# taz.de -- Bizarre Rituale in Südkorea: Der Trend geht zum „Happy dying“ | |
> Menschen spielen in Südkorea ihren eigenen Tod, inklusive Sarg und allem | |
> Drum und Dran. Das soll glücklich machen – in einem Land mit einer hohen | |
> Suizidrate. | |
Bild: Zen-Zentrum in Seoul: Da liegen Menschen drin – lebendige Menschen. | |
SEOUL dpa | Bedächtig wie bei einer Trauerprozession steigen ein Dutzend | |
Frauen und Männer die Stufen zum Keller eines buddhistischen Tempels in | |
Seoul hinab. Alle sind in ein gelbes Gewand aus Jute gekleidet – die | |
traditionelle Trauerkleidung in Korea. Vor sich tragen sie eine Kerze und | |
ein mit Trauerrand verziertes Foto von sich. „Nehmen Sie jetzt Abschied von | |
sich“, sagt eine Männerstimme in einem nur mit Kerzenschein beleuchteten | |
großen Raum, in dem zahlreiche sargähnliche Holzkisten stehen. | |
Dann legen sich alle in einen der Särge, die Hände werden verbunden und der | |
Deckel geschlossen. Die zwei hammerähnlichen Schläge auf den Deckel sind | |
nur Show. Etwa 15 Minuten verbringen die „Toten“ im dunklen Kasten. Zeit, | |
die sie nutzen sollen, um über ihr eigenes Leben nachzudenken. Dann ist die | |
gespielte Bestattung zu Ende. „Happy dying“ („glückliches Sterben“) he… | |
die Kurse, die laut Veranstalter zur Meditation über die Beziehung von Tod | |
und Leben anregen sollen. | |
Die Aktion ist der Höhepunkt eines etwa vierstündigen Seminars. Alles | |
geschieht freiwillig. Und was einem westlichen Teilnehmer bizarr und | |
vielleicht makaber vorkommt, liegt in dem ostasiatischen Land schon seit | |
längerem im Trend. Darin spiegelt sich auch die wachsende Sehnsucht der vom | |
Alltag gestressten Koreaner nach einem glücklicheren Leben wider. | |
Den Menschen soll neue Lebensfreude vermittelt werden. Die Liste der | |
Teilnehmer reicht vom Oberschüler bis zum Rentner. Und das Interesse | |
wachse, sagen die Anbieter. Viele Unternehmen und Verbände meldeten ihre | |
Beschäftigten oder Mitglieder an, sagt Seminarleiter Kim Ki Ho, dessen | |
Firma Beautiful Life die Kurse im Tempel der buddhistischen Organisation | |
Nungin Sunwon seit 2004 anbietet. Die Teilnehmer zahlen dafür 50.000 Won | |
(etwa 36 Euro). | |
## Ängste ausnutzen | |
Kritiker wie der Todesforscher Kim Cha Young von der Sogang-Universität | |
sprechen sogar von einer „Industrie der Schein-Bestattung“. Einige Anbieter | |
wollten damit nur Geld machen, meint Kim. „Sie nutzen die Angst vor dem Tod | |
aus.“ Kim Ki Ho sieht das selbstverständlich anders: „Viele Menschen | |
kommen, weil sie ihr Leben ändern wollen.“ Die Konfrontation mit dem Tod | |
solle ihnen den Wert des Lebens wieder näherbringen, sagt der 50-Jährige. | |
„Die eigenen Gedanken anderen mitzuteilen, hilft sehr.“ | |
Während Firmen ihre Mitarbeiter in die Seminare schicken, um die | |
Arbeitsmotivation zu stärken, gibt es auch noch einen anderen Grund. So | |
verweist Kim Ki Ho auch auf die hohe Suizidrate des Landes. Ein Grund dafür | |
sei der Wettbewerbsdruck, der hier besonders stark sei und die Menschen | |
unglücklich mache. In der Hauptstadt Seoul waren Selbsttötungen im | |
vergangenen Jahr laut offizieller Statistik die häufigste Todesursache für | |
Menschen zwischen zehn und 39 Jahren. | |
Die Todesseminare stehen nicht immer in Verbindung mit religiösen | |
Lehrprogrammen wie etwa im Tempel. Die Coffin Academy (Sarg-Akademie) ist | |
nach Berichten südkoreanischer Medien einer der größten Anbieter. „Emotion, | |
Synergie, Business“ heißen die Schlagworte. „Wir akzeptierten maximal 60 | |
bis 80 Teilnehmer“, sagt Firmenchef Jung Joon. Die katholische | |
Wohlfahrtseinrichtung Kkottongnae in der Nähe von Seoul bietet die | |
„Sarg-Erfahrung“ bereits seit Ende der 1990er Jahre an. Dort heißt das | |
„Neugeburt“. | |
## „Ich lebe ein langweiliges Leben“ | |
Die beiden 36 Jahre alten Freundinnen Park Young Yim und Kim So Yub aus | |
Seoul erleben das Seminar in dem Tempel auch als „spirituelle Erfahrung“. | |
Von den Teilnehmern an diesem Tag ist niemand Buddhist. In einem Raum des | |
Zen-Zentrums beantworten sie Fragen zu ihren Wünschen und Enttäuschungen | |
und verfassen einen Abschiedsbrief. | |
Sie sei gekommen, weil sie der plötzliche Tod des Popsängers Shin Hae Chul, | |
in Südkorea auch als „König der Dunkelheit“ bekannt, betroffen gemacht | |
habe, sagt Park. Kurz vor dem Tod des 46-Jährigen im Oktober habe sie noch | |
ein Interview mit ihm gesehen. „Ich kann jeden Moment sterben und ich habe | |
meiner Familie und meinen Freunden noch so viel zu sagen.“ Park und ihre | |
Freundin wollen den Kurs unbedingt weiterempfehlen. Andere erhoffen sich | |
einfach nur Inspiration. Ein junger Mann sagt: „Ich lebe ein langweiliges | |
Leben, ich wollte eine sinnvolle Erfahrung machen.“ | |
16 Dec 2014 | |
## AUTOREN | |
Dirk Godder | |
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