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# taz.de -- Wahl in der Republik Moldau: Brüssel oder Moskau?
> Bei der Abstimmung am Sonntag entscheiden die Moldauer, in welche
> Richtung sich ihr Land bewegt. Die Gesellschaft ist tief gespalten.
Bild: Wahlwerbung der Sozialistischen Partei in Chisinau.
BERLIN taz | „Vorwärts in eine europäische Zukunft“, steht auf einem
riesigen Plakat der Liberaldemokratischen Partei (PLDM), das an der Fassade
eines Plattenbaus im Zentrum der moldauischen Hauptstadt Chisinau hängt.
Gleich darunter hat sich die Sozialistische Partei breitgemacht. „Statt arm
und verschuldet in Europa, lieber in Wohlstand neben Russland!“, heißt es
da.
Die beiden Slogans bringen auf den Punkt, worum es bei den Parlamentswahlen
am Sonntag in der Republik Moldau (auch Moldawien oder Moldova genannt),
einem 3-Millionen-Einwohnerstaat zwischen der Ukraine und Rumänien, vor
allem geht: um einen grundlegenden Richtungsentscheid für eine Annäherung
an Europa oder an Russland.
Für eine pro-westliche Ausrichtung stehen die Liberaldemokratische Partei
(PLDM), die Demokratische (PDM) sowie die Liberale Partei (PLR), die
derzeit die Regierung stellen. Sie kämen jüngsten Umfragen zufolge derzeit
auf rund 49 Prozent der Stimmen - in etwa der Zustimmungswert in der
Bevölkerung zu einer weiteren Integration in Europa
Auf ihrem Weg gen Westen hat die Koalition, die seit 2013 im Amt ist,
zweifelos einige Fortschritte gemacht. Am 27. Juni dieses Jahres
unterzeichneten die EU und Moldau ein Assoziierungsabkommen, das mit einem
Freihandelsbabkommen verbunden ist. Zuvor war für moldauische Bürger die
Visa-Pflicht für den Schengen-Raum abgeschafft worden.
## Desolate sozialökonomische Situation
Konterkariert wird diese „Erfolgsbilanz“ jedoch durch eine nach wie vor
grassierende Korruption, die bei den Wählern wachsenden Unmut hervorruft.
Hinzu kommt die desolate sozialökonomische Situation eines Großteils der
Moldauer. Die Republik gehört zu den ärmsten Ländern Europas mit einem
Brottoinlandsprodukt (BIP) von rund 1.675 Euro pro Kopf (Deutschland:
36.000 Euro). Rund eine Million Moldauer arbeitet im Ausland. Ohne ihre
Rücküberweisungen würde der moldauische Staatshaushalt zusammenbrechen.
Die Enttäuschung vieler Menschen versucht sich das Oppositionslager zunutze
zu machen. Führende Kraft sind hier die Kommunisten (PCRM), die mit rund 20
Prozent der Stimmen rechnen können. Parteichef Wladimir Woronin kündigte
unlängst an, das Assoziierungsabkommen nachjustieren zu wollen, da es
nationale Interessen nicht ausreichend berücksichtige. Ansonsten halten
sich die Kommunisten, was einen pro-russischen Kurs angeht, derzeit jedoch
eher bedeckt. Als im moldauischen Parlament über das EU-Abkommen abgestimmt
wurde, votierten die Kommunisten zwar nicht dagegen, verließen aber
demonstrativ den Saal.
Weit weniger Berührungsängste mit Moskau haben die Sozialisten, die bei
zehn Prozent gehandelt werden. Ihr Vorsitzender Igor Dodon, der im Falle
eines Sieges die Annäherung an Europa zugusten eines Beitritts zur
Russland-geführten Zollunion stoppen will, wurde am 4. November mit einer
weiteren führenden Parteigenossin von Russlands Präsident Wladimir Putin im
Kreml empfangen. Fotos des Treffens waren kurz darauf auf zahlreichen
Werbetafeln in Chisinau zu bewundern.
