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# taz.de -- App-Programmierer Andreas Schildbach: Praktische Pirouetten
> Die App „Öffi“ kennt jeder. Den Mann dahinter kennt niemand. Dabei
> arbeitet Andreas Schildbach 40 Stunden die Woche daran - unbezahlt.
Bild: Manchmal ist es gar nicht so gut, wenn alle wissen, wann welche Öffis fa…
Klickklackklickklack. Andreas Schildbachs Finger fliegen schneller über die
Tastatur, als man ihnen mit den Augen folgen kann. Ein Schreibtisch im
aufgeräumten Schlafzimmer, im Türrahmen hängen ein paar Kleider zum
Trocknen. Schildbach programmiert. „You’re beautiful“ steht auf einer
Postkarte, die er über seinen Schreibtisch geklebt hat. Auf einer anderen
steht in geschwungenen Lettern sein Name.
Das Klackern bricht ab. Schildbach scrollt durch seine Mails. 9.947
ungelesene Nachrichten, Fehlermeldungen seiner Fahrplan-App „Öffi“. Das
Netz in Dresden funktioniert gerade nicht richtig. Fahrgäste, die sich dort
von „Öffi“ die schnellsten Verbindungen mit Bus, Tram oder U-Bahn anzeigen
lassen wollen, schicken Fehlerberichte. Schildbach tippt einen Vorschlag
zur Problemlösung ein.
Über 5 Millionen Menschen tragen Schildbachs App „Öffi“ auf ihren
Smartphones mit sich herum. Er hatte die Idee dazu, hat sie programmiert,
entwickelt sie bis heute weiter. Städtische Verkehrsbetriebe wie die
Berliner BVG oder die Münchner MVG bieten ebenfalls Apps an, die Fahrgäste
durchs Verkehrsnetz navigieren sollen. Ihre Downloadzahlen liegen im
Hunderttausenderbereich, weit unter denen von Schildbachs App. „Öffi“ ist
praktischer – weil sie die Fahrpläne aus 75 Städten in 17 Ländern kennt.
## 15 Jahre Berufserfahrung
Durchschnittlich 40 Stunden die Woche arbeitet Andreas Schildbach an „Öffi“
und einer weiteren Anwendung zum mobilen Bezahlen mit der Digitalwährung
Bitcoin. Ehrenamtlich: Geld verdient er damit nicht. Bei ihm gibt es keine
In-App-Verkäufe, er schaltet auch keine Werbung. Manchmal bekommt er
Spenden, seltener arbeitet er nebenher an anderen Projekten, für die er
bezahlt wird. „I am currently not available“ steht auf seiner Homepage, die
ihn als Diplom-Informatiker ausweist.
15 Jahre Berufserfahrung. Java-Entwickler. Fähigkeiten, die man sich bei
Firmen üppig bezahlen lassen kann. Schildbach lebt von einem „finanziellen
Polster“, wie er sagt. Von Geld, das er angespart hat, um arbeiten zu
können, ohne Geld verdienen zu müssen. Sein halbes Leben widmet er dem
Programmieren einer App, die jeder kennt. Ihn, den Mann dahinter, kennt
trotzdem niemand.
„Warum ich ’Öffi‘ programmiert habe, das habe ich mich auch schon oft
gefragt“, sagt Schildbach. Er sitzt im „Tante Horst“, einer verrauchten
Berliner Kneipe, und trinkt einen Federweißen. Im Hintergrund läuft
gedämpfter Dubstep. Schildbach wird noch viele Gründe finden, im Laufe des
Gesprächs. „Eigentlich ist mein Ziel, möglichst viele Menschen vom Auto in
die öffentlichen Verkehrsmittel zu bringen“, sagt er diesmal. Seine Stimme
klingt hektisch und nervös, manchmal stolpert er über seine eigenen Wörter.
Er gestikuliert viel, seine Hände sind fast unablässig in Bewegung. „Es
geht mir gar nicht in erster Linie um die Umwelt dabei“, sagt er dann und
nimmt einen Schluck Federweißer. „Eigentlich geht es eher darum, dass ich
es anstrengend finde, dass es so viel Verkehr gibt.“
## Programmierer bei Ballettstunde
Donnerstagnachmittag, 17 Uhr, ein kleines Ballettstudio in Kreuzberg. „Vor,
seit, inside, rück!“, kommandiert Ballettlehrer Adrian. „Uuund auf und ab
uuund auf und ab.“ Schildbach schwingt sein rechtes Bein elegant zur Seite.
Immer auf den Zehenspitzen bleiben. Sein rechter Arm beschreibt einen
grazilen Bogen nach oben. Schildbach trägt ein schwarzes Ballettröckchen,
schwarze Strumpfhosen und ein schwarzes, eng anliegendes Top, das sein
Dekolleté betont. Sein Gesichtsausdruck ist konzentriert, klassische Musik
schallt durch den Raum. Außer Ballettlehrer Adrian und einem anderen ist er
der einzige Mann in dieser Ballettstunde. Mit ihm trainieren noch 11
Frauen. Schildbachs Glatze und die strenge Brille stehen in starkem
Widerspruch zu seinem grazilen weiblichen Körper.
