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# taz.de -- Berliner Szenen: Ist Winter jetzt
> In elf Minuten U-Bahn-Wartezeit kann viel passieren. Eispackungen werden
> gelöffelt, eine Geige wird gezupft und ein Vater hat nicht Geburtstag.
Bild: Mit Sonne ganz hübsch: Yorckstraße.
Am U-Bahnhof Yorckstraße ist die U-Bahn gerade weg. Neben mir auf der Bank
sitzt ein Mann, der sich über eine 2-Liter-Packung Vanilleeis beugt. Er
kippt mit einer Hand eine kleine Flasche Eierlikör ins Eis und löffelt mit
der anderen.
Es ist sehr leise im ganzen Bahnhof, man hört nur das Schmatzen und
Schlabbern. Elf Minuten bis zur nächsten U-Bahn. Eine Frau, die eine weiße
Mütze mit Öhrchen trägt, steht links von uns und tippt in ihr Handy. Dann
klingelt das Handy kurz, die Frau geht ran und sagt sofort: „Was ist das
für Mann?“ Sie regt sich auf und gestikuliert, und es ist fast schade, dass
sie sich zu der Öhrchenmütze nicht noch einen Plüschschwanz umgebunden hat,
dann wär sie eine wütende Schneekatze.
„Was ist das für ein Mann“, fragt sie immer wieder in ihr Handy, „ich fr…
dich, was ist das für ein Mann? So krank, so krank ist er. Ja, das beruhigt
mich. Tamam. So krank.“ Dann legt sie auf, schnaubt noch mal und setzt sich
Kopfhörer auf. Ganz vorne am Gleis steht jetzt ein Musiker mit Lederjacke,
er hält eine Geige in der Hand und den Bogen unterm Arm und zupft leise
„Jingle Bells“. Noch fünf Minuten.
Der Typ mit dem Eis kratzt den letzten Rest aus der Packung, dann steht er
auf und geht. Ein Mann mit Kind kommt die Treppe runter. Der Mann trägt den
Kinderwagen, das Kind läuft Stufe für Stufe runter und singt: „Happy
börsdii, lieber Papa!“ Als beide unten sind, steckt der Mann das Kind in
den Wagen und sagt: „Find ick nich lustig.“ „Happy börsdi!“, ruft das …
und dann: „April, April, Papa!“
„Provizier nich rum“, sagt der Vater, „ist Winter jetzt. Kein April.“
„Wintaaaaa!“, schreit das Kind, und weil es so schön hallt, gleich noch
mal. Dann schiebt der Mann den Kinderwagen mit Kind über den Bahnsteig, er
geht schnell und genervt, und das Kind ruft: „Achtooong! Kinderwagöön!“
Noch drei Minuten.
7 Jan 2015
## AUTOREN
Margarete Stokowski
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