# taz.de -- BSR-Chefin Gäde-Butzlaff hört auf: „Müllmänner sind Kita-Star… | |
> Sie war die erste Frau an der Spitze des männerdominierten | |
> Landesunternehmens. Nun gibt Vera Gäde-Butzlaff ihren Posten auf. | |
Bild: They "kehr for us" - always | |
taz: Frau Gäde-Butzlaff, nur noch ein paar Tage, dann ist bei Ihnen Schluss | |
mit dem Müll. Wie fühlen Sie sich? | |
Vera Gäde-Butzlaff: Nach 12 Jahren in diesem Betrieb – das ist ein bisschen | |
wie das Loslassen von Kindern. Man weiß, es ist richtig, dass die jungen | |
Leuten gehen, aber man empfindet Wehmut. | |
Von der Belegschaft haben Sie sich bereits verabschiedet – es gab Standing | |
Ovations. | |
Das war auf den drei großen Personalversammlungen Mitte Oktober. Da sind | |
jeweils rund 1.500 Leute aufgestanden und haben minutenlang Beifall | |
geklatscht. Das war Gänsehautfeeling. Es zeigt, auf was für einem guten Weg | |
wir sind. Wie gut der Wandel, den die BSR vollzogen hat, von den | |
Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern getragen wird. Bekanntlich hat sich die | |
BSR zu einem echten Vorzeigeunternehmen entwickelt, das sich sowohl | |
ökologisch als auch sozial für die Stadt engagiert. Nicht zu vergessen: Die | |
Gebühren für Abfallentsorgung und Straßenreinigung in Berlin gehören im | |
Bundesvergleich zu den günstigsten. | |
Was waren die entscheidenden Weichenstellungen? | |
Unsere Strategie lautet: absolut wirtschaftlich und effizient arbeiten, und | |
das bei guter Qualität und hohen ökologischen und sozialen Standards. Das | |
war jahrelang verbunden mit erheblichem Personalabbau und | |
Leistungsverdichtung. | |
Leistungsverdichtung – was bedeutet das für den Müllmann auf der Straße? | |
Wie das Wort schon zeigt: Jeder einzelne muss mehr arbeiten als früher. | |
1992 hatte die BSR noch 11.500 Beschäftigte, heute sind es 5.300. Erfolgte | |
der Personalabbau unter Ihrer Federführung? | |
Ein Teil davon ist auch noch in meiner Zeit erfolgt. In unserem | |
Unternehmensvertrag haben wir uns zur erheblichen Effizienzsteigerungen | |
verpflichtet. Das umfasste fünf Perioden von jeweils drei Jahren. Von den | |
insgesamt 15 Jahren war ich 12 Jahre dabei. Die letzte Periode läuft noch. | |
Wenn man die heutige Arbeitsbelastung der BSR-Leute mit den Bedingungen zu | |
Westberliner Zeiten vergleicht – was ist der Unterschied? | |
Früher gab es Müllautos, die um 11 Uhr am Straßenrand standen, weil die | |
Arbeit fertig war. So etwas wäre heute undenkbar. Auch die Aufgaben der | |
Straßenreinigung sind viel komplexer geworden. Früher waren wochentags um | |
18 Uhr die Läden zu und samstags spätestens um 14 Uhr. Heute haben die | |
Geschäfte zum Teil bis Mitternacht geöffnet. Durch all diese Veränderungen | |
gibt es natürlich auch viel mehr Arbeit für uns als früher. Jede Minute ist | |
ausgefüllt, sowohl in der Müllabfuhr als auch in der Straßenreinigung. Der | |
Job ist knochenhart. | |
Und das ertragen die Mitarbeiter klaglos? | |
Vielen fällt das schwer, ich will das überhaupt nicht verniedlichen. Der | |
Altersdurchschnitt liegt heute bei 48 Jahren. Infolge des | |
sozialverträglichen Personalabbaus haben wir ja keine jungen Leute mehr | |
eingestellt. Man kann nicht sagen, dass die älteren operativ arbeitenden | |
Kollegen häufiger krank sind. Aber wenn sie krank werden, dann ziemlich | |
lange. Dann sind es wirklich schlimme Dinge wie zum Beispiel | |
