | |
Bertelsmann-Studie zu Muslimen in Deutschland, wird deutlich, dass es die | |
sogenannten Bio-Deutschen sind, die sich zunehmend abschotten, während die | |
Muslime ausgesprochen zufrieden mit diesem Staat sind. Sie haben mehr | |
Vertrauen in Polizei und Justiz. | |
Das heißt, die Verunsicherung liegt bei den Bio-Deutschen? | |
Natürlich sind auch all die jungen Muslime verunsichert, die offensichtlich | |
verlorengegangen sind und bei denen man sich fragt: Warum hat es hier nicht | |
geklappt? Warum schätzen es etwa diese jungen Frauen nicht, ein | |
gleichberechtigtes Leben führen zu können und begeben sich lieber in den | |
Irak, um sich dort verheiraten zu lassen? | |
Haben Sie eine Erklärung? | |
Zum Teil kann man es damit erklären, dass man selbst mit einem guten | |
Abschluss mehr Probleme hat, eine Stelle oder eine Wohnung zu bekommen, | |
wenn man Yüksel heißt und nicht Müller. Aber das kann nur ein Teil des | |
Ganzen sein. | |
Das Verstörende ist doch, dass es zum Teil Leute mit guten beruflichen | |
Perspektiven sind, die sich radikalisieren. | |
Die aber zum Teil das Gefühl haben: Egal, wie sehr sie sich anstrengen, sie | |
gehören nicht richtig dazu. Das klingt blöde nach Opferdiskurs, aber es | |
gibt Dinge, die immer wieder passieren: Leute, die einem sagen: „Sie | |
sprechen aber gut Deutsch“ oder „Wann gehen Sie zurück?“. Vor 30 Jahren | |
hätte man das verstanden, aber jetzt? Meine Mutter ist Deutsche, wir sind | |
in der dritten Generation hier und als meine Tochter in der zweiten Klasse | |
einen Lesewettbewerb gewonnen hat, sagten die Veranstalter: Wir finden es | |
toll, dass ein Kind mit einem ausländischen Hintergrund gewonnen hat. | |
Und dabei ist es fatalerweise gut gemeint. | |
Man kann dem wenig entgegnen. Es ist eine Form von: Ihr werdet nie | |
dazugehören. Seit die Türken durch die Änderung des | |
Staatsbürgerschaftsrechts Deutsche sind, macht sich das viel stärker am | |
Islam fest. Und: Muslime sind in den letzten Jahren so selbstbewusst | |
geworden, dass sie andere Positionen einfordern. Es sind jetzt nicht mehr | |
Putzfrauen mit Kopftuch, sondern Anwältinnen und Ärztinnen. | |
## Tagung „Extremismus als islamische und gesellschaftliche | |
Herausforderung“: Sa, 9.45 bis 17.30 Uhr, Islamisches Zentrum Hamburg, | |
Schöne Aussicht 36 | |
9 Jan 2015 | |
## AUTOREN | |
Friederike Gräff | |
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