# taz.de -- Streit über Stromtrassen: Eine Frage des Widerstandes | |
> Der Windstrom muss in den Süden. Aber die Leitung will niemand haben. Wer | |
> sich wehrt, bleibt vielleicht von den riesigen Masten verschont, so der | |
> Eindruck vieler Anwohner. | |
Bild: Soll Wanderer anlocken: Die Gegend um das AKW Grohnde | |
EMMERTHAL taz | In einer Gegend wie dieser sieht man das Wetter kommen. | |
Kann auf einem der Hügel stehen und dem Regen zusehen, wie er erst die | |
Kühltürme des Atomkraftwerks Grohnde erreicht und dann über die | |
abgeernteten Felder durchs Tal davonsaust. Die Orte hier heißen Börry, | |
Völkerhausen oder Espere und um sie herum sieht man, wie Deutschland sich | |
mit Energie versorgt. | |
Neben dem AKW gibt es in der niedersächsischen Samtgemeinde Emmerthal einen | |
Windpark, Flächen für drei weitere sollen ausgewiesen werden. Drei | |
Hochspannungsleitungen durchziehen das Tal. Und die rund 800 Kilometer | |
lange Leitung Suedlink, die ab 2022 den Strom von den Windparks in der | |
Nordsee nach Bayern und Baden-Württemberg bringen wird, soll hier durchs | |
Weserbergland führen. Aber diese „Hauptschlagader der Energiewende“, wie | |
der niederländische Stromnetzbetreiber Tennet die Gleichstromtrasse mit bis | |
zu 500.000 Volt nennt, wollen sie nicht. Also, sie wollen sie irgendwie | |
schon, aber nicht hier. | |
Nicht bei uns. Diese Forderung eint all die Bürgerinitiativen, die sich | |
entlang des geplanten Trassenverlaufs gegründet haben. In Börry sind sie es | |
leid, immer wieder gefragt zu werden, wo der Strom denn entlang geführt | |
werden soll und ob sie gegen die Energiewende seien. „Sind wir nicht“, sagt | |
Rolf Keller. „Es nervt einfach, darauf reduziert zu werden.“ Keller hat die | |
Bürgerinitiative Weserbergland im Februar mitgegründet, im Gasthaus „Alte | |
Post“ in Espere. Mittlerweile hat sie 1.200 Mitglieder in sechs Kommunen, | |
Tendenz steigend. | |
Keller ist auch Ortsbürgermeister von Börry. Seine CDU hat hier 2011 bei | |
der letzten Ortsratswahl 65 Prozent geholt. Leicht verfällt er in seinen | |
Politische-Debatten-Ton, mit dem er gewohnt ist, Widerspruch durch | |
energisches Sprechen im Keim zu ersticken. Aber die fünf Männer der | |
Bürgerinitiative, die um Kellers Wohnzimmertisch herum sitzen, sind sich | |
ohnehin einig. „Wir haben hier schon genug Belastungen und kriegen jetzt | |
noch eine Neue hinzu“, fasst Keller zusammen. „Diese neue Stromtrasse wird | |
die Landschaft zerstören, die Grundstückspreise ruinieren und unsere | |
Gesundheit gefährden.“ Ob sich die elektromagnetische Strahlung negativ auf | |
die Gesundheit auswirkt, weiß man auch bei Tennet nicht. Es gibt keinen | |
Beleg dafür, aber auch keinen dagegen. | |
Die Trasse führe einfach nur über ihre Köpfe hinweg, sagt Keller. Vom | |
Atomkraftwerk profitiere wenigstens noch die Region, weil es dort Arbeit | |
gebe. Als Anfang der 1970er-Jahre die Pläne für das Atomkraftwerk Grohnde | |
bekannt wurden, klang das noch anders. Mehr als 12.000 Menschen reichten im | |
Sommer 1974 Einsprüche gegen den Bauantrag für das Atomkraftwerk ein. | |
Gebaut wurde der Druckwasserreaktor dennoch. Am 19. März 1977 versuchten | |
rund 15.000 Demonstranten, den Bauplatz zu besetzen und trafen dort auf | |
etwa 5.000 Polizisten. Der Tag ging als die „Schlacht um Grohnde“ als bis | |
dahin heftigste Auseinandersetzung der westdeutschen | |
Demonstrationsgeschichte in die Annalen der Anti-Atomkraft-Bewegung ein. | |
Heute haben sie hier in der Samtgemeinde Emmerthal bei Hameln ein | |
zwiespältiges Verhältnis zum Reaktor. Es gibt immer noch und immer wieder | |
Proteste, nicht nur gegen das 2006 eingerichtete Zwischenlager für | |
Castoren. Auch die Debatten darüber, wie sicher das Kraftwerk denn nun | |
wirklich ist, sind schier endlos. Den Betrieb in Deutschlands Pannenmeiler | |
Nummer 1 störten seit 1985 mehr als 200 meldepflichtige Ereignisse. Zuletzt | |
wurde er im Mai dieses Jahres abgeschaltet. Seit Juni ist er wieder am | |
Netz. Das Kraftwerk ist aber der größte Arbeitgeber der Region. Rund 700 | |
Menschen leben mittelbar oder unmittelbar vom Kraftwerk. Ganze Wohngebiete | |
sind nur entstanden, weil der Meiler da ist. Geht das AKW wie derzeit | |
geplant 2021 vom Netz, wird die Region wohl weiter Einwohner verlieren. | |
Es ist immer noch leicht, Menschen gegen das Atomkraftwerk zu mobilisieren. | |
Schließlich ist es da, jeder kann sehen, um was es geht. Und die | |
Protestgemeinde ist groß und geübt. Allen die negativen Auswirkungen der | |
geplanten Stromtrasse klar zu machen, sei dagegen sehr mühsam, sagt Keller. | |
„Erst vor ein paar Tagen hat mich eine Nachbarin angesprochen“, sagt Keller | |
und deutet aus dem bodentiefen Wohnzimmerfenster in seinen Garten hinaus. | |
Sie habe von „diesem Suedlink“ gehört. „Jetzt erst!“ Dabei verbringen … | |
seit Februar Tag für Tag ein bis zwei Stunden mit Widerstandleisten, | |
schreiben Mails, fahren zu Info-Veranstaltungen und zu Gesprächen mit | |
Politikern nach Berlin, organisieren runde Tische und versuchen, mit | |
kleinen Veranstaltungen Geld zusammenzubringen. Bei einem Benefiz-Konzert | |
in der „Alten Post“ kamen immerhin 2.000 Euro zusammen. Und dann kriegen | |
nicht mal die unmittelbaren Nachbarn mit, dass die Strommasten kommen | |
sollen? Schon frustrierend, sagt Keller. | |
Fährt man durch die Orte der Gemeinde Emmerthal, spürt man vom Widerstand | |
wenig. In anderen niedersächsischen Orten, die von der Trasse betroffen | |
sein könnten, stolpert man an allen Ecken über den Protest. In den Läden | |
und kleinen Galerien liegen Unterschriftenlisten und Flyer aus, an den | |
Straßen hängen Transparente mit durchgestrichenen Strommasten und | |
Fotomontagen, die riesige Masten neben winzigen Spaziergängern zeigen – | |
brachial sieht das aus. Jede noch so kleine öffentliche Veranstaltung | |
nutzen Trassengegner für Infostände. In Emmerthal muss man nach sichtbaren | |
Zeichen des Protestes suchen. In Espere hängt ein Transparent am | |
Ortsausgang: „Unser Dorf hätte Zukunft“. Angelehnt daran, dass der | |
Nachbarort Börry 2012 zu den 19 Dörfern gehörte, die beim Landeswettbewerb | |
„Unser Dorf hat Zukunft“ ausgezeichnet wurden. Irgendwo müssen sie | |
anfangen. | |
„Da links am Kraftwerk vorbei soll sie laufen“, sagt Andreas Grossmann und | |
hält sein Sakko gegen den Wind fest, als er auf der Anhöhe aus dem Auto | |
steigt. Rechts am Hügel starten die Mitglieder des Drachenflugvereins aus | |
100 Meter Höhe, wenn das Wetter passt. Weiter links steigt der Bückeberg | |
auf, auf dem von 1933 bis 1937 Anfang Oktober die Reichserntedankfeste | |
stattfanden. Über eine Million Menschen ließ Hitler jedes Mal aus dem | |
gesamten Deutschen Reich zu diesen Massenveranstaltungen anreisen. | |
Grossmann ist Bürgermeister von Emmerthal, der Toskana des Nordens, wie er | |
sagt. „Das glaubt ja erst immer keiner!“ Habe er die Leute aber ein wenig | |
herumgeführt, finden sie es doch schön hier. Schön ist es, hügelig, grün, | |
die Weser führt durchs Tal, die Ilse und die Emmer auch. Im Spätsommerlicht | |
leuchtet alles golden. Nur die zwei jeweils knapp 140 Meter hohen Kühltürme | |
des Kraftwerks schieben sich immer wieder ins Bild. Sie werden auch die | |
neuen Strommasten mit ihren 60 bis 80 Metern Höhe überragen. Die drei | |
bereits vorhandenen Stromleitungen sollen im Tal bleiben, wenn die neue | |
Trasse kommt. | |
Grossmann ist damals auf die Straße gegangen, um gegen das AKW zu | |
demonstrieren. Er weiß also, um was es bei der Energiewende geht. Trotzdem | |
ist er gegen die Trasse, ist Mitglied der Bürgerinitiative geworden. „Eher | |
im Hintergrund“, sagt er. Wenn der Strom schon unbedingt hier durch müsse, | |
dann wenigstens unterirdisch. Aber die Mehrheit in der | |
