# taz.de -- Berliner Szenen: Oma flog nicht. Oma blieb | |
> Totgesagte leben länger, und manchmal tanzen sie in ihren Sterbekleidern, | |
> statt mit Unterrock in den Himmel zu fliegen. | |
Bild: Das wird doch zu kühl an den Nieren! | |
Am Sonntag nach der Buchmesse feiert Oma ihren Geburtstag, den 83., oder | |
wie Opa sagt, den 38., und Opa hat eigentlich immer recht. Ich trinke als | |
Einzige nur Wasser und Orangensaft, weil ich noch ausnüchtern muss. Die | |
ganze Buchmessewoche hab ich insgesamt vielleicht zwölf Stunden geschlafen | |
und mindestens ebenso viele Liter Wein getrunken, aber dabei auch [1][fast | |
20 Texte geschrieben], und Oma sagt: „Dann solltest du das mit dem Alkohol | |
und dem wenigen Schlaf vielleicht einfach so weitermachen, es scheint dir | |
ja ganz gut zu tun.“ | |
Wir reden über A., der jetzt mit D. zusammen ist, und ich sage, dass ich | |
davon ausgehe, dass die beiden ganz bald heiraten und dann Kinder kriegen, | |
und das auch in genau dieser Reihenfolge. „Na ja“, sagt Oma, „es kann | |
vorkommen, dass die Nachkommen vorkommen!“ | |
Dann erzählt meine Mutter die Geschichte von Omas Sterbekleid. Als Oma noch | |
ein Kind war, hatte sie einen Blinddarmdurchbruch, einen schlimmen und | |
eitrigen. Alle dachten, sie würde sterben, also nähte ihre Mutter ihr schon | |
mal ein Sterbekleid. Damit sie im Sarg hübsch aussehen würde. | |
Aber Oma starb gar nicht, sondern wurde wieder gesund und trug das Kleid | |
dann eben zum Schlafen. Sie tanzte aber auch gern darin, es hatte sogar | |
einen Unterrock, damit man ihr nicht so leicht unter den Rock gucken | |
konnte, wenn sie nach ihrem Tod als Engelchen in den Himmel flog. Aber Oma | |
flog nicht. Oma blieb. | |
Dann serviert meine Mutter albanischen Tee, den sie aus dem Urlaub | |
mitgebracht hat. Irgendwelche Kräuter aus den Bergen. „Lecker, oder?“, | |
fragt sie. „Sehr gut“, sagt Oma. Meine Mutter sagt, das Geld in Albanien | |
heiße Lek. „So wie: Leck mich“, sagt Oma. Und als Mama rausgeht, stellt Oma | |
ihre Tasse weg und sagt: „Schmeckt wie Heu. Sollen wir nicht sagen, ne? Na | |
ja. Aber wenn’s nichts Besseres gibt, dann trinken wir eben auch Tee.“ | |
18 Oct 2014 | |
## LINKS | |
[1] http://blogs.taz.de/buchmesse/ | |
## AUTOREN | |
Margarete Stokowski | |
## TAGS | |
Berliner Szenen | |
Berliner Szenen | |
Berliner Szenen | |
Berliner Szenen | |
Berliner Szenen | |
Berliner Szenen | |
Berliner Szenen | |
Berliner Szenen | |
Berliner Szenen | |
Berliner Szenen | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Berliner Szenen: Meine Hood, Alter | |
Auf den Spuren der eigenen Kindheit in Berlin-Rixdorf. Ein Platz hat einen | |
neuen Namen, aber der Geruch ist derselbe wie früher. | |
Berliner Szenen: Kifferparty olé | |
Jugendliche probieren sich aus: Als Undergroundkünstler auf dem | |
Weihnachtsmarkt und als Beziehungsexpertinnen in der U-Bahn. | |
Berliner Szenen: Voller Koffer | |
Im Regio nach Wismar wird nicht gelesen, es wird gespielt. Mütter werden in | |
Koffer gesteckt, Technik wird vom Kind vermisst. | |
Berliner Szenen: Fast wie Lagerfeuer | |
Bei Tina Dicos Konzert gab es leider kein Lagerfeuer und auch sonst wenig | |
Schnickschnack, aber magische Momente. | |
Berliner Szenen: Was die früher dachten | |
Auf den Flugfeldern der Zukunft wirkt die Vergangenheit plötzlich ganz | |
komisch. Man wird aber nicht alles verstehen müssen. | |
Berliner Szenen: Geh sterben | |
Im Regio wird geklopft und getrunken, die Fotos sind fail, der Schnaps ist | |
eklig. Und sterben gehen heißt gar nichts. | |
Berliner Szenen: Absurdes Gemäuer | |
Ein Abend in altehrwürdigen Räumen in Wannsee: Verschiedene Formen von Neid | |
wechseln einander ab. | |
Berliner Szenen: Mittelpunkt einer Wolke | |
Dicke Eier und was Neues am Fuß in der U-Bahn: Fußvergleich zweier Jungs, | |
von denen einer neue Schuhe hat. | |
Berliner Szenen: Von innen Vanüllje | |
Wenn Schokoeis aus ist und es stattdessen Sanddorn gibt, ist bald auch der | |
bezahlbare Wohnraum aus. |