# taz.de -- Wo hängen eigentlich Mülleimer?: Die Anarchie der Tonne | |
> Städtische Papierkörbe sehen heute aus wie Popstars und reden auch so. | |
> Aber immer, wenn man einen braucht, ist keiner da – warum? | |
Bild: Wo sich Touristen tummeln, häuft sich der Müll. | |
Es ist paradox: Mülleimer sind überall und trotzdem unsichtbar. Eine junge | |
Frau etwa verlässt ein Fast-Food-Lokal am Berliner Alexanderplatz, in der | |
Hand einen Pappbecher mit dem Rest ihres Getränks. Ein Schluck noch, dann | |
wirft sie ihn in den orangefarbenen Mülleimer, der an einem Laternenmast | |
vor dem Lokal hängt. Die Bewegung wirkt unbewusst, routiniert. Den Eimer | |
nimmt sie kaum wahr. Auch nicht der Rentner, der wenig später ein | |
Taschentuch darin versenkt – er tut es beiläufig. | |
Mülleimer sind Fixpunkte in den Straßen der Großstadt. Dass es sie gibt: | |
klar, nicht weiter bemerkenswert. In unsere Wahrnehmung rücken sie erst, | |
wenn weit und breit keiner zu sehen ist. Dann nämlich, wenn der Abfall in | |
der Hand auf die Abwesenheit eines passenden Behälters trifft. | |
Eine App wär’s, die in solchen Momenten den Weg zum nächsten Mülleimer | |
weist. Zumindest aber wäre hilfreich zu wissen, nach welchen Kriterien | |
Mülleimer aufgehängt werden. Wie man schnell einen findet. Wieso eigentlich | |
an manchen Straßenkreuzungen drei davon hängen, an anderen kein einziger. | |
Genau: Man müsste wissen, welcher tieferen Logik die Verteilung von | |
Mülleimern folgt. | |
Rainer Kempe kennt sie. Er ist Leiter des Regionalzentrums Nord-West der | |
Berliner Stadtreinigung (BSR) und entscheidet, wo in seinem Gebiet | |
Mülleimer – Papierkörbe, wie sie offiziell heißen – angebracht werden. D… | |
holt er sich Hinweise von den Reinigungsmitarbeitern und Scouts der BSR | |
ein. | |
„Beim Leeren der Straßenpapierkörbe sehen unsere Mitarbeiter anhand des | |
Füllungsgrades, wo Bedarf nach weiteren Abfalleimern besteht“, sagt Kempe, | |
„auch entsprechenden Bürgerhinweisen gehen wir nach“. Er begutachte dann | |
mit seinen Mitarbeitern den Standort und entscheide, ob es einen | |
zusätzlichen Papierkorb braucht. | |
## Wie viele Mülleimer? Wo? | |
„In Fußgängerzonen, an touristischen Plätzen und anderen Orten, die sehr | |
stark frequentiert sind, gibt es besonders viele Straßenpapierkörbe“, sagt | |
Rainer Kempe weiter. Schon klar, nur: dort kommt man nicht in Mülleimernot. | |
Weil es genügend gibt oder man als Bewohner der Stadt die überlaufenen | |
Zentren ohnehin meidet. | |
Es sind die Nebenstraßen und abgelegeneren Ecken, in denen man sucht. Dort | |
kann man sich zumindest an Cafés, Bäckereien und Imbissbuden orientieren. | |
„In Bereichen, wo viele Coffee-to-go-Becher und Einwegverpackungen | |
anfallen, haben wir eine hohe Anzahl an Papierkörben.“ | |
Konkrete Vorschriften aber, wie viele Mülleimer wo zu stehen haben, gibt es | |
keine. Eine Mindestanzahl pro Flächeneinheit? Nach Einwohnern vielleicht? | |
Nein. „Das Straßenreinigungsgesetz erteilt uns den Auftrag, die | |
öffentlichen Straßen und Plätze der Stadt sauber zu halten“, sagt Rainer | |
Kempe. Wie die BSR das macht, ist ihr überlassen. Wo zu viel Müll neben den | |
Eimern landet, werden eben neue aufgehängt – ein gewachsenes System, | |
reguliert nach Angebot und Nachfrage. | |
Das Gleiche gilt für die Stadtreinigung Hamburg und das Münchner | |
Baureferat, die dort jeweils für die Mülleimer auf den Straßen zuständig | |
sind. Auch sie arbeiten nach Bedarf, nicht nach abstrakten Zahlen. Horst | |
Schiller, Leiter der Abteilung für Straßenunterhalt und -betrieb im | |
Baureferat München, sagt sogar: „Wenn wir merken, dass ein Abfallbehälter | |
nicht genutzt wird, stellen wir den woandershin. Sonst macht der ja keinen | |
Sinn.“ | |
## Inseln der Normfreiheit. | |
Flexibilität in Ämtern? Mülleimer als ein Teil des öffentlichen Raums, der | |
noch nicht bis ins Letzte durch reglementiert ist? Das ist ungewöhnlich. | |
Nein, mehr noch: Anarchie ist das! Und beruhigend obendrein: Es gibt sie | |
noch, die Inseln der Normfreiheit. | |
Das zeigen auch die unterschiedlichen Mülleimer-Quotienten der drei Städte. | |
Im Berliner Straßenland sind etwa 21.500 Mülleimer angebracht. Macht 6,28 | |
Eimer pro tausend Einwohner. Hamburg kommt mit seinen 9.000 Mülleimern auf | |
einen Quotienten von 5,15. Und in München, wo das Baureferat 7.000 Stück | |
anbietet, müssen sich tausend Einwohner 4,97 Mülleimer teilen. