# taz.de -- Sahra Wagenknecht über Finanzen: „Eine komplett absurde Geldpoli… | |
> Sahra Wagenknecht fordert höhere Zinsen für Kleinsparer. Sie findet, dass | |
> Reiche ruhig 50 Prozent Vermögensteuer zahlen dürften. | |
Bild: Sarah Wagenknecht auf einer Veranstaltung der niedersächsischen Linkspar… | |
taz: Frau Wagenknecht, in Bild haben Sie gefordert, dass die Leute ihr Geld | |
von der Bank abheben und unters Bett legen sollen. Haben Sie Angst um Ihre | |
Ersparnisse? | |
Sahra Wagenknecht: Quatsch. Mit dieser Übertreibung wollte ich auf eine | |
gravierende Fehlentwicklung aufmerksam machen. Die extremen Niedrigzinsen | |
vergrößern die Ungleichheit. Die Oberschicht macht Traumrenditen am | |
Kapitalmarkt – der Kleinsparer zahlt für die Krise. Das ist doch pervers. | |
Deshalb sollen die Deutschen ihr Geld von der Bank abheben – im Ernst? | |
Das bezog sich auf die Großbanken, die mit dem Geld der Kleinsparer zocken | |
gehen. | |
Sich in Bild um die Sparkonten zu sorgen – ist das nicht purer Populismus? | |
Es geht um ein reales Problem. Wir haben für risikofreie Anlagen derzeit | |
negative Realzinsen, die Sparer verlieren also Geld. Gleichzeitig haben | |
SPD, CDU und Grüne die gesetzliche Rente als Absicherung gegen Armut im | |
Alter zerstört und erzählen den Leuten, sie sollten privat vorsorgen. Ja | |
wie denn? | |
Gibt es ein Menschenrecht auf Zinsen? | |
Wer sein Geld aufs Sparbuch legt, sollte sich zumindest auf den Werterhalt | |
verlassen können. Wir haben eine komplett absurde Geldpolitik: Alles wird | |
getan, um den Finanzsektor zu mästen. Seit Jahren pumpt die EZB billiges | |
Geld in die Banken. Jetzt plant EZB-Chef Mario Draghi auch noch, ihnen für | |
Hunderte Milliarden Giftpapiere abzukaufen. | |
Also fordern Sie, dass die EZB die Zinsen anhebt? | |
Die Niedrigzinsen kommen bei normalen Unternehmen oder bei Konsumenten, die | |
im Dispo sind, doch gar nicht an. Sie halten nur halbtote Banken am Leben | |
und erzeugen Blasen am Kapitalmarkt. Besser wäre es, hoch verschuldete | |
Staaten durch einen Schuldenschnitt zu entlasten, bankrotte Banken auf | |
Kosten ihrer Aktionäre und Anleihegläubiger abzuwickeln und künftig die | |
Staaten mit EZB-Direktkrediten zu unterstützen. Dann könnten die Zinsen, | |
die der Kleinsparer bekommt, auch wieder steigen. | |
Steigende Zinsen schaden auch der Realwirtschaft. Trotzdem sollen die | |
Zinsen hoch? | |
Welcher Schuldner außerhalb des Finanzsektors bekommt denn heute Geld für | |
Zinsen unter 2 Prozent? Außer Deutschland übrigens auch kein Staat in | |
Europa. Mit EZB-Direktkrediten könnten die Regierungen Konjunkturprogramme | |
finanzieren, auch wenn der Leitzins bei 1 bis 2 – statt bei 0,05 – Prozent | |
läge. | |
Das ist ein Luftschloss. Sie wissen genau, dass der Lissabon-Vertrag | |
verbietet, dass die EZB direkt Staaten finanziert. | |
Dieses „Luftschloss“ fordern aus gutem Grund immer mehr renommierte | |
Ökonomen. Direkte billige Kredite an die Staaten und nicht an die Banken | |
würden die Konjunktur ankurbeln und die Arbeitslosenquoten senken. | |
Trotzdem: Direkte Finanzierung von Staaten durch die EZB ist verboten. | |
Haben Sie keine realistischere Alternative? | |
Unsinnige Verbote muss man aufheben. Zusätzlich brauchen wir eine EU-weite | |