Bandscheibenvorfälle oder Herzgeschichten. Trotzdem sind alle davon | |
überzeugt, dass die Leistungsverdichtung wichtig für die BSR war. Zur | |
Sicherung unseres Auftrages und auch als Rendite für Berlin und damit für | |
unsere Eigentümer, das heißt für alle Berlinerinnen und Berliner. | |
Was meinen Sie mit Rendite? | |
Ökologisches Handeln ist für uns ganz klar die Richtschnur. Zum Beispiel | |
haben wir die weltweit modernste Biovergärungsanlage gebaut. Das ist ein | |
echter Leuchtturm. Wir haben viele Preise dafür bekommen. Sogar aus Asien | |
kommen Umweltpolitiker und Fachleute, um sich das anzugucken. | |
Was macht die Anlage denn so besonders? | |
Die Hälfte unserer Müllsammelfahrzeuge fährt inzwischen mit Biogas. Sie | |
sind leiser und produzieren weniger Feinstaub. Das ist ein echter | |
Kreislauf. Aber es ist der teurere Weg. Die Anlage kostet mehr, als wenn | |
wir unseren Bioabfall nur verkompostieren und unsere Fahrzeuge weiterhin | |
mit Diesel betanken würden. Dass wir diesen Weg trotzdem wählen können, | |
liegt daran, dass wir wirtschaftlich sind. Durch die harte Arbeit unserer | |
Kolleginnen und Kollegen können wir die Gebühren trotzdem niedrig halten. | |
Warum gibt es auf den Müllautos eigentlich noch immer keine Frauen? | |
Als Fahrerin könnte man sich Frauen schon vorstellen, aber es gibt keine | |
reinen Fahrer. Auch der Fahrer geht mit Müll holen. Jeder Müllwerker zieht | |
und schiebt pro Schicht sechs bis sieben Gewichtstonnen Müll. Die | |
240-Liter-Tonnen müssen zum Teil aus den Kellern gehoben werden. In anderen | |
Bereichen wie den Recycling- und Betriebshöfen gibt es bei der Müllabfuhr | |
aber viele Kolleginnen. | |
Sie selbst wären beinahe an der Geschlechterhürde gescheitert, als Sie sich | |
2002 um einen freien Posten im BSR-Vorstand beworben. Was war da los? | |
Richtig (lacht). Nachdem ich meine Unterlagen abgeschickt hatte und so rein | |
gar nichts hörte, habe ich bei den zuständigen Gremien mal nachgefragt, ob | |
es fachliche Hinderungsgründe gibt. Das war nicht der Fall und so wurde ich | |
in das Auswahlverfahren einbezogen. Andernfalls wäre ich vermutlich an dem | |
Argument gescheitert: „Die ist ja qualifiziert, aber eine Frau für so einen | |
Männerbetrieb – das geht nicht.“ An die Quotendiskussion war damals ja noch | |
nicht zu denken. Später, 2007, als ich Vorsitzende des Vorstands geworden | |
bin, kannten mich schon alle. Da war es dann kein Problem mehr. | |
Sie waren die erste Chefin in einem Berliner Landesunternehmen. Wie war | |
das? | |
Und auch für lange Zeit die einzige. In Berlin hat sich das ja zum Glück | |
verändert. In den öffentlichen Unternehmen sind wir bundesweit inzwischen | |
Vorreiter. Aber es ist immer noch nicht ganz selbstverständlich. Ich sage | |
immer: Weiter sind wir erst, wenn die Frage nicht mehr kommt, wie man sich | |
als Frau in so einem Männerunternehmen fühlt. Ein Mann, der eine | |
Kaufhauskette leitet, wird doch auch nicht gefragt, wie er sich mit den | |
vielen Damen in seinem Laden fühlt. | |
Dann stelle ich die Frage jetzt eben nicht. | |
Genau (lacht). Ist ja auch schon beantwortet. Ich werde auch immer gefragt: | |
Hatten Sie es schwerer? Ja und nein. Am Anfang wird man mehr beobachtet. | |
Wenn man dann Mist baut oder den Eindruck macht, dass man sich nicht für | |
