# taz.de -- Mythos „Winterfeste“ in Berlin: Ein Weihnachtsmärchen | |
> Der Bezirk Berlin-Kreuzberg hat Weihnachtsmärkte verboten, behaupten | |
> konservative Politiker und Medien. Doch stimmt das überhaupt? | |
Bild: Auf dem Weihnachtsmarkt am Roten Rathaus in Berlin | |
BERLIN taz | In Kreuzberg ist gerade das Abendland untergegangen. „Deutsche | |
Traditionen werden einer extrem linken Sprachdiktatur geopfert“, meint | |
Josef Zellmeier, Parlamentarischer Geschäftsführer der CSU-Fraktion im | |
Bayerischen Landtag. Er bezieht sich dabei auf die „zwangsweise Umbenennung | |
des Weihnachtsmarktes im Berliner Bezirk Kreuzberg in 'Winterfest'“, wie er | |
[1][in seiner Pressemitteilung schreibt]. „Weihnachts- und | |
Christkindlmärkte sind fester Bestandteil unserer christlichen Kultur“, so | |
Zellmeier. „Die Missachtung der eigenen kulturellen Prägung hat nichts mit | |
Toleranz zu tun, ist vielmehr ein Auswuchs falsch verstandener | |
Multikulti-Ideologie.“ | |
Auch auf den Facebook-Seiten von Pegida- und Hogesa-Demonstranten wird das | |
Weihnachtsmarktverbot kräftig geteilt und deftig kommentiert. Allein: Es | |
gibt dieses Verbot nicht. Es ist ein Weihnachtsmärchen. Eines, das zeigt, | |
wie schlecht recherchierende Journalisten, islamfeindliche Wutbürger und | |
populistische Politiker auf eine Geschichte hereinfallen und sie zum Mythos | |
machen. Eine Geschichte übrigens, die zum ersten Mal ein Migrant in die | |
Öffentlichkeit gebracht hat: Timur Husein. | |
## Wie alles begann | |
Es begab sich aber zu der Zeit im Jahre des Herrn 2007, dass die Islamische | |
Föderation während des gesamten Ramadan täglich das Fasten brechen und Arme | |
speisen wollte. Mit mehreren hundert Muslimen. Überdacht von Zeltplanen. | |
Und zwar vier Wochen lang. Das Bezirksamt wollte die dafür nötige Sperrung | |
des Straßenraums aber nicht genemigen. Vor Gericht hätte aber eine | |
Entscheidung, die sich allein auf Ramadan-Feiern bezieht, keinen Bestand | |
gehabt. Der Beschluss lautete daher: „Das Bezirksamt verständigt sich | |
darauf, dass grundsätzlich keine Genehmigungen für Veranstaltungen von | |
Religionsgemeinschaften zur Selbstdarstellung im öffentlichen Raum erteilt | |
werden.“ | |
Von der ganzen Angelegenheit drang damals nichts an die Öffentlichkeit. | |
Sondern erst fünf Jahre später, als erneut eine Ramadan-Feier beantragt | |
wurde, diesmal auf dem Kreuzberger Mehringplatz. Eine Genehmigung gab es | |
dafür vom Bezirk aber erst, nachdem das Fest in „Sommerfest“ umbenannt | |
wurde. Stadtrat Peter Beckers [2][erläuterte im Bezirksparlament], „dass | |
das Ziel des gemeinsamen Zusammenkommens von Bürgern aller Glaubensrichtung | |
durch ein 'Sommerfest' ganz sicher noch besser erreicht wurde, denn es | |
zeigt damit, dass sowohl Bürgerinnen mit religiösen Glauben erwünscht sind, | |
dass aber diejenigen genauso erwünscht sind, die keinen religiösen Glauben | |
haben“. | |
## CDU fordert Ramadanfeiern | |
Damit zog Beckers den Unmut von Timur Husein auf sich, der im | |
Bezirksparlament von Friedrichshain-Kreuzberg für die oppositionelle CDU | |
sitzt. Husein verlangte, dass Ramadanfeiern als Ramadanfeiern genehmigt | |
werden. Er setzte auch als erster die Behauptung in die Welt, dass | |
Weihnachtsmärkte von dem Beschluss betroffen seien. Der Tagesspiegel | |
[3][berichtete darüber] am 20. August 2013: „Ein Weihnachtsmarkt am | |
Spreewaldplatz trug den Namen Winterfest. Angeblich weil auf öffentlichem | |
Grund auf Anweisung des Bezirksamts Religion keinen Platz habe, sagte Timur | |
Husein.“ | |
Doch das ist schlichtweg eine Lüge: Es gab auf dem Spreewaldplatz im | |
Vorjahr weder einen Weihnachtsmarkt noch ein Winterfest. | |
## Weihnachtsmärkte sind Kommerz | |
Auch Stadtrat Peter Beckers widersprach im Bezirksparlament ausdrücklich: | |
