# taz.de -- Snowdens Rede zum Friedenspreis: „Unsere Werte sind stark“ | |
> Für die Werte einer liberalen Gesellschaft muss man auch eintreten. | |
> Verantwortliche für Machtmissbrauch müssen zur Rechenschaft gezogen | |
> werden. | |
Bild: Edward Snowden war per Laptop im Stuttgarter Theatersaal zu sehen | |
Ich spreche über eine Internetaudioverbindung und möchte mich für alle | |
Schwierigkeiten entschuldigen, die auftreten. Als Erstes möchte ich mich | |
bedanken – ich danke Ihnen sehr. Es ist eine unglaubliche Ehre, | |
ausgezeichnet zu werden, anerkannt zu werden für etwas, was manchmal so | |
hoffnungslos erscheint und trotzdem eine Pflicht ist, weiterzumachen. Ihre | |
Auszeichnung zeigt mir, wie viel Kraft in unserer Gesellschaft ist. | |
Als Bürger müssen wir uns darauf verlassen, dass unsere Regierung uns mit | |
wahrheitsgemäßen Informationen über ihre Politik und ihre Aktivitäten | |
versorgt. Damit meine ich nicht, dass wir die Namen jedes einzelnen | |
Terrorverdächtigen kennen müssen oder jede Polizeiuntersuchung, die | |
stattfindet. Aber wir müssen wenigstens die groben Züge der politischen | |
Strategien verstehen, die unsere Regierung verfolgt. […] | |
Während ich in der National Security Agency gearbeitet habe und in der | |
Central Intelligence Agency, habe ich viele Menschen erlebt, die versucht | |
haben, unter schwierigen Umständen gute Arbeit zu machen. Wirklich | |
gefährlich aber ist, dass sich zwar alle Gedanken darüber gemacht haben, in | |
welche Richtung diese Programme sich entwickelten, aber niemand bereit war, | |
aufzustehen und seine Bedenken zu äußern. Weil sie Angst vor den Folgen | |
haben. Sie haben Angst, dass die Regierung, dass die meisten höheren | |
Beamten ihr Leben zerstören, ihre Karriere ruinieren, sie ins Gefängnis | |
bringen würden. | |
Wir haben diese Art der Vergeltung ja immer wieder in den USA erlebt. | |
Angefangen mit Thomas Drake, der den Mut hatte, den Überwachungsmissbrauch | |
in den Vereinigten Staaten aufzudecken. Er wurde rausgeschmissen. Er wurde | |
als Spion angeklagt, weil er Journalisten Informationen zur Verfügung | |
gestellt hat. So als hätte er Informationen über Geheimdienste an | |
Terrorgruppen im Ausland weitergegeben. Sie haben ihm lebenslanges | |
Gefängnis angedroht, gedroht, dass er seine Familie jahrzehntelang nicht | |
sehen würde – und er hat es trotzdem gemacht. Obwohl er wusste, dass die | |
Vergeltung kommen würde. | |
## Angriff auf die Verfassungsordnung | |
Letztlich haben die Gerichte die Anklagen aber fallen gelassen, und der | |
ganze Fall ist in sich zusammengebrochen, weil der Regierung klargeworden | |
ist, dass sie selbst im Unrecht war. | |
Bei anderen wurde anders entschieden. Beispielsweise im Fall von Chelsea | |
Manning. […] Und wir haben immer wieder erlebt, dass nicht die höheren | |
Beamten, die die Verantwortung für unlautere Strategien hatten, bestraft | |
wurden, sondern die Leute auf den unteren Ebenen. | |
Ich habe all das mit meinen Leuten diskutiert, und wir alle waren sehr | |
besorgt. Wir haben uns gefragt, was man tun kann. Was wir tun können. | |
Denn für uns war klar, dass das, was da passiert, ein Angriff auf unsere | |
gesamte Verfassungsordnung ist. Und dass die Verstöße gegen Gesetze in den | |
Vereinigten Staaten in einem größeren, internationalen Zusammenhang stehen. | |
Viele haben mir gesagt, dass das internationale Recht nicht unser Problem | |
ist. Sie haben mich gewarnt, dass das Risiko für mich persönlich zu groß | |
sein würde, haben gesagt, ich solle an meine Familie denken. Und ich solle | |
darüber nachdenken, was passieren würde, wenn ich die nächsten 30 Jahre im | |
Gefängnis verbringen müsste. Im Nachhinein war das eine überraschend | |
zutreffende Prophezeiung. | |
Denn als ich diese Informationen der amerikanischen Öffentlichkeit | |
zurückgegeben habe, also jenen Menschen, denen diese Informationen gehören | |
und denen sie ungerechtfertigterweise vorenthalten wurden, da hat die | |
Regierung mich tatsächlich angeklagt, als wäre ich ein Spion, und genau | |
diese 30 Jahre Gefängnis angedroht. | |
## „Ich bereue diese Entscheidung ganz und gar nicht“ | |
Aber auch wenn ich nicht nach Hause gehen kann und selbst wenn ich immer | |
noch im Ausland bin, mache ich Tag für Tag weiter, um das Bewusstsein für | |
diesen Machtmissbrauch wachzuhalten. Ich werde weiter aufdecken, wie unser | |
Recht gebrochen wird, wie sich die Konzerne und die Regierungen | |
zusammengetan haben, um die Bedeutung unserer Grundrechte und die Grenzen | |
unserer Freiheiten zu verändern, um uns vorzuschreiben, was wir tun dürfen | |
und was nicht. Ich werde weiter aufdecken, dass wir beobachtet werden, | |
analysiert werden, dass Akten über unser Privatleben angelegt und an andere | |
weitergeleitet werden, ohne dass wir davon wissen. | |
Ich bereue diese Entscheidung ganz und gar nicht, denn es geht hier um | |
Informationen, die wir kennen müssen. Und wir können ja schon Ergebnisse | |
beobachten, in verschiedenen Regierungen und unterschiedlichen Ländern. Und | |
wir sehen, wie die Meinungen in der Öffentlichkeit sich verändern. Wir | |
erleben, wie die Leute sich mit diesen Überwachungsprogramme | |
auseinandersetzen. […] Dieses neue Wissen verändert unsere Einschätzung von | |
Freiheit und Freizügigkeit. | |
Es ist klargeworden, dass Firmen, Konzerne und Regierungen die Bewegungen | |
unserer Handys verfolgen, dass sie nachvollziehen, wie oft wir Leute | |
anrufen, welche Nummern wir anrufen, und dass Schlüsse daraus gezogen | |
werden können, welche politische Partei wir wählen, wer unsere Freunde | |
sind, wen wir lieben. | |
Und wenn die US-Regierung einen Verdacht hat, nutzt sie Programme, die | |
nicht durch Gesetze legitimiert sind und vollkommen geheim ablaufen. Die es | |
beispielsweise erlauben, Ihre persönlichen Pornopräferenzen | |
auszuspionieren, nur damit man Sie und Ihre unliebsame Überzeugung | |
diskreditieren kann. | |
## Terrorismus keine existenzielle Bedrohung | |
Wir haben das Recht, die Regierung zu fragen: Ist das wirklich nötig, und | |
steht das noch in einem angemessenen Verhältnis zur Bedrohung, der wir | |
gegenüberstehen? Es gibt Zeiten, es gibt immer außergewöhnliche Momente in | |
der Geschichte, in denen wir entscheiden, dass der Grad der Privatsphäre | |
des einzelnen Bürgers und seine Wahlfreiheit sich verändern dürfen. Wir | |
geben zum Beispiel unsere Einwilligung, unser Gepäck an Flughäfen zu | |
durchsuchen. | |
In Zeiten totaler Kriege, Zeiten der Weltkriege erleben wir immer eine | |
Zunahme von Überwachung. Und immer wieder sind die individuellen | |
Konsequenzen zumindest in einem gewissen Rahmen und einer begrenzten Zeit | |
angemessen, weil sie als absolut existenziell für das Überleben der Nation | |
dargestellt werden. Der Terrorismus aber ist keine solche Bedrohung. | |
Terrorismus ist eine ganz reale Gefahr, eine Gefahr, für die unsere | |
Strafverfolgungsbehörden, die Gesetzeshüter, zuständig sind. Terrorismus | |
existiert seit Hunderten von Jahren, gab es lange bevor irgendjemand jemals | |
etwas von Osama bin Laden, den Taliban oder al-Qaida gehört hatte. | |
Und doch, obwohl diese Täter existieren, obwohl wir die schrecklichen | |
Verbrechen in Syrien und im Irak immer und immer wieder sehen, halten | |
unsere Gesellschaftsordnungen stand und widerstehen dem Terror. Aber gerade | |
nicht, weil die Überwachung so stark ist, sondern weil unsere Werte so | |
stark sind. | |
## Eintreten für die eigenen Rechte | |
Und aus dieser inneren Stärke heraus entsteht die Verpflichtung, | |
aufzustehen und zusammenzuarbeiten, jeden Tag wieder, um eine bessere Welt | |
aufzubauen und uns nicht einschüchtern zu lassen von weit entfernten | |
Drohungen, von Menschen, die uns Leid wünschen und uns verletzen wollen. | |