Weserbergland-Initiative will auch keine Erdkabel. Eine „taktische Frage“, | |
sagt Keller. Sei man kompromissbereit, werde einem das nur zum Nachteil | |
ausgelegt, so die Sorge. | |
Der Gesetzgeber hat die Möglichkeit geschaffen, zumindest Teilstrecken | |
unter die Erde zu legen. Und die Bundestagsabgeordneten haben fast | |
geschlossen eine Resolution verabschiedet, in der es heißt, dass Tennet | |
„den Einsatz von Erdkabeln im Rahmen der gesetzlichen Regelungen in | |
Abstimmung mit den Bürgerinnen und Bürgern vorbehaltlos zu prüfen“ habe. | |
Ziel ist, so formuliert es der Netzbetreiber Tennet, den Verlauf „so zu | |
planen und zu bauen, dass Mensch und Umwelt optimal geschützt werden und | |
Eingriffe in Siedlungsgebiete oder die Landschaft so gering gehalten | |
werden, wie es irgend möglich ist“. Da ist es nahe liegend, dünn besiedelte | |
Gegenden zu wählen. Vier Varianten hat Tennet geprüft. Herausgekommen ist, | |
dass sich der Streckenverlauf „Mitte-West“ am besten eigne. | |
Dieser „Vorschlagstrassenkorridor“ führt vom schleswig-holsteinischen | |
Wilster nahe dem Atomkraftwerk Brokdorf südlich nach Niedersachsen, vorbei | |
an Verden und zwischen Hannover und Lehrte vorbei an Hildesheim weiter nach | |
Süden, entfernt sich dann von der Autobahn 7 und macht einen Bogen um | |
Göttingen. Danach geht es westlich an Kassel und Bad Hersfeld vorbei in | |
Richtung Süden, an Fulda vorbei, um schließlich am Atomkraftwerk | |
Grafenrheinfeld zu enden. Der grobe Korridor ist noch bis zu 1.000 Meter | |
breit. Maßgeblich ist laut Tennet, dass 400 Meter Abstand von geschlossenen | |
Siedlungen und 200 Meter Abstand von einzelnen Höfen oder Häusern bleibt. | |
Nur wenn diese Abstandsregel verletzt wird, kann überhaupt eine | |
Erdkabelvariante geprüft werden. In dieser Phase gehe es also nicht mehr um | |
seltene Fledermäuse, jetzt könne man nur noch wirtschaftliche Gründe gegen | |
die Strommasten anbringen, heißt es von Tennet. | |
Darum entdecken gerade viele Orte den Tourismus für sich. Denn die | |
Strommasten machten den Tourismus zunichte, vertrieben die Besucher und | |
leerten die Kassen, so die Argumentation. Das macht auch die Gemeinde | |
Emmerthal für sich geltend. Auch wenn die Besucherzahlen jetzt nicht riesig | |
sind. „Wir machen uns da nichts vor, der Tourismus ist hier ein zartes | |
Pflänzchen“, sagt Grossmann. Es gibt nur wenig Infrastruktur für Touristen, | |
aber dennoch. Ein Wanderweg zieht sich durchs Tal. „Und wer will schon | |
unter Strommasten wandern?“, fragt Grossmann. | |
„Der Mensch ist ein Gewohnheitstier, der sich an alles gewöhnt“, sagt | |
Grossmann, der sich selbst einen Pragmatiker nennt. Er weiß, dass er | |
vermutlich keine Chance gegen die Trasse haben wird. „Aber ich habe den | |
Eindruck, dass die städtischen Regionen immer die Chancen bekommen und | |
sämtliche Risiken in den ländlichen Raum verfrachtet werden“, sagt er. Hier | |
sei das nun ganz deutlich, denn die Trasse verlaufe entlang der Autobahn 7, | |
bis sie unvermittelt vor Göttingen abknicke. Dieser Knick verlängert die | |
Strecke um rund 50 Kilometer, aber im Weserbergland gebe es „weniger | |
Raumwiderstand“, so die Begründung von Tennet. Verkürzt gesagt heißt das, | |
es gibt dort weniger Menschen als im Großraum Göttingen – und weniger | |
Politiker mit Einfluss wie den grünen Jürgen Trittin, sagen Keller und | |
seine Initiative. | |
Das gehe so nicht, sagt Grossmann, denn immerhin lebten zwei Drittel der | |
Deutschen auf dem Land. Denen könne man nicht immer alles zuschieben. | |
Emmerthal habe seit 2006 ohnehin schon rund 1.000 Einwohner verloren. „Und | |
wenn ich mir anschaue, wie viele der 10.000 Menschen hier jenseits der 70 | |
sind und wie viel Leerstand wir schon haben“, sagt Grossmann, „wird mir | |
ganz schwindlig.“ | |
1 Oct 2014 | |
## AUTOREN | |
Ilka Kreutzträger | |
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