# taz.de -- Aktivist über Anti-Einheitsfeier: „Das Zwergenhafte schützt uns… | |
> Ein linksradikales Bündnis mobilisiert gegen die Einheitsfeier in | |
> Hannover. Statt kapitalistisches Staatswohl will man solidarischen | |
> Egoismus feiern. | |
Bild: Keine Freunde der Nation: DemonstrantInnen bei den Feierlichkeiten zu 20 … | |
taz: Herr Helfst, im Demo-Aufruf Ihres Bündnisses ist von Armut und | |
Leistungszwang die Rede. Was hat das mit der deutschen Einheit zu tun? | |
Tobias Helfst: Der Feiertag ist ein Symbol für den deutschen Nationalismus. | |
Und der ist ein Programm, sich dem Wohl des kapitalistischen Staates zu | |
unterwerfen. Wir setzen einen solidarischen Egoismus dagegen: Wenn die | |
Menschen sich erst mal um ihre eigenen Bedürfnisse kümmern, statt zu | |
fragen, was sie für den Staat tun können, wäre schon viel gewonnen. Darum | |
wird jedes Jahr gegen den Einheitsfeiertag demonstriert. | |
Anfangs ging es um die Sorge, das wiedervereinigte Deutschland werde zum | |
„Vierten Reich“. Geht es immer noch gegen die Einheit? | |
Nein, das wäre völlig anachronistisch. Wir haben schon reflektiert, dass | |
ein Wandel stattgefunden hat. Das hängt auch an dem Datum. Bis 1990 wurde | |
am 17. Juni kollektiv unter der Teilung Deutschlands gelitten: „Wir armes | |
deutsches Opfer-Volk“. Am 3. Oktober wird inzwischen aber ein Sieg | |
gefeiert. Das hat auch eine psychologische Dimension für die | |
NationalistInnen. | |
Sind das heute nicht auch andere Menschen? Deutsche WM-Siege wurden auch | |
von MigrantInnen gefeiert. | |
Es gibt ein Sammelsurium verschiedenster Nationalismen – von rechten | |
Kulturrassisten bis zu Verfassungspatrioten, die sich für das Wohl der | |
Nation einsetzen. Aber ob es jetzt um naive WM-Feiern mit | |
schwarz-rot-gelber Schminke im Gesicht oder um Nazis geht – für unseren | |
Protest ist ihr Gemeinsames entscheidend. | |
Nämlich? | |
Die Setzung einer willkürlichen Einheit, die andere Menschen ausschließt. | |
Das ist die Grundlage dessen, was da gefeiert wird. Sie wird nicht offen | |
ausgesprochen, ergibt sich aber aus der gesellschaftskritischen Analyse. | |
Ging es auf den Mobilisierungsveranstaltungen auch um solche theoretischen | |
Fragen? | |
Der Theorieanteil war fast schon zu hoch, erfreulicherweise aber nicht | |
akademisch abgehoben. Es gab Veranstaltungen zum Nationalismus im Rap, | |
Genderfragen oder auch zur Psychoanalyse. Das Leben unter dem | |
Kapitalverhältnis ist kein Schicksal – man kann es ändern! Und das muss man | |
den Leuten erklären. Die können mit ihren Chefs ja nicht mal über Geld | |
reden, wenn die einzige Frage immer lautet, was die Arbeit Deutschland | |
nützt. Hartz IV ist das treffendste Beispiel dafür, wie Menschen unter den | |
Staat subsumiert werden. | |
Mit weniger Fremdwörtern wird das auch auf rechten Montagsdemos gesagt. | |
Das sind ideologische Angebote an eine unterstellte Volksgemeinschaft, | |
denen wir kritische Inhalte entgegensetzen. Wir müssen schließlich an die | |
Leute ran – dass es sich im Kapitalismus beschissen lebt, wird mittlerweile | |
ja auch jenseits der linksradikalen Szene bemerkt. | |
Wo zum Beispiel? | |
Es gibt viele Haarrisse im hegemonialen Block, zu dem auch | |
Gewerkschaftsverbände zählen, die widerspruchslos im System aufgehen. Jetzt | |
entstehen zum Beispiel kleine, kämpferische Taxifahrergewerkschaften. Oder | |
Contterm: Die unabhängige Gewerkschaft der HafenarbeiterInnen hat Ver.di im | |
Hafen um Längen geschlagen. Es ist überall Bewegung drin und daran müssen | |
wir ansetzen. Die radikale Linke hat sich immer zu sehr auf die Ebenen | |
beschränkt, auf denen sie Erfolge erzielen konnte: Antifaschismus zum | |
Beispiel. Wir müssen uns weniger als soziale Bewegung begreifen, sondern | |
als politischen Akteur. | |
Aber gerade dann: Warum jedes Jahr mit der gleichen Demo gegen ein | |
Volksfest anrennen? | |
Es geht uns darum, Kontinuität zu beweisen: Solange das | |
Ausbeutungsverhältnis besteht, sind auch wir da. Die Protestformen | |
entwickeln sich allerdings schon weiter. In Bremen gab es 2010 einen großen | |
Demozug, der sich martialisch gegeben hat und durchaus beeindruckend war – | |
böse und unversöhnlich. Damit erschöpfte sich das dann aber auch. In | |
Hannover ist der Protest breiter angelegt: mit einem Kongress und einer | |
Kundgebung am 2. Oktober, auf der Konzerte populärer linker Bands wie | |
Egotronic oder Frittenbude stattfinden. | |
Macht dieses Gegenprogramm das Event damit nicht erst interessant für | |
Jugendliche, die sich dem Familienausflug nach Hannover sonst gelangweilt | |
verweigert hätten? | |
Wenn jemand von der Staatsfeierei zu uns rüber kommt, ist das doch gut! Wir | |
haben nichts gegen die Menschen, sondern nur gegen ihre Positionen. Und | |
darüber wollen wir ja gerade mit ihnen sprechen. Im Wort „Gegenprogramm“ | |
liegt allerdings auch ein Anspruch, dem wir gar nicht gerecht werden | |
können. So stark ist die radikale Linke nicht. Wir schaffen einen Raum für | |
kritische Auseinandersetzungen – darum geht’s. | |
Stehen die Prostestler am Ende nicht sowieso entweder als Gewalttäter oder | |
aber als Zwergenaufstand da? | |
Wir wollen keine Illusionen über die Stärke der radikalen Linken erzeugen. | |
Während wir mit 1.000 Demo-TeilnehmerInnen rechnen, soll eine halbe | |
Millionen BesucherInnen zum Staatsakt kommen. Wenn wir da zwergenhaft | |
aussehen, schützt das auch uns selbst vor dem Eindruck, man könne den | |
Kapitalismus einfach mal eben umwerfen. Die Kampagnen wirken dann | |
langfristig aber auch wieder zurück in die Szene: Nach den Protesten von | |
2010 haben wir alle gesehen, dass die Inhalte in unserer Tagespolitik | |
weiterwirken. | |
30 Sep 2014 | |
## AUTOREN | |
Jan-Paul Koopmann | |
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