Wir haben verstanden, dass wir unsere Gesellschaftsordnung niederbrennen, | |
wenn wir unsere Rechte einschränken und die Werte aufgeben, die uns stark | |
gemacht haben. Dann haben wir damit nicht die Nation gerettet. Dann haben | |
wir gegen sie gehandelt, wir haben sie zerstört. | |
Wir können uns beschützen und das Leben um uns herum, wir können die | |
Zukunft schützen, nicht nur für uns, sondern auch für diejenigen, die nach | |
uns kommen, indem wir für unsere Rechte eintreten. Dabei gehören diese | |
Rechte nicht mir, sie gehören auch nicht dir, sie gehören uns allen, sie | |
gehören der Welt. Sie gehören zum menschlichen Körper. | |
Und wenn wir in einer liberalen Gesellschaft leben wollen und eintreten für | |
liberale Werte, dann heißt das nicht nur, uns Leuten entgegenzustellen, die | |
voller Angst sind und weit weg sind von uns. Oder Leuten, die nicht | |
aussehen wie wir, Leute, die nicht so sprechen wie wir. | |
Sondern es heißt, diese Rechte zu verteidigen, diese Werte, auch gegen die | |
höchsten Staatsbeamten in unserer Regierung, und es heißt, zu fordern, | |
dass, wenn sie unsere Gesetze ändern, wenn sie uns geheime | |
Gerichtsverfahren aufzwingen und geheime Programme, die unseren Werten | |
konträr entgegenstehen – dass wir sie irgendwann öffentlich zur | |
Verantwortung ziehen werden für ihre Entscheidungen. | |
Anders können wir nicht existieren. Regierung und Demokratie sind auf | |
Vertrauen gegründet. Und dies erfordert Prinzipien. Und es erfordert | |
Aktivisten rund um die Welt, die aufstehen und sagen, hier läuft etwas | |
falsch. | |
Und ich werde nicht nur einfach sagen, dass es falsch ist. Ich werde | |
darüber einen Zeitungsartikel schreiben. Ich werde diesen Verhältnissen die | |
Stirn bieten und sagen, dass ich alles tun werde, was ich tun kann – damit | |
die gleichen Rechte, die ich selbst geerbt habe, auch für meine Kinder da | |
sein werden und für die Gesellschaft, zu der sie gehören. Ich danken Ihnen, | |
ich danke Ihnen sehr. | |
Bearbeitet und übersetzt von Gaby Sohl | |
24 Nov 2014 | |
## AUTOREN | |
Edward Snowden | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Überwachung | |
Whistleblower | |
Edward Snowden | |
Friedenspreis | |
Bradley Manning | |
NSA | |
Edward Snowden | |
Edward Snowden | |
Schwerpunkt Überwachung | |
Schwerpunkt Überwachung | |
USA | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Manning darf behandelt werden: Hormone für Wikileaks-Informantin | |
Chelsea Manning darf im US-Militärgefängnis eine Hormonbehandlung beginnen. | |
Bei ihr bestünde ein hohes Suizidrisiko. | |
Alternativer Nobelpreis für Snowden: „Dies ist erst der Anfang“ | |
Bei der Verleihung des Alternativen Nobelpreises appelliert Snowden an die | |
UN, mehr für den Schutz der Privatspähre zu tun. Auch Alan Rusbridger vom | |
„Guardian“ wird geehrt. | |
CCC-Sprecherin über NSA-Skandal: „Es geht um Wirtschaftsspionage“ | |
Viele Unternehmer seien aufgewacht, sagt Constanze Kurz vom Chaos Computer | |
Club. Sie hätten längst begriffen, was Snowdens Enthüllungen bedeuten. | |
Stuttgarter Friedenspreis für Ed Snowden: Für den Verrat, für die Freiheit | |
Der Verein „Die Anstifter“ hat seinen Friedenspreis an Edward Snowden | |
verliehen. Der Whistleblower ist mit dabei – per Liveschalte. | |
Friedenspreis für Edward Snowden: Ed spricht mit Stuttgart | |
Der Verein „Die Anstifter“ verleiht seinen Friedenspreis an Edward Snowden. | |
In einer Liveschalte spricht der Whistleblower im Stuttgarter Theaterhaus. | |
Friedenspreis geht an Snowden: Für widerständiges Handeln | |
Edward Snowden wird für seine Aufklärungsarbeit mit dem Stuttgarter | |
Friedenspreis geehrt. Eine gekürzte Fassung der Laudatio. | |
Journalist in den USA: Staatsfeind Nummer zwei | |
Lange vor Edward Snowden recherchierte Barrett Brown zur Überwachung. Am | |
16. Dezember soll ein Urteil gegen ihn fallen. Was hat er verbrochen? |