# taz.de -- Zeitungskrise in der Schweiz: Das Ende einer liberalen „NZZ“ | |
> Der Aufsichtsrat der „Neuen Zürcher Zeitung“ hat den Chefredakteur | |
> entlassen. Die Suche nach einem neuen gibt Anlass zur Sorge. | |
Bild: Und nun? Das „NZZ“-Verlagshaus in Zürich. | |
Auf der Frankfurter Buchmesse vor zwei Monaten antwortete ein Kollege von | |
der NZZ auf die Frage: „Wie geht’s bei euch?“ mit dem Halbsatz: „weniger | |
schlecht als bei der FAZ“. Das ist symptomatisch fast für das ganze | |
Zeitungsgewerbe, in dem es nur noch um Stufen im Abwärtstrend geht. Erfolg | |
heißt hier, weniger Verluste einzufahren als die anderen. | |
Damals stimmte die Antwort des NZZ-Journalisten noch, heute kann man | |
darüber nur lachen, denn die NZZ steht am Abgrund. „Die Aussicht, auch in | |
zwei Jahren noch eine lesenswerte NZZ im Briefkasten zu haben, ist kaum | |
mehr realistisch“, schrieb Christian Müller, ein exzellenter Kenner der | |
Schweizer Medien, noch vor den jüngsten Katstrophenmeldungen über das | |
Blatt, das auf seine 235-jährige Geschichte stolz ist. | |
Zuerst wurde der Notverkauf der großen NZZ-Druckerei bekannt. Und dann | |
teilte der Aufsichtsrat der Zeitung lapidar mit: „Ein Konsens“ zwischen | |
Aufsichtsrat und der Chefredaktion über die Reform des Blattes, im Klartext | |
selbstverständlich: über einen rigiden Spar- und Entlassungsplan, „konnte | |
nicht gefunden werden, weshalb man sich nun darauf geeinigt hat, dass der | |
Chefredakteur Markus Spillmann per Ende Jahr von seinen Funktionen | |
zurücktritt.“ | |
So sieht ein verbal wattierter Rausschmiss aus. Spillmann erfuhr davon | |
durch einen Telefonanruf des Aufsichtsratsvorsitzenden Etienne Jornod am | |
Sonntagabend. | |
Christof Moser, ein stets gut informierter Redakteur der Schweiz am | |
Sonntag, berichtete am gleichen Tag, wer Spillmanns Nachfolger werden | |
sollte. Der Verwaltungsrat oder dessen rechtskonservativer Flügel habe | |
beschlossen, so Moser, Markus Somm von der Basler Zeitung zum neuen | |
Chefredakteur der NZZ zu ernennen. Diese Meldung wurde zwar schnell | |
dementiert, aber immerhin räumte Markus Somm in der Basler Zeitung selbst | |
ein, „dass Gespräche zwischen mir und der Führung der NZZ-Mediengruppe | |
stattgefunden haben“; er habe aber „nach reiflicher Überlegung“ | |
entschieden, Chefredakteur und Verleger in Basel zu bleiben. | |
## „Tief besorgt über die Zukunft der “ | |
Trotz des schnellen Dementis breitete sich eine Welle der Empörung aus. Das | |
ist verständlich, denn Somm ist nicht irgendwer. Er besitzt die Basler | |
Zeitung zu etwa einem Drittel und bezeichnet sich offen als „Statthalter“ | |
des Rechtspopulisten Christoph Blocher, dem die Basler Zeitung mehrheitlich | |
gehört und der das Land mit seiner Schweizerischen Volkspartei (SVP) und | |
demagogischen Volksinitiativen gegen Einwanderer, „kriminelle Ausländer“ | |
und den Bau von Minaretten systematisch nach rechts zu treiben versucht. | |
Somm schrieb 2009 eine kriecherische Biografie des Milliardärs Blocher, der | |
Politik ungefähr so grobianisch betreibt wie anderswo „Oligarchen“ (C. | |
Müller) und Medienmogule. | |
NZZ-Redakteure meldeten öffentlich Bedenken gegen Somm an und drohten offen | |
mit der Kündigung, falls der stramme Rechtsausleger aus Basel in Zürich | |
Steuermann der NZZ werde. Über 220 Mitglieder der NZZ-Redaktion wandten | |
sich in „größter Besorgnis“ an den Aufsichtsratsvorsitzenden Jornod: „D… | |
Ernennung eines Exponenten rechtskonservativer Gesinnung wäre in unseren | |
Augen das Ende der Kultur einer liberalen und weltoffenen NZZ. […] Auch | |
nach der Absage von Somm sind wir tief besorgt über die Zukunft der NZZ.“ | |
Die verunsicherten Redakteure reklamieren in ihrem Brief ihr Recht auf | |
Anhörung bei der Ernennung eines neuen Chefredakteurs, verurteilen die | |
Kommunikationspolitik jener „politischen Richtung“ im Aufsichtsrat scharf, | |
die „offenbar nach einem neuen Chefredakteur […] mit rechtskonservativer | |
Gesinnung“ gesucht habe. | |
Auch für die Schweizer FDP, deren Aushängeschild die NZZ ist, stünde viel | |
auf dem Spiel, wenn man das Blatt an den Rechtspopulisten Blocher und seine | |
SVP verschacherte. Ein Menetekel für diesen Schulterschluss von Liberalen | |
und Rechten ist eine geplante gemeinsame Wahlkampfveranstaltung von FDP und | |
SVP auf lokaler Ebene im Januar. | |
18 Dec 2014 | |
## AUTOREN | |
Rudolf Walther | |
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