# taz.de -- Anwerbungsstrategien von Salafisten: „Das ist die 9/11-Generation… | |
> Dschihadisten erreichen Schüler, weil sie auf ihre Probleme eingehen. | |
> Über den Islam zu sprechen, beugt einer Radikalisierung vor, sagt Jochen | |
> Müller von ufuq.de. | |
Bild: Er gibt den Jugendlichen Antworten: der salafistische Prediger Pierre Vog… | |
taz: Herr Müller, alle Dschihadisten, die aus Deutschland nach Syrien in | |
den Krieg gezogen sind, kommen aus der Salafistenszene. Diese ist in den | |
vergangenen Jahren stark gewachsen. Was macht diese Szene für junge Muslime | |
so attraktiv? | |
Jochen Müller: Salafisten sind nicht nur für junge Muslime attraktiv, | |
sondern auch für Konvertiten. Sie bieten Jugendlichen und jungen | |
Erwachsenen, wonach sie suchen: Orientierung, Gemeinschaft, Werte. Und sie | |
antworten auf das Bedürfnis vieler Jugendlicher nach Religion und | |
Zugehörigkeit. | |
Warum haben die Salafisten derzeit einen solchen Zulauf? | |
Ich glaube, das ist die 9/11-Generation, also die, die 2001 Kinder waren. | |
Die sind in Deutschland geboren und wachsen mit dem Wissen auf, dass dies | |
ihr Land ist und sie ihre Kinder hier großziehen werden. Gleichzeitig haben | |
sie die Erfahrung gemacht, dass sie von der Mehrheit nicht richtig | |
anerkannt werden, nicht richtig dazugehören. | |
Mir sagte mal einer: Die Deutschen werden mich noch in hundert Jahren | |
fragen, wo ich herkomme, nur weil ich schwarze Haare habe. Oder: Als der | |
frühere Bundespräsident Christian Wulff sagte, der Islam gehört zu | |
Deutschland, stand tags darauf auf Seite 1 der Bild: Wie viel Islam | |
verträgt Deutschland? Das ist eine Ohrfeige für diese Jugendlichen. Vor dem | |
Hintergrund dieser Erfahrung beginnen viele erst, sich für Religion zu | |
interessieren. Dabei sind sie nicht alle wirklich religiös, oft geht es um | |
Identität und die Forderung nach Zugehörigkeit. | |
Was machen die Jugendlichen dann? | |
Sie stellen Fragen, suchen Antworten. Die können aber die Eltern meist | |
nicht geben und der Imam auch nicht, weil die ihre Lebenswelten oft gar | |
nicht kennen. Dann suchen sie im Internet. Und da ist man ganz schnell auf | |
Salafistenseiten. So wissen sehr viele dieser Jugendlichen ganz wenig über | |
den Islam, aber alle kennen Pierre Vogel … | |
… den Salafistenprediger. | |
Genau, der gibt Antworten. Einfache, eingängige Antworten. Die bauen auf | |
den Erfahrungen der Jugendlichen auf, machen aber eine Ideologie, ein | |
Feindbild daraus. Also: Du bist Muslim und als Muslim wirst du immer | |
diskriminiert werden und nie Teil dieser Gesellschaft sein. Schau dir an, | |
was in Syrien passiert und in Palästina. Und auch hier in Deutschland wird | |
der Islam unterdrückt. Es reicht! Seid stolz, wehrt euch! So geht das. | |
Wenn dann einer kommt und behauptet: Scharia und Grundgesetz, Islam und | |
Demokratie, das geht nicht zusammen, dann haben diese Jugendlichen dem | |
nichts entgegenzusetzen. Und natürlich bietet der Bezug auf die Religion | |
Jugendlichen auch die Möglichkeit, Frust rauszulassen oder zu provozieren. | |
Da sagt dann einer in der Schule: Die Scharia ist wichtiger als das | |
Grundgesetz. Und schon steht die ganze Schule Kopf. Super, mehr | |
Aufmerksamkeit hat dieser Jugendliche nie bekommen. | |
Aber nicht jeder, der etwas über seine Religion wissen will, landet bei den | |
Salafisten. | |
Nein, natürlich nicht. Aber mehr als in der Generation ihrer Eltern und | |
Großeltern gibt es bei vielen das Bedürfnis, sich mit der Religion | |
auseinanderzusetzen. Das macht sie ansprechbar. Wirklich anzuspringen | |
scheinen dann besonders Jugendliche, die Krisen-, Entfremdungs- und | |
Ohnmachtserfahrungen gemacht haben, die zum Beispiel Brüche in ihrem | |
Lebenslauf haben. Die Familie spielt dabei oft eine wichtige Rolle, ganz | |
klassisch etwa: der fehlende Vater, getrennte Eltern und so weiter. Das | |
gilt besonders für die kleine militante Szene. | |
Wie kommen Jugendliche konkret zum Salafismus? | |
Vor allem über das Internet – und über Prediger in einzelnen Moscheen. Aber | |
auch auf der Straße, in der Schischa-Bar, auf dem Fußballplatz. Neulich | |
