| # taz.de -- Buchvorstellung Kohl-Vermächtnis: Eine Geschichte ohne Helden | |
| > Die Journalisten Heribert Schwan und Tilman Jens stellten in Berlin das | |
| > Kohl-Buch „Vermächtnis“ vor. Es ist ein Dokument der Niedertracht. | |
| Bild: Heribert Schwan versucht sich als heroischer Aufklärer zu inszenieren. | |
| BERLIN taz | Der Journalist Heribert Schwan hat 2001 und 2002 lange | |
| Interviews mit Helmut Kohl geführt. Daraus hat er nun mit Tilman Jens, | |
| einem Journalisten, der mit dem Hammer zu arbeiten weiß, das Buch | |
| „Vermächtnis“ gemacht. Ob das legal ist oder ob Kohl die Rechte an den | |
| Interviews zustehen, ist umstritten. | |
| Das Bild, das in „Vermächtnis“ von dem Exkanzler entsteht, ist nicht neu. | |
| Der Politiker Kohl verachtete unbeirrbar alle, die ihm nicht bedingungslos | |
| ergeben waren. Seine vernichtendes Urteil über Norbert Blüm („Verräter“) | |
| oder sein Zerwürfnis mit Schäuble sind lange bekannt. Überraschend aber | |
| sind das Ausmaß der Menschenfeindschaft und die Härte von Kohls Verdikten, | |
| die Schwan und Jens genüsslich zitieren. In dem Buch sind sie kursiv | |
| gedruckt, damit die Leser die Stellen schneller finden. | |
| Kohl sieht sich umgeben von intriganten Trotteln. Rita Süssmuth sei „eine | |
| Schreckschraube, die sich wegen günstiger Todesfälle der Frauenunion | |
| hochhievte ins Kabinett“. Merkel habe „wenig Charakter“. Exbundespräside… | |
| Walter Scheel? „Eine charakterliche Null, der nichts einbrachte außer | |
| seiner NSDAP-Mitgliedschaft“. Hildegard Hamm-Brücher? „Eines der | |
| bösartigsten Weiber in der Geschichte der Republik“. Und so weiter. Es ist | |
| eine Suada von Beschimpfungen, der Hassgesang eines bösen, alten Mannes. | |
| Überflüssig zu sagen, dass Politikerinnen besonderes übel beschimpft | |
| werden. | |
| Man muss sich vergegenwärtigen, wann die Interviews stattfanden. 2000 hatte | |
| sich Kohl starrsinnig geweigert, die Namen der illegalen Parteispender zu | |
| nennen, und wurde dafür von der CDU erst mal vom Hof gejagt. Es war damals | |
| einsam um ihn. Kann sein, dass manche Formulierung deshalb schriller | |
| ausfiel. Aber sie zeigen Kohls Weltsicht. | |
| ## Spekulation auf Voyeurismus | |
| „Vermächtnis“ spekuliert auf unseren Voyeurismus. Es bedient das Interesse, | |
| einen Blick hinter die Kulisse der Macht zu werfen. Was der Exkanzler im | |
| Keller seines Hauses seinem damals noch treu ergebenen Biografen Schwan | |
| erzählte, klingt auch spektakulär. Aber diese nachtragenden Gehässigkeiten | |
| und kleinkarierten Bösartigkeiten sind vor allem – traurig. Wir sehen einen | |
| Mann, eingebunkert in Misstrauen und Selbstgefälligkeit. Dass Diktatoren | |
| wie Stalin Misanthropen waren, überrascht nicht. Aber Kohl, der 16 Jahre | |
| die Republik regierte? | |
| So trostlos Kohl in diesem Buch erscheint, so mies ist der Kampf um sein | |
| Erbe. Der 84-Jährige kann sich seit einem Sturz kaum noch artikulieren. | |
| Seine neue Frau Maike Richter schirmt ihn weitgehend ab und hat auch den | |
| Ex-Hofbiografen Schwan vergrault. Dafür wird demnächst, von Maike Richters | |
| Gnaden, der Historiker Henning Köhler eine Biografie veröffentlichen, die | |
| Kohl als klugen, selbstlosen Staatsmann zeigt. | |
| Heribert Schwan versucht sich nun als heroischer Aufklärer zu inszenieren. | |
| In Berlin bekannte er gestern: „Ich habe acht Jahre lang mit dem Mann | |
| zusammengelebt.“ Acht Jahre mit Kohl, bis die böse neue Frau seinen Platz | |
| besetzte? Das ist blanke Übertreibung, offenbart aber einen wahren Kern. | |
| Schwan verhält sich wie ein beleidigter Lebensabschnittspartner auf | |
| Rachefeldzug. Die Interview-Tonbänder, die ein Gericht kürzlich Kohl | |
| zusprach, hat Schwan kopiert und damit sein Enthüllungsbuch munitioniert. | |
| „Kohl“, sagt Schwan, „würde mir dafür auf die Schulter klopfen und sage… | |
| Gratulation.“ Denn nur Schwan weiß, was Kohl wirklich will. Ist das trotzig | |
| oder unverfroren? In dieser Geschichte gibt es keinen Großmut. Die | |
| Rachsucht des Exkanzlers scheint auf seine Umgebung abgefärbt zu haben. | |
| „Vermächtnis“ ist ein Stück ohne Helden. | |
| 7 Oct 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Stefan Reinecke | |
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