die Firma einsetzt, ist man schneller wieder weg. | |
Ist das wirklich noch so? | |
Na klar. Wenn eine Managerin scheitert, dann scheitern die Frauen. Wenn ein | |
Manager scheitert, heißt es nie, die Männer. Denken Sie an die vielen | |
DAX-Vorstände, die ausgewechselt wurden. Da heißt es, Meier oder Müller | |
kann es nicht. Bei den Managerinnen ist das anders. | |
Was ist eigentlich an den Gerüchten dran, Finanzsenator Nussbaum habe Ihnen | |
extrem in die Geschäfte hineinregiert? | |
Nichts. Er hat überhaupt nicht reinregiert. Reinregiert ins operative | |
Geschäft hat hier niemand. Als BSR haben wir den Vorteil, dass das im | |
Betriebegesetz klar geregelt ist: Der Vorstand führt in eigener | |
Verantwortung und haftet auch. Es gibt auch keine Weisungsbefugnis durch | |
den Aufsichtsrat. | |
Wie würden Sie sich selbst beschreiben? | |
Wenn ich von einer Sache überzeugt bin, kann ich ziemlich beharrlich sein. | |
Ich höre aber durchaus zu und habe auch kein Problem damit, meine Meinung | |
auch mal zu ändern. Ich glaube, ich bin ein sehr positiver Mensch. Bei mir | |
ist das Glas immer halb voll, mindestens (lacht). | |
Sie haben sich schon mit Umwelt- und Abfallfragen befasst, als Sie | |
Verwaltungsrichterin in Berlin und Frankfurt (Oder) waren. Auch in der Zeit | |
als Staatssekretärin in Sachsen-Anhalt war das Ihr Themengebiet. Sind Sie | |
eine Grüne? | |
Was die Ökologie betrifft, mit Sicherheit (lacht), parteipolitisch möchte | |
ich das aber nicht einordnen. Wir hatten mal eine Kampagne: „So grün ist | |
nur orange.“ Wenn grün so verstanden wird, ist die BSR grün. Der Schutz | |
unserer Umwelt sollte ohnehin alle angehen. | |
Die Müllmänner sind für ihre Berliner Schnauze berühmt. Wie kommen Sie | |
damit klar? | |
Die Art liegt mir total. Die Leute sind sehr direkt und kritisch, auch | |
gegenüber ihrem Management. Aber wenn sie mitkriegen, dass ich an meinem | |
Platz für das Unternehmen kämpfe, so wie sie an ihrem, ist das ein | |
unheimlich herzliches Verhältnis. Die haben ja auch viel Charme. Das hören | |
wir auch draußen. Die Müllmänner sind die Stars der Kindergärten und | |
Grundschulen. | |
Woher wissen Sie das? | |
Wenn wir mal eine Tour verändern, rufen die Erzieherinnen bei uns an und | |
sagen, wie enttäuscht die Kinder sind, dass die netten Müllmänner nicht | |
mehr kommen. In den letzten Jahren hat sich einiges verändert, ein bisschen | |
auch durch unsere Kampagne … | |
… „we kehr for you“ oder „Lola trennt“. | |
Richtig. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wollen so sein, wie die Leute | |
auf den Plakaten. Bei der ersten Kampagne waren es noch Schauspieler, | |
inzwischen handelt es sich ausschließlich um Kolleginnen und Kollegen der | |
BSR. Auch Lola gehört dazu. Das wirkt nach innen und außen motivierend. | |
Die Kampagne war aber nicht Ihre Erfindung. | |
Das hat kurz vor meiner Zeit angefangen. Zunächst war die Öffentlichkeit | |
total kritisch. So nach dem Motto: Warum machen die Stadtreinigungsbetriebe | |
so aufwändig Werbung, ihr müsst den Müll doch so oder so holen. Es hat ein | |
wenig gedauert, bis klar war, dass da eine Marke verkauft und ein wichtiges | |
Thema platziert wird. Das Geheimnis unserer viel gelobten Werbekampagne war | |
und ist, dass sie humorvoll und selbstironisch ist. Das ist Abfallberatung | |
und Sauberkeitserziehung ohne erhobenen Zeigefinger. | |
Andere Unternehmen und Behörden könnten sich ein Bespiel nehmen, finden Sie | |
nicht? Die Polizei klagt ja auch immer über mangelnde Akzeptanz bei der | |
Bevölkerung. | |
Wir gelten inzwischen durchaus als Vorbild. Der Polizei täte eine | |
Imagekampagne, die die öffentliche Wertschätzung für die anspruchsvolle | |
Arbeit erhöht, sicher gut. Aber es liegt mir fern, Anderen gute Ratschläge | |
zu geben. | |
Was war die schlimmste Umweltsauerei, mit der Sie jemals in Ihrem | |
Berufsleben zu tun hatten? | |
Das waren schon die alten Chemiestandorte in Sachsen-Anhalt wie zum Bespiel | |
Bitterfeld. Viele Milliarden mussten dort aufgewendet werden, um eine | |
Verseuchung des Grundwassers zu verhindern. Aber es ist nicht nur | |
Bitterfeld und der Osten. Abfall unbehandelt auf Deponien abzulegen, war ja | |
auch im Westen üblich. Das belastet die Umwelt über alle Maßen. Ich habe da | |
viel Schlimmes mitbekommen. Was mir früher auch nicht so bewusst war, sind | |
die durch Plastiktüten hervorgerufenen Umwelt- und Tierschäden. Allein in | |
Berlin gehen in einer Stunde 30.000 Plastiktüten über den Ladentisch. | |
Was bewirkt das bei Ihnen? | |
Ich kann nicht sagen, dass ich mir nie mehr eine Tüte geben lasse. Aber ich | |
tue es nur noch ganz selten und mit schlechtem Gewissen. Seit ich das Thema | |
mehr im Visier habe, stelle ich aber doch fest, dass viele Leute eigene | |
Taschen mitbringen, wenn sie einkaufen gehen. | |
Viele Leute fragen sich, was Sie in Zukunft machen werden. Gibt es noch mal | |
einen richtigen Neuanfang? | |
(lacht). Es wird auf jeden Fall ein Neuanfang. Ich war in dem größten | |
kommunalen Stadtreinigungsunternehmen Europas tätig und habe in dem Thema | |
alle Facetten kennengelernt. Dieses Gebiet wird es also nicht mehr sein. | |
Aber die Umwelt hat ja noch mehr Aspekte, als nur die Abfallwirtschaft. Es | |
gibt einen Strauß an Möglichkeiten und Angeboten. Ich bin selbst gespannt, | |
wofür ich mich entscheide. Jetzt freue ich mich aber erstmal auf die | |
Freizeit. | |
Apropos Freizeit: Als BSR-Chefin haben Sie zwölf Stunden am Tag gearbeitet, | |
heißt es … | |
Es gab sehr viele Abendtermine. Vor 22.00 oder 23.00 Uhr war ich meist | |
nicht zu Hause. Das wird in jeder Hinsicht eine Umstellung werden. Und | |
auch, wenn ich unterwegs Abfall sehe, bei dem ich denke, der liegt hier | |
nicht erst seit gestern, das sieht ja unmöglich aus, oder es ist ein | |
Papierkorb durch Randalierer aufgebrochen worden, werde ich nicht mehr zum | |
Telefon greifen. Da muss ich mich dann ab Januar dran gewöhnen, das wieder | |
mit neutralen Augen zu sehen. | |
Sie haben schon in vielen Städten gearbeitet. Haben Sie vor, nun in Berlin | |
zu bleiben? | |
Auf alle Fälle. Berlin ist grandios. Die Vielfalt. Man kann stundenlang | |
allein durch den Wald und an Seen entlang laufen. Ich jogge ja gern. Auf | |
der anderen Seite hat man von der Hochkultur über das Kieztheater bis zum | |
Techno-Club alles. Im Staatsballett bin ich im Freundes- und Förderkreis | |
engagiert. Die Genres gehen bei mir sehr weit auseinander. Auch als ich | |
Frankfurt (Oder) und in Magdeburg gearbeitet habe, habe ich immer in Berlin | |
gewohnt. | |
19 Dec 2014 | |
## AUTOREN | |
Plutonia Plarre | |
Plutonia Plarre | |
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Ulrich Nußbaum | |
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