erzählte jemand von Jugendlichen, die auf einem Bolzplatz Fußball gespielt | |
haben und dann kamen ein paar ältere, religiöse Jungs. Die haben gesagt: | |
Lasst uns kicken. Wenn ihr gewinnt, spielt ihr hier weiter, wenn wir | |
gewinnen, kommt ihr mit in die Moschee. Das fanden die jüngeren cool. Sie | |
haben verloren und sind mit in diese spezielle Moschee gegangen, wo sie | |
einen salafistischen Prediger trafen, der sich mit ihnen unterhalten hat. | |
Das hat ihnen gefallen, weil es mit ihren Bedürfnissen zu tun hat. | |
Man hört auch auch von Agitation in Schulen. | |
Ja, das kommt vor. Meist sind es dort Jugendliche, die versuchen, andere | |
Jugendliche davon zu überzeugen, was sie für den „wahren Islam“ halten. E… | |
Beispiel: In einer Hamburger Schule hatten Schüler Material verteilt, wie | |
muslimische Jungs und Mädchen sich zu verhalten und zu kleiden haben. | |
Einige Mitschüler sagten, das habt ihr nicht zu entscheiden, ob wir gute | |
oder schlechte Muslime sind. Es gab heftige Auseinandersetzungen. Das war | |
vor den Sommerferien. Danach kamen die beiden Jungs mit Gebetsmütze und im | |
traditionellen Gewand. Die Schule hat den beiden diese Bekleidung verboten. | |
Das Ergebnis: Selbst die Schüler, die die Jungs vorher kritisiert haben, | |
haben sich nun auf ihre Seite geschlagen, weil sie das Gefühl hatten, jetzt | |
geht es gegen unsere Religion. Die Schule hat also genau das Gegenteil von | |
dem erreicht, was sie vielleicht hätte erreichen können. | |
Was macht Ufuq an solchen Schulen? | |
Wir geben den Jugendlichen den Raum, über ihre Vorstellung von | |
Zugehörigkeit, Identität, Religion unter der Leitfrage zu reden: Wie wollen | |
wir leben? | |
Was heißt das konkret? | |
Wir gehen mit jungen Teamern, die meist selbst Migrations- oder | |
muslimischen Hintergrund haben, in Schulklassen und Jugendeinrichtungen und | |
arbeiten dort mit Filmen, die wir zu Themen wie Geschlechterrollen, | |
Islamfeindlichkeit, Scharia und Grundgesetz oder Salafismus produziert | |
haben. | |
Damit geben wir einen Anstoß und den Raum für lebensweltnahe Gespräche zu | |
der Frage, wie die Jugendlichen selbst es haben wollen – in der Klasse, in | |
der Schule, in der Gesellschaft. Wie sollen zum Beispiel Jungs und Mädchen | |
zusammenleben? Wenn die Mädchen weniger dürfen als Jungs, findet ihr das | |
richtig? Über solche Fragen wird diskutiert. Und gerade in Gruppen, in | |
denen schon einzelne agitieren, ist unsere Erfahrung: In dem Moment, in dem | |
wir die Jugendlichen denk- und sprechfähig machen, auch in der Frage, | |
welche Rolle spielt die Religion bei all dem, da werden sie sensibilisiert | |
für die einfachen Welt- und Feindbilder von Salafisten. Und diejenigen, die | |
im Namen „des Islam“ agitieren, verlieren die Lufthoheit über den | |
Klassentischen. Das geht oft relativ schnell. | |
Was heißt schnell? | |
Wir machen Kurzzeitintervention entweder im Rahmen von Projekttagen oder in | |
Workshops von dreimal zwei Stunden. | |
Kann das nachhaltig sein? | |
Wir haben inzwischen mit über 4.000 Jugendlichen in vielen Städten | |
gearbeitet. Unsere Erfahrung ist, dass es wirkt. Die meisten Jugendlichen | |
verstehen sich ja als Muslime, egal ob sie religiös sind oder nicht, und | |
sie haben wenig Ahnung. Dann kommt einer und sagt: So ist das. Alle | |
schweigen, weil sie nicht als schlechte Muslime gelten wollen. Wenn man da | |
reingeht, mit Teamern, die meist selbst Muslime sind, und die zeigen, im | |
Islam gibt es viele Möglichkeiten, dann kann man das aufbrechen. | |
Und dass sie merken, dass sie sich gar nicht entscheiden müssen, sondern | |
sehr wohl gleichzeitig deutsch und muslimisch und demokratisch und türkisch | |
oder arabisch sein können. Ihnen zu helfen, hier ihren Platz zu finden, das | |
ist unser Job. | |
Das ist Primärprävention, wie es im Fachjargon heißt. Die, die schon | |
ideologisiert sind, erreichen Sie so nicht, oder? | |
Nein, das ist ähnlich wie im Rechtsextremismus: Die kann man manchmal | |
verunsichern, vor allem aber die Gruppe vor ihnen schützen. | |
14 Oct 2014 | |
## AUTOREN | |
Sabine am Orde | |
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