Es gehe in dem Beschluss des Bezirks nicht um Weihnachtsmärkte. Der | |
Beschluss beschäftigt sich schließlich nur mit „Veranstaltungen von | |
Religionsgemeinschaften zur Selbstdarstellung“. Weihnachtsmärkte fallen | |
darunter nicht, denn sie sind „aus meiner Sicht dem Bereich Kommerz | |
zuzuordnen“ [4][sagte Beckers laut dem Wortprotokoll der Sitzung]. Er habe | |
„große Zweifel, ob die üblichen Weihnachtsmärkte überhaupt noch etwas mit | |
Religionsausübung zu tun haben“. | |
Trotzdem: Das Weihnachtsmarktmärchen war nun nicht mehr aufzuhalten. | |
„Kreuzberg verbietet Weihnachten“, [5][schlagzeilte die Berliner | |
Boulevardzeitung B.Z.] auf ihrer ersten Seite. Der berüchtigte | |
Krawall-Kolumnist Gunnar Schupelius [6][behauptete in seinem Artikel]: „Das | |
Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg erlaubt keine Ramadan- und | |
Weihnachtsfeste mehr auf öffentlichen Straßen und Plätzen.“ Der Berliner | |
Kurier [7][schrieb]: Der Bezirk „belegt auch christliche Weihnachtsmärkte | |
mit einem Feierverbot“. | |
## Islamhasser verdrehen die Fakten | |
Die Artikel zogen damals, vor gut einem Jahr, auch ihre Kreise in Blogs und | |
Foren von Islamhassern. Dort wurde der Aspekt mit dem Verbot von | |
Ramadanfeiern allerdings völlig ausgeblendet und nur über das | |
Weihnachtsverbot geschrieben. „Wenn Politiker Traditionen und Kultur | |
verbieten, nur um einer anderen Religion zu gefallen, dann ist dies | |
Hochverrat am Volk", hieß es in [8][einem Blogbeitrag], der sich extrem | |
stark verbreitet und 1.565-mal kommentiert wird. Der Autor befürchtet, dass | |
„muslimische Feste in aller Öffentlichkeit gefeiert werden und das alles | |
Christliche in naher Zukunft verboten und dessen Ausführung unter Strafe | |
gestellt wird. Deutschland schafft sich ab und das mit Freudentänzen über | |
die eigene Dummheit.“ | |
Noch drastischer formulierte es das deutschextremistische Blog „Politically | |
Incorrect“: Das Verbot sei ein „rückgratloser Kniefall vor den | |
orientalischen Invasoren“. Der „Ausverkauf mitteleuropäisch-christlicher | |
Werte hat begonnen, die Machtübernahme des Islams wird vorbereitet“. | |
## Tickt ihr in Berlin noch richtig? | |
Die Story verbreitete sich unglaublich schnell. „Mich haben bundesweit | |
Leute gefragt, ob wir in Berlin noch richtig ticken“, sagte Berlins | |
Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) im Parlament | |
([9][Plenarprotokoll als PDF]). | |
Nach Weihnachten 2013 ebbte die Berichterstattung zunächst ab, lange blieb | |
es ruhig. Doch jetzt in der Weihnachtszeit kommt das Thema wieder hoch. Es | |
dreht eine zweite Runde in den Medien - die dabei durchweg die Verdrehung | |
der Islamhasser übernehmen, wonach der Beschluss des Bezirks sich gegen die | |
Weihnachtsfeiern von Christen richtet. | |
## Ein gefälschtes Zitat | |
Die Bild am Sonntag [10][schlagzeilt vor zwei Wochen]: „Haben wir nicht | |
alle Lichter am Baum?“. In dem Artikel heißt es: „So muss etwa in Berlin, | |
nicht nur in Kreuzberg, aber dort ausdrücklich, der Weihnachtsmarkt | |
neuerdings 'Winterfest' heißen.“ Die Zeitung fragt: „Wo führt es hin, wenn | |
es schon verpönt ist, das Wort Weihnachten nur im Munde zu führen? Sind das | |
christliche Erbe, unsere Kultur, unser Selbstverständnis, unser Wertekanon, | |
auf das Treiben einer 'Religionsgemeinschaft' geschrumpft?“ | |
Die Bild am Sonntag zitiert auch den Beschluss des Bezirks - allerdings | |
falsch. Während es im Original heißt, es würden „keine Genehmigungen für | |
Veranstaltungen von Religionsgemeinschaften zur Selbstdarstellung im | |
öffentlichen Raum" erteilt, streicht die Zeitung die Worte „zur | |
Selbstdarstellung“ - ohne dies Kenntlich zu machen. Ohne diese Fälschung | |
wäre dem Leser auch schwer zu vermitteln gewesen, warum Weihnachtsmärkte | |
von dem Verbot betroffen sein sollen. | |
## Niemand nennt Details | |
Am 6. Dezember druckt auch die FAZ den Beschluss des Bezirks in der | |
gefälschten Fassung und behauptet: „Damit der örtliche Weihnachtsmarkt also | |
doch noch stattfinden konnte, heißt er in diesem Jahr 'Winterfest'.“ Auch | |
in den Nürnberger Nachrichten steht das Wintermarktmärchen, in der | |
Sächsischen Zeitung, der Bild der Frau und nun eben auch in der | |
Pressemitteilung des Parlamentarischen Geschäftsführer der CSU-Fraktion. | |
Dabei fällt auf: Nirgendwo werden Details erwähnt über den angeblich | |
zwangsweise umbenannten Weihnachtsmarkt. Man erfährt nicht, in welcher | |
Straße oder auf welchem Platz er eigentlich stattfindet und was der | |
Betreiber dazu sagt. „Mich hat bisher noch kein Journalist angerufen“, sagt | |
Steffen Belz, der jährlich einen Markt mit dem Titel „[11][Kiezweihnacht]“ | |
rund um die Samariterkirche organisiert. „Wir machen das jetzt zum neunten | |
Mal und es gab noch nie Probleme mit der Genehmigung. Der Bezirk hat auch | |
noch nie gefragt, ob wir nicht das Wort 'Weihnacht' aus dem Namen streichen | |
können.“ | |
## Kirchen können nicht klagen | |
Und wie geht der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg sonst mit christlichen | |
Veranstaltungen im öffentlichen Raum um? Pfarrer Holger Schmidt von der | |
[12][evangelischen Melanchthongemeinde Kreuzberg]: „Es gibt zu Karfreitag | |
in jedem Jahr diverse Prozessionen, immer ohne Probleme. Wir haben ein | |
gutes Verhältnis zum Bezirk.“ Von abgelehnten Genehmigungen weiß er nichts. | |
Michael Wiesböck, Pfarrer der katholischen Kirchengemeinde [13][St. Marien | |
Liebfrauen]: „Die einzige religiöse Feier im öffentlichen Raum in diesem | |
Jahr, der St.-Martins-Umzug, ließ sich wieder ohne Probleme anmelden.“ | |
Pfarrerin Dagmar Apel von der [14][Heilig-Kreuz-Passion-Gemeinde]: „Mir ist | |
kein Problem bekannt mit Genehmigungen durch den Bezirk in den letzten | |
Jahren.“ Zuletzt wurde wieder der St.-Martins-Umzug erlaubt und auch „sehr | |
nett begleitet von der Polizei“. | |
## Die besondere Ironie | |
Sprich: Es gibt im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg keinen einzigen | |
verbotenen Weihnachtsmarkt und keinen einzigen verbotenen Christenumzug. | |
Das ist die besondere Ironie des Weihnachtsmarktmärchens: Dass ein | |
Beschluss, der sich in Realität bisher nur gegen den muslimische Ramadan | |
gerichtet hat, als Angriff auf das christliche Abendland umgedeutet wird. | |
Wenn Pegida, Hogesa und CSU wüssten, wie es wirklich ist - sie müssten | |
stolz auf Kreuzberg sein. | |
17 Dec 2014 | |
## LINKS | |
[1] http://www.csu-landtag.de/index.php?ka=1&ska=4&idn=946#.VJBu6IcQ3xg | |
[2] http://www.berlin.de/ba-friedrichshain-kreuzberg/politik-und-verwaltung/bez… | |
[3] http://www.tagesspiegel.de/berlin/winterfest-statt-weihnachtsmarkt-religion… | |
[4] http://www.berlin.de/ba-friedrichshain-kreuzberg/politik-und-verwaltung/bez… | |
[5] http://dolomitengeistblog.files.wordpress.com/2013/08/berlin-weihnachten.jp… | |
[6] http://www.bz-berlin.de/artikel-archiv/kreuzberg-weihnachts-und-ramadan-ver… | |
[7] http://www.berliner-kurier.de/kiez-stadt/ramadan-tamtam-kreuzberg-verhaengt… | |
[8] http://indexexpurgatorius.wordpress.com/2013/09/02/berlin-verbietet-weihnac… | |
[9] http://pardok.parlament-berlin.de/starweb/adis/citat/VT/17/PlenarPr/p17-035… | |
[10] http://www.bild.de/news/inland/weihnachtsmarkt/haben-wir-nicht-alle-lichte… | |
[11] http://www.kiezweihnacht.de/anfahrt_kiezweihnacht/ | |
[12] http://www.melanchthongemeinde-kreuzberg.de/ | |
[13] http://marien-liebfrauen.de/ | |
[14] http://www.heiligkreuzpassion.de/ | |
## AUTOREN | |
Sebastian Heiser | |
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