Im Vorraum des Balletttrainingsraumes ist Mitarbeiterin Leila ein wenig
verwirrt über die Anwesenheit der Presse. „Ein Artikel über den Andreas,
wirklich? Eigentlich ist das alles sehr familiär hier, aber dass der
programmiert, das wusste ich gar nicht“, sagt sie. „Das ist auf jeden Fall
ein ganz treuer Kunde, der ist hier mehrmals die Woche.“ Sie wirft einen
Blick in den Nebenraum, in dem Schildbach und seine Mittänzerinnen gerade
Pirouetten drehen. „Und er freut sich immer wahnsinnig auf die
Bühnenauftritte. Das macht macht er total gerne.“
Mit 29 ist Schildbach von München nach Berlin gezogen. Sechs Jahre ist das
her. Ein „Befreiungsschlag“ sei das gewesen. „Ich habe mich dadurch
wahnsinnig verändert.“ In München, da sei er ein anderer Mensch gewesen. Er
hatte kaum Selbstbewusstsein, fühlte sich unfrei. Jetzt macht er das,
worauf er wirklich Lust hat. „Zum Ballett zu gehen zum Beispiel, das hätte
ich mich in München nicht getraut.“ Oder eben Apps programmieren.
Ehrenamtlich. Ohne Büro, ohne feste Arbeitszeiten, allein, unabhängig, am
Schreibtisch im Schlafzimmer. Kaum war er in Berlin, begann er mit dem
Programmieren der „Öffi“-App.
Schildbach trägt einen kurzen Jeansminirock mit schwarz-rotem Nietengürtel.
Im tiefen Ausschnitt baumelt eine dunkelrote Kette, besetzt mit
Glitzersteinchen. „Ich mag es, zwischen den Geschlechtern zu wechseln“,
sagt er. „Und gerade fühle ich mich eben mehr weiblich.“ Deswegen hat er
aktuell Brüste, deshalb der Rock, das Dekolleté. Wenn er sich wieder anders
fühlt, wird er all das vielleicht wieder ablegen. „Ich mag eben keine
Schubladen.“
## Entwickeln statt reisen
Je länger Schildbach spricht, desto sicherer wird seine Stimme. „In der
Schule habe ich mich immer vor Referaten gedrückt“, sagt er. „Ich kann das
überhaupt nicht: vor Menschen reden.“ Selbstbewusst ist Schildbach vor
allem in den Dingen, in denen er sich sicher ist. Das Programmieren
beispielsweise. Und das Ballett. Da tanzt er gerne auch mal in der ersten
Reihe, „da wo sonst keiner stehen will“. Tanzen, das habe ihn
selbstbewusster gemacht. „Beim Ballett geht es ja schließlich auch darum,
auf der Bühne zu stehen“, sagt er. „Das Ziel ist, aufzutreten und bewundert
zu werden.“ Eine Bühne fürs Tanzen. Vielleicht sind auch die Apps eine Art
Bühne. Anwendungen, die Millionen Menschen auf ihren Smartphones
herumtragen. Die sie täglich nutzen.
„Für mich ist das so ein bisschen ein Sabbatical“, sagt Schildbach. „And…
reisen dabei um die Welt und ich, na ja, ich entwickle eben Apps.“ Wenn
Schildbach über das Programmieren redet, dann tippen seine Hände auf der
Tischplatte herum wie auf einer Tastatur, und ein begeistertes, fast
verliebtes Grinsen huscht über sein Gesicht.
„Viele Programmierer sehen sich ja auch als Künstler“, sagt er. Wieder so
ein Satz, um nicht über sich selbst zu sprechen. Er selber betätige sich
auch künstlerisch, aber ob er sich auch Künstler nennen würde, weiß er
nicht. Es erscheint ihm hoch gegriffen.
## Er will sich ein Denkmal setzen
Selbstverwirklichung, Freiheit – das sind Werte, die groß geschrieben
werden in der Programmiererszene. Den Quellcode für seine App „Bitcoin
Wallet“ hat Schildbach öffentlich gemacht. Jeder kann damit arbeiten, den
Code weiterentwickeln, ihn in seine eigenen Apps einbauen. „Öffi“ sammelt
keine Daten, die es nicht zum Funktionieren braucht, wie andere Apps. Warum
auch, Schildbach will sie ja nicht verkaufen. Er will nur programmieren.
„Und natürlich will ich auch etwas für die Nachwelt schaffen“, sagt er.
„Mir in gewisser Art ein Denkmal setzen.“
Deswegen sind seine Apps auch kostenlos. „Wenn die Geld kosten würden, dann
hätte ich jetzt ja keine 5 Millionen Nutzer“, sagt Schildbach. „Dann würd…
vielleicht ein paar tausend Leute die App nutzen.“ Er runzelt die Stirn.
Kurz nachrechnen. „Da käme ich vielleicht auf 20.000 Euro. Und dafür wäre
die App quasi bedeutungslos.“ Schildbach schlägt die Beine übereinander.
„Dass das nicht passiert, das ist mir irgendwie doch wichtiger als Geld.“
Was er machen will, wenn sein finanzielles Polster aufgebraucht ist?
Schildbach zögert kurz. Dann grinst er. „Mal sehen“, sagt er. „Arbeiten,
wahrscheinlich.“
18 Oct 2014
## AUTOREN
Laura Meschede
## TAGS
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Kommunalpolitik
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