Vermögensabgabe für Multimillionäre. Das sollte auch der Einstieg in eine | |
koordinierte Steuerpolitik sein. Konzerne und Vermögende, die den Fiskus | |
betrügen wollen, müssen ihr Geld heute gar nicht auf die Bahamas bringen – | |
es gibt ja Irland und Luxemburg. | |
Wie hoch soll diese Abgabe sein? | |
Das Vermögen der Multimillionäre in Europa hat sich in 15 Jahren mehr als | |
verdoppelt. Selbst eine Abgabe von 50 Prozent würde also niemanden ins | |
Elend stürzen. Im Gegensatz zur Sparpolitik, zu der die Krisenstaaten | |
aktuell gezwungen werden. | |
Sigmar Gabriel hat die Wachstumserwartungen für 2015 deutlich nach unten | |
korrigiert. | |
Das war absehbar. Die Wirtschaftsdaten in der Eurozone – Arbeitslosigkeit | |
und Investitionen – belegen: Die Krise war nie überwunden. Die | |
Sparprogramme haben sie immer mehr verschlimmert. Natürlich hat das | |
Auswirkungen auf den deutschen Export. Dazu kommt jetzt noch der | |
Wirtschaftskrieg mit Russland. Gleichzeitig liegt in Deutschland die | |
Binnennachfrage am Boden, weil Renten und Löhne heute niedriger sind als | |
zur Jahrtausendwende. | |
Die Große Koalition hält an dem ausgeglichenen Haushalt 2015, der schwarzen | |
Null, fest … | |
… weil sie an Realitätsverlust leidet … | |
Knapp 10 Prozent der Staatsausgaben fließen in Zinszahlungen. Was haben Sie | |
gegen einen ausgeglichenen Haushalt? | |
Im Abschwung sparen bedeutet, ihn zu verstärken. Am Ende sinken auch die | |
Einnahmen, und der Staat hat mehr Schulden. Genau dieser Mechanismus sorgt | |
doch dafür, dass die Staatsverschuldung in den Krisenländern heute auf | |
Rekordniveau liegt. Hierzulande verrotten Straßen, Brücken und Schulen, | |
obwohl Deutschland sich äußerst billig Geld leihen kann. | |
Ist es nicht zu früh für ein Konjunkturprogramm – 2015 rechnet man noch mit | |
einem Wachstum von 1,3 Prozent … | |
Dieses Jahr war die Prognose auch deutlich höher als die Wirklichkeit. Wenn | |
die Infrastruktur verfällt, ist es dringend nötig, mehr zu tun. Deutschland | |
muss endlich seine einseitige Exportorientierung überwinden. Das geht mit | |
steigenden Löhne und Renten, dazu gehört aber auch ein staatliches | |
Investitionsprogramm. Wenn hier die Binnennachfrage steigt, hilft das auch | |
anderen EU-Ländern, die dann mehr exportieren können. | |
Überschätzen Sie damit nicht die Wirkung eines deutschen | |
Konjunkturprogrammes für die EU? | |
Deutschland trägt die Hauptschuld an der Eurokrise, weil es seit der Agenda | |
2010 eine aggressive Politik der Lohn- und Steuersenkungen betrieben hat. | |
Ohne diese erschlichenen Wettbewerbsvorteile gäbe es den gigantischen | |
Exportüberschuss nicht, der zu wachsenden Schulden anderer Länder führt. | |
Natürlich brauchen wir Konjunkturprogramme in ganz Europa. Sonst kommen wir | |
aus der Krise nicht mehr raus. | |
Sie klingen wie Kassandra. Drei Viertel der Deutschen halten ihre eigene | |
wirtschaftliche Situation für gut. Irren die sich alle und sind Opfer einer | |
Manipulation? | |
Wer gibt in einer Umfrage schon gern zu, dass es ihm schlecht geht? Nicht | |
wenige glauben ja an die herrschende Lehre, dass die Verlierer selbst | |
schuld sind. Tatsache ist: Für viele hat sich die wirtschaftliche Lage seit | |
der Jahrtausendwende verschlechtert – trotz Wirtschaftswachstum. In den | |
vergangenen zehn Jahren sind 2 Millionen ordentliche Vollzeitstellen | |
verschwunden und über 4 Millionen prekäre Jobs entstanden. Und seit dem | |
Ausbruch der Krise 2007 haben Ungleichheit und Verschuldung noch weiter | |
zugenommen. Das billige EZB-Geld hat nur Zeit gekauft. | |
Die Linkspartei fordert im Bund neue Schulden und riesige | |
Konjunkturprogramme – doch wo die Linkspartei regiert, wie in Brandenburg | |
oder vielleicht demnächst in Thüringen, macht sie brave Sparpolitik. Ein | |
Widerspruch? | |
Den Ländern sind großenteils die Hände gebunden. Es gibt die | |
Schuldenbremse, und sie können praktisch keine eigenen Steuern erheben. Der | |
Handlungsspielraum ist daher eng. In Thüringen werden wir trotzdem mehr | |
Geld für Lehrer, Kommunen und Kitas ausgeben. | |
Bodo Ramelow sagt: Steht alles unter Finanzierungsvorbehalt. | |
Nein, ohne das wird es keine Koalition geben. Natürlich sind wir nicht | |
generell für mehr Schulden. Wenn der Staat Konzerne und Vermögende stärker | |
besteuert, wäre nach Stabilisierung der Konjunktur tatsächlich ein | |
ausgeglichener Haushalt möglich. | |
Alexander Gauland, Vizechef der Alternative für Deutschland (AfD), lobt | |
Ihre wirtschaftspolitischen Positionen. Ihre Haltung zur | |
Eurorettungspolitik und die Kritik an den Großbanken passe gut zur AfD. Ist | |
Ihnen diese Nähe peinlich? | |
Es gibt keine politische Nähe zur AfD. Deren Spitzenmann Hans Olaf Henkel | |
etwa wirbt seit Jahren für Rentenkürzung, miese Löhne und | |
Steuererleichterungen für Reiche. Das ist das exakte Gegenteil von dem, was | |
wir fordern. Die AfD ist auch nicht für EZB-Direktkredite, sondern will den | |
Spardruck aufrechterhalten. Der einzige Punkt, an dem die AfD eine Position | |
übernommen hat, die wir schon lange vertreten, ist: Auch sie hält nichts | |
davon, Banken auf Kosten der Steuerzahler zu retten. | |
In Brandenburg scheinen einige Wähler das anders zu sehen. Jedenfalls haben | |
viele frühere Linke-Wähler im September ihr Kreuz bei der AfD gemacht. | |
Weit mehr frühere Linke-Wähler sind gar nicht mehr zur Wahl gegangen. | |
Offenbar waren viele enttäuscht. Da darf man natürlich nicht sagen: Die | |
Wähler haben uns nicht verstanden. Sondern man muss sich fragen: Was haben | |
wir falsch gemacht? | |
Was? | |
Offenbar wurde mehr von uns erwartet. Die Frage ist auch, wie erkennbar die | |
Linke mit ihrem sozialen Profil in einer Regierung sein kann, wenn alle | |
Konflikte nach außen gedeckelt werden. Dazu kam, dass ein paar Wochen vor | |
der Wahl ein wichtiges Wahlversprechen in den Wind geschrieben wurde, indem | |
auch unsere Minister grünes Licht für den nächsten Tagebau gegeben haben. | |
Das hat uns viel Glaubwürdigkeit gekostet. | |
Der neue rot-rote Koalitionsvertrag lässt beim Thema Braunkohle viel offen. | |
Etwas deutlichere Signale, dass die Botschaft der Wähler bei uns angekommen | |
ist, wären generell hilfreich gewesen. Aber bei der Braunkohle ist klar: | |
Mit uns wird es keine neuen Tagebaue geben. | |
19 Oct 2014 | |
## AUTOREN | |
Ulrike Herrmann | |
Stefan Reinecke | |
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