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# taz.de -- Katalanische Unabhängigkeitsbewegung: Die tragische Woche
> Wie ein offenes Buch führt das Born Centre Cultural ins Barcelona des 18.
> Jahrhunderts – mitten hinein ins Urtrauma der Katalanen.
Bild: Das Kulturzentrum El Born mit freigelegten Grundmauern des alten Barcelon…
Ein Teller mit Oliven, ein paar Gambas und Stockfisch-Kroketten, dazu ein
kühles Bier – es macht schon Spaß, auf der Terrasse der Taverna del Born zu
sitzen und dem Treiben rund um Picasso-Museum und Kathedrale Santa Maria
del Mar zuzusehen. In dem Viertel wimmelt es von hübschen Läden, Galerien,
Cafés, Bars und unzähligen Menschen.
So viele Touristen wie heute gab es hier früher nicht, aber stark
frequentiert war die Gegend schon immer. Schließlich steht mittendrin der
Mercat del Born, eine der größten Markthallen der Stadt. Fast 100 Jahre
lang, von 1876 bis 1971, kauften die Anwohner hier ihr Gemüse, Obst,
Fleisch und Fisch. Es wurde begutachtet, gehandelt und gefeilscht, bis der
Markt Anfang der 1970er Jahre geschlossen wurde.
Fortan sollte die kunstvolle, filigrane Dachkonstruktion aus Eisen eine
Bibliothek beherbergen. Die Bauarbeiten begannen. Es wurde gegraben und
gegraben, dabei kamen die Siedlungsreste des 18. Jahrhunderts zum
Vorschein. Und zwar nicht irgendeines beliebigen Teils des damaligen
Barcelona. Vielmehr jener, wo vor 300 Jahren die Schicksalsstunde
Kataloniens schlug. Bis heute wirkt der 11. September 1714 fort und bildet
den Nährboden für die aktuellen Unabhängigkeitsbestrebungen.
Alles begann mit den Spanischen Erbfolgekriegen. Als 1700 der
Habsburgerkönig Karl II. stirbt, behaupten sich die Bourbonen mit Philipp
von Anjou als neue Machthaber in Madrid.
Katalonien, das zuvor unter den Plünderungen und auch anderen Repressalien
der Franzosen litt, will dies nicht hinnehmen und schließt sich mit
England, Österreich und den Niederlanden zur Großen Allianz zusammen, die
Ludwig XIV. den Krieg erklärt und den Habsburger Erzherzog Karl von
Österreich zum König kürt.
Nachdem Frankreich als Sieger aus der Schlacht von Almansa hervorgegangen
ist, wird 1713 der Frieden von Utrecht geschlossen, der Katalonien
unberücksichtigt lässt und sozusagen den Bourbonen ausliefert. Denen
leistet die katalanische Ständeversammlung daraufhin erbitterten
Widerstand. Es kommt zu schweren Kämpfen, zehn Monate wird Barcelona
belagert, dann muss das Land kapitulieren. Infolgedessen verliert es nicht
nur seine politische Eigenständigkeit und das Recht auf die eigene Sprache.
## Militärische Festungsanlage
Die Bewohner werden auch auf grausame Art aus ihren Wohnquartieren
vertrieben. Tausende sterben oder werden gefangen genommen. Und dort, wo
die letzte Schlacht stattfand, in der Nähe des Mercat del Born, errichten
die neuen Machthaber die Ciutadella, eine militärische Festungsanlage zur
Überwachung der Bevölkerung.
Die Wunde, die die Setmana Tràgica, die Tragische Woche von 1714,
geschlagen hat, ist in Katalonien nie verheilt. Und wird an jedem 11.
September wieder aufgerissen, wenn die Diada, der katalanische
Nationalfeiertag, gefeiert wird. Dann erwacht jedes Mal aufs Neue die
Erinnerung an die schwere Niederlage, die Demütigung und den Verlust der
Eigenständigkeit.
Das Gebiet um die Markthalle, wo sich das Schicksal Kataloniens entschied
und lange Zeit die berüchtigte Festungsanlage stand, hat in diesem
Zusammenhang einen besonderen Symbolcharakter. Entsprechend lange wurde
debattiert, was mit dem Mercat del Born geschehen soll. Sollte man
tatsächlich an der geplanten Bibliothek festhalten? Oder nicht vielleicht
doch besser einen Ort schaffen, an dem die Geschichte authentisch erlebbar
wird – anhand der sorgsam freigelegten Ruinen?
## 299 Jahre später
Am 11. September 2013, auf den Tag genau 299 Jahre nach dem Schicksalsdatum
von 1714, wurde schließlich El Born Centre Cultural eröffnet. Ein
Kulturzentrum, das nach mehreren Seiten hin offen und für jeden zugänglich
anhand der Ausgrabungen die Stadtgeschichte aufrollt. Eine Galerie führt um
die Ruinenfelder herum, von oben blickt man direkt wie in ein offenes
Geschichtsbuch in die früheren Straßenzüge und Häuser hinein. In die Häuser
des Weinhändlers und der Fischer zum Beispiel.
„Letztere lagen ganz in der Nähe des Hafens“, erklärt die Führerin. „D…
Frauen waren für die Konservierung des Fangguts verantwortlich, das in Salz
eingelegt wurde.“ Auch die Fundamente eines Bordells kann sie zeigen – aus
Archiven ist bekannt, wo sich was befand. Und auch, dass hier vor dem 11.
September 1714 an 120 Tagen im Jahr Karneval gefeiert wurde. Wer sich einer
Führung anschließt, kann sogar mitten durch die alten Mauerreste laufen.
Diese Zeitreise ins 18. Jahrhundert ergänzen Sonderausstellungen über die
Belagerung von 1714 und andere Aspekte der Stadthistorie. Das Angenehme
daran ist, dass alles ästhetisch und so gestaltet ist, dass keiner das
Gefühl hat, die Lektionen in katalanischer Geschichte sollen mit einem
Holzhammer eingetrichtert werden.
## Kulisse für Konzerte und Vorträge
Im Übrigen wird die wunderbare Markthalle – wie es sich für ein
Kulturzentrum gehört – auch regelmäßig zur Kulisse von Jazz-, Klavier- oder
Kammerkonzerten, Vorträgen oder anderen Veranstaltungen.
Auch für ein Café-Restaurant ist unter dem riesigen Eisendach Platz. Wer
sich hier gestärkt hat, kann auf der sogenannten Ruta 1714 noch weitere
Schauplätze der Setmana Tràgica in Barcelona entdecken.
Das Kloster Sant Agustí Vell zum Beispiel, das Hort des prohabsburgischen
Widerstands war, den Fossar de les Moreres, wo die Helden der letzten
Schlacht begraben liegen, oder das Museum für Katalanische Geschichte, das
die historischen Ereignisse multimedial aufbereitet hat. Nicht nur die
können einem zu denken geben.
Erstaunlich ist auch, mit welcher Normalität heute das Leben in den
geschichtsträchtigen Straßenzügen Barcelonas vonstatten geht. Bis sie sich
erneut mit einer Massendemonstration der Unabhängigkeitsbewegten füllt …
7 Dec 2014
## AUTOREN
Ulrike Wiebrecht
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