# taz.de -- Berliner Szenen: Voller Koffer | |
> Im Regio nach Wismar wird nicht gelesen, es wird gespielt. Mütter werden | |
> in Koffer gesteckt, Technik wird vom Kind vermisst. | |
Bild: Wo eine Mutter drin ist, passt kein Schirm mehr rein. | |
Im Regio nach Wismar, kurz hinterm Bahnhof Zoo, versucht die Mutter zu | |
lesen. Geht leider nicht, weil ihrem Kind langweilig ist. Das Kind fummelt | |
am Buch rum, es ist ein dicker Krimi, Typ Wanderhure. Die Mutter klappt das | |
Buch zu, das Kind fummelt weiter und zieht eine Postkarte raus. | |
„Och nee, Toni! Jetzt hast du mein Lesezeichen aus dem Buch gezogen“, sagt | |
die Mutter, „jetzt weiß ich nicht mehr, wo ich war.“ – „Lies doch noch… | |
von vorne“, sagt das Kind. „Von vorn? 860 Seiten noch mal?“ – „Ja“,… | |
das Kind, „ist doch egal. Oder ist das Buch doof?“ – „Nein, ist nicht | |
doof.“ | |
Die Mutter nimmt das Buch, schiebt die Postkarte an irgendeiner Stelle rein | |
und steckt beides in die Tasche. „Lass uns was spielen“, sagt sie. „Wir | |
spielen: Ich packe meinen Koffer. Du fängst an.“ Der Junge fängt an: „Ich | |
packe meinen Koffer, und ich tu da rein...: dich!“ – „Okay“, sagt die | |
Mutter und macht weiter: „Ich packe meinen Koffer, und da tu ich rein: | |
meine Mama und meine Sonnenbrille.“ Dann wieder das Kind: „Ich packe meinen | |
Koffer und da tu ich rein: einen Computer.“ | |
„Nein“, sagt die Mutter, „du musst noch mich und die Sonnenbrille | |
mitnehmen.“ – „Und ein Fernseher!“, ruft das Kind. „Nein“, sagt die… | |
„nur eine Sache auf einmal. Also nur eine neue Sache. Du musst sagen, du | |
nimmst mich und die Sonnenbrille und den Computer.“ – „Okay“, sagt das | |
Kind, „jetzt du!“ – „Gut“, sagt die Mutter, „ich packe meinen Koffe… | |
da tu ich rein: meine Mutter, eine Sonnenbrille, einen Computer … und | |
Nagellack. Und jetzt wieder du.“ | |
„Ich packe meinen Koffer mit einem Nintendo“, sagt das Kind. „Nee, Toni. … | |
musst noch die anderen Sachen sagen. Die Sonnenbrille und so.“ Der Junge | |
streckt sich, rutscht dabei von seinem Sitz runter und sitzt auf dem Boden. | |
„Wie lange fahren wir?“, fragt er. „Bis Wismar“, sagt die Mutter „das… | |
die Endhaltestelle.“ | |
11 Nov 2014 | |
## AUTOREN | |
Margarete Stokowski | |
## TAGS | |
Berliner Szenen | |
Berliner Szenen | |
Berliner Szenen | |
Berliner Szenen | |
Berliner Szenen | |
Berliner Szenen | |
Berliner Szenen | |
Berliner Szenen | |
Berliner Szenen | |
Berliner Szenen | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Berliner Szenen: Fahrende Familie | |
So eine Bahnfahrt in der Weihnachtszeit kann auch etwas sehr Schönes sein. | |
Wenn nicht zu viele Menschen dabei sind. | |
Berliner Szenen: Der letzte Seehund | |
Auf dem Rixdorfer Weihnachtsmarkt. Ein Ferkel liegt rum, ein Esel will kein | |
Selfie und in der U-Bahn wird wild gemischt. | |
Berliner Szenen: Meine Hood, Alter | |
Auf den Spuren der eigenen Kindheit in Berlin-Rixdorf. Ein Platz hat einen | |
neuen Namen, aber der Geruch ist derselbe wie früher. | |
Berliner Szenen: Kifferparty olé | |
Jugendliche probieren sich aus: Als Undergroundkünstler auf dem | |
Weihnachtsmarkt und als Beziehungsexpertinnen in der U-Bahn. | |
Berliner Szenen: Fast wie Lagerfeuer | |
Bei Tina Dicos Konzert gab es leider kein Lagerfeuer und auch sonst wenig | |
Schnickschnack, aber magische Momente. | |
Berliner Szenen: Was die früher dachten | |
Auf den Flugfeldern der Zukunft wirkt die Vergangenheit plötzlich ganz | |
komisch. Man wird aber nicht alles verstehen müssen. | |
Berliner Szenen: Oma flog nicht. Oma blieb | |
Totgesagte leben länger, und manchmal tanzen sie in ihren Sterbekleidern, | |
statt mit Unterrock in den Himmel zu fliegen. | |
Berliner Szenen: Geh sterben | |
Im Regio wird geklopft und getrunken, die Fotos sind fail, der Schnaps ist | |
eklig. Und sterben gehen heißt gar nichts. | |
Berliner Szenen: Absurdes Gemäuer | |
Ein Abend in altehrwürdigen Räumen in Wannsee: Verschiedene Formen von Neid | |
wechseln einander ab. |