Bis Mitte dieser Woche sah es ganz danach auch, als würde auch die erst im
September gegründete Partei "Vaterland" problemlos den Sprung über die
Sechsprozenthürde schaffen. Deren Chef Renato Usatii ist ein politischer
Newcomer. Der 36jährige Geschäftsmann, der in Russland ein Vermögen
verdient hat, bezeichnet den weißrussischen Autokraten Alexander
Lukaschenko als eines seiner Vorbilder. Im Wahlkampf gerierte er sich als
beinharter Anti-Korruptionskämpfer und kündigte im September an, alle
Oligarchen unwerzüglich hinter Gitter zu bringen - allen voran den Chef der
PLDM und ehemaligen Regierungschef, Vlad Filat.
## Der Konflikt mit Russland ist allgegenwärtig
Am vergangenen Mittwoch schloß die Zentrale Wahlkommission die Partei
„Vaterland“, die einige Beobachter in Moldau als „russisches Projekt“
bezeichnen, von der Wahl aus. Zur Begründung der Entscheidung hieß es, die
Partei sei mit umgerechnet 425.000 Euro aus dem Ausland finanziert worden.
Ebenfalls am Mittwoch waren fünf Mitglieder einer verbotenen prorussischen
Gruppe in Chisinau festgenommen worden. Bei Hausdurchsuchungen seien
Pistolen, Granatwerfer, Uniformen und große Mengen Bargeld gefunden worden.
Das alles lasse auf Vorbereitungen gewaltsamer Protest nach den Wahlen
schließen, hieß es.
Der Umgang mit „Vaterland“ ist nicht der einzige Vorfall im Kontext dieser
Wahlen, der Kritik auslöst. So monierte Alexei Tulbure, Moldaus ehemaliger
Vertreter bei der UN, dass es in Russland, wo rund 500.000 Moldauer
arbeiten, nur ganze fünf Wahllokale gebe. Doch nicht nur die Regierung in
Chisinau versucht die Stimmabgabe der in Russland arbeitenden Moldauer zu
beinflussen. Diesen gegenüber zeigte sich Moskau entgegen früherer
Drohungen, das Aufenthaltsrecht zu verschärfen, nun unerwartet großzügig.
Selbst wer einen illegalen Status hat, darf seit dem 5. November in seine
Heimat fahren, dort wählen und nach Russland zurückkehren, ohne Sanktionen
befürchten zu müssen.
Moldauische „Gastarbeiter“ sind für Moskau jedoch nicht der einzige Hebel,
um Druck auszuüben. So sind neben Wein und Weinbrand auch Obst, Gemüse und
Fleisch mit einem Einfuhrstopp belegt. Und immer wieder wird der Gaspreis
benutzt, um den ehemaligen Bruder gefügig zu machen.
Ein weiteres russisches Einfallstor ist die von Moldau abtrünnige und
international nicht anerkannte Republik Transnistrien, wo bis zu 1.400
russische Soldaten stationiert sind.
Auch in der südlichen autonomen russischsprachigen Region Gagausien mischt
Moskau mit. So fallen gagausische Weine nicht unter das russische Embargo,
das demnächst auch für andere Waren aus der Region aufgehoben werden
könnte. Gagausiens Gouverneur hat sich mehrfach für einen Beitritt zur
Zollunion ausgesprochen. Genauso wie angeblich 98 Prozent der Gagausier,
die im vergangenen Februar an einem Referendum über diese Frage
teilgenommen haben sollen.
„In Moldau ist der Wähler nur ein kleines Würstchen, das während der
Wahlkampage benutzt wird“, sagt Vlad Spanu von der Moldova Foundation mit
Sitz in Washinton D.C. „Er wird oft betrogen, mit Konzerten hinters Licht
geführt und mit Taschen voller Lebensmittel gekauft. Dann vergisst man ihn
für vier Jahre, bis man ihn wieder braucht.“ Am Sonntag wird er gebraucht.
28 Nov 2014
## AUTOREN
Barbara Oertel
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Republik Moldau
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