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# taz.de -- Berliner Szenen: Fahrende Familie
> So eine Bahnfahrt in der Weihnachtszeit kann auch etwas sehr Schönes
> sein. Wenn nicht zu viele Menschen dabei sind.
Bild: Was fehlt: der Schnee.
Der Regio, der von Wittenberge nach Gesundbrunnen fährt, ist ziemlich leer.
Die meisten Leute haben einen Vierersitz für sich, das ist auf eine
gemütliche Art asozial. In meinen Kopfhörern singt Tom Waits. Ich bin sehr
verstöpselt mit dem Zug, weil die Kopfhörer im Handy stecken, und das Handy
ist verkabelt mit dem Ladegerät in der ersten Steckdose, und in der zweiten
Steckdose steckt das Ladegerät vom Tablet, auf dem ich lese.
Dass ich mit dem Handy wieder Musik hören kann, ist neu und schön, ich hab
nämlich ein neues Smartphone bekommen, von einem Mann aus Magdeburg, den
ich gar nicht kenne, aber er kennt meine Texte, und weil ich auf Twitter
gefragt hab, ob jemand noch ein iPhone für mich hat, weil mein altes schon
ganz zerschrottet war, hat er mir eins geschenkt, und jetzt singt Tom
Waits, und die Apps öffnen sich so schnell, dass ich währenddessen nicht
mehr Bier trinken oder die Wäsche aufhängen kann.
Also, jedenfalls, der Zug. Es hat geschneit am Morgen, und jetzt regnet es
und die Tropfen laufen schräg am Zugfenster lang wie Spermien in einem
Aufklärungsfilm. Die Schaffnerin kommt und kontrolliert und fragt, ob
jemand fünfzig Euro wechseln kann. Eine Frau hinter mir kann. Tom Waits
singt für ein Mädchen mit [1][Sonne in den Augen], und der Mann neben mir
fragt, ob ich ein Taschentuch für ihn habe. Habe ich. Eine Frau links vorne
gießt sich Yogitee aus einer Thermoskanne ein.
Wir sind eine große fahrende Familie. Wir atmen dieselbe trockene Bahnluft,
wir gucken aus denselben Fenstern auf die Brandenburger Felder, wir
spiegeln uns in den Scheiben, wir ignorieren Bedarfshalte und hören auf
Durchsagen, und als in Neuruppin West der zweite Zugteil angekoppelt wird,
werden wir kurz gerüttelt. Und als wir dann in Velten sind, ist es schon
fast Berlin und lauter neue Leute kommen dazu und die ganze schöne
Intimität ist hinüber.
24 Dec 2014
## LINKS
[1] http://www.youtube.com/watch?v=B_k_QSdrg6M
## AUTOREN
Margarete Stokowski
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