# taz.de -- Parlamentswahl in Moldau: „Alle schauen auf uns“ | |
> Moldau wählt ein neues Parlament. Der Staat ist zwischen Russland und der | |
> EU hin- und hergerissen. Bürger sagen, warum die Wahl nicht leicht ist. | |
Bild: Plakate in Chisinau: Wahlkampf im ärmsten Land Europas. | |
## Ramin, 27 Jahre, Fotojournalist | |
Viele Menschen hier wünschen sich die Unabhängigkeit von Russland. Ich mag | |
diese Idee aber ich frage mich, warum man nicht schon vor 10 Jahren darauf | |
hingewirkt hat. Nun sind die großen Länder mit im Spiel, denen die Republik | |
Moldau zwar keine Ressourcen bringt, aber immerhin einen kleinen | |
strategischen Vorteil. | |
Sollte Russland stärkeren Einfluss gewinnen, werden sich wohl keine großen | |
Veränderungen ergeben. Die meisten Menschen in diesem Land wollen auch gar | |
nicht, dass sich so viel ändert. Vielleicht etwas mehr Reisefreiheit, um | |
die Verwandten im Ausland besuchen zu können – aber darüber hinaus? Wir | |
haben hier keine kritische Masse an konstruktivem Denken. | |
Die EU könnte einiges für unser Land bewirken: kann lokale Reformationen | |
anstoßen oder etwas gegen die Korruption tun. Dennoch sollte die Republik | |
Moldau sich selbst treu bleiben und sich nicht zu sehr beeilen, zur EU | |
aufzuschließen. Wir sollten die Vorteile, die sich uns auf dem Weg in die | |
EU anbieten, nutzen, um unser Land zu modernisieren und dann sehen, was in | |
fünf oder zehn Jahren ist. Wir müssen erst noch dechiffrieren, was die EU | |
für uns bedeutet. | |
## Natalia, 28 Jahre, Tourismusmanagerin | |
So kurz vor den Wahlen ist es noch schwer, eine Tendenz zu erkennen, in | |
welche Richtung sich die Republik Moldau entwickeln wird. Dennoch haben | |
viele die Hoffnung, dass sich etwas ändern wird. Wir dürfen nicht nur an | |
die kurzfristigen Sicherheiten denken, wir müssen auch die längerfristigen | |
ökonomischen Interessen unseres Landes berücksichtigen. | |
Unter den älteren Menschen gibt es sicherlich noch etliche, die daran | |
gewöhnt sind, dass der Staat immer für sie sorgt und sie selbst nichts zur | |
Zukunft ihres Landes beitragen müssen. Aber die jüngere Generation sieht | |
das anders – wir wollen unser Schicksal selbst in die Hand nehmen. Ich habe | |
einige Zeit in den Vereinigten Staaten gelebt und war sehr beeindruckt von | |
dem, was ich dort gesehen habe. Mit einem Mal wurde mir klar, wie leicht es | |
ist, einfach fort zu gehen und im Ausland ein neues Leben zu beginnen. | |
Dennoch habe ich mich entschieden, zurückzukommen. Die Möglichkeit, im | |
Ausland Erfahrungen zu sammeln, ist sehr wichtig und gleichzeitig gibt es | |
eine wachsende Zahl an Menschen, die zurückkommen, weil sie in die Zukunft | |
unsers Landes investieren wollen. | |
## Ion, 31 Jahre, Weinhändler | |
Manchmal schaue ich mir die russischen Sender an. Die sind so gut gemacht, | |
dass ich schnell umstelle, weil ich Angst habe, dass ihnen auch geglaubt | |
wird. Die meisten Menschen hier sind nicht in der Lage, zwischen den Zeilen | |
zu lesen. Das Problem ist, wer an Russland glaubt, geht zur Wahl. Die | |
anderen bleiben weg. | |
Das erste Embargo im Jahr 2006 hat uns Weinhändler sehr hart getroffen, | |
damals hat niemand erwartet, dass Russland solche Maßnahmen treffen würde. | |
Danach haben wir uns nach neuen Märkten umgeschaut, so dass uns das jüngste | |
Embargo nicht mehr so hart getroffen hat. Einer der renommiertesten Winzer | |
unseres Landes hat jetzt einen „Freedom Blend“ im Sortiment, mit Trauben | |
aus Georgien, der Ukraine und der Republik Moldau, die alle vom | |
Handelsembargo betroffen sind. | |
Die Ukraine kämpft für ihre Unabhängigkeit, Rumänien hat vor zwei Wochen | |
gezeigt, dass es weiter Richtung Europa geht, jetzt schauen alle auf uns. | |
Wir haben uns schon zu lange nach Osten orientiert, von dort kommt nichts | |
Gutes. Wer in 10 Jahren zwei Embargos verhängt, ist kein geeigneter | |
strategischer Partner. | |
## Igor, 46 Jahre, Manager und Musiker | |
Unser Volk tut sich sehr schwer damit, seine Identität zu finden. Ich | |
spreche Rumänisch, aber ich fühle mich als Europäer. Viele von uns sind von | |
ihrer Abstammung her Rumänen und dann gibt es noch Russen, die nach dem | |
zweiten Weltkrieg gekommen sind. Die sprechen kein Rumänisch haben aber | |
moldauische Pässe. Wie sollen wir da für unsere Identität kämpfen? | |
Es gibt in unserem Land eine pro-europäische Koalition, die eine Straße | |
nach Europa baut. Aber trotzdem wünschen sich viele Menschen das Leben in | |
der Sowjetunion zurück. Nicht umsonst ist Wladimir Putin übergroß auf den | |
Wahlplakaten in der Stadt zu sehen. Im November hat unser Nachbarland | |
Rumänien gewählt. Ich habe die langen Schlangen vor den Wahllokalen gesehen | |
– die Rumänen, die hier in Chisinau leben, mussten viel Geduld haben, um | |
ihre Stimme abzugeben. Aber sie haben etwas erreicht. Die Demokratie in | |
Rumänien hat sich schon so gut entwickelt, dass man inzwischen eine echte | |
Wahl zwischen den Kandidaten hat. Es ist mir wichtig, wählen zu gehen, aber | |
wir haben einfach nicht so viel auf dem Menü. | |
## Juliana, 35 Jahre, Lehrerin und alleinerziehende Mutter | |
Meine Eltern haben panische Angst davor, dass wir nach der Wahl eine | |
Situation wie in der Ukraine haben könnten. Ich bin mir aber sicher, so | |
wird es nicht kommen, denn wir stehen schon mit einem Bein in der EU. Der | |
Wahlkampf der Parteien ist sehr schmutzig, der Kandidat Usatîi hat sogar | |
Postwurfsendungen für die russischen Wähler im Norden verteilt, an die 100 | |
Leu-Scheine (ca. fünf Euro) geheftet waren. Eigentlich wollte ich nicht | |
wählen gehen, aber letztendlich werde ich es doch tun. | |
Manchmal habe ich den Wunsch, fortzugehen. Aber wer ein Kind hat, denkt | |
nicht zuerst an seine eigene Zukunft. Die ersten Jahre musste ich meinen | |
Sohn alleine lassen, weil ich im Ausland gearbeitet habe. Anfangs wusste er | |
nicht, wer eigentlich seine echte Mama ist – die Großmutter oder ich. Er | |
fühlt sich wohl hier in Chisinau und deswegen werde ich bei ihm bleiben. | |
Neben meiner Arbeit als Hochschullehrerin habe ich noch zwei weitere Jobs. | |
Ich träume davon, eines Tages nur noch einen einzigen Job zu haben, von dem | |
ich uns ernähren kann. | |
Protokolle von Sebastian Pranz und Sophia Bellmann | |
30 Nov 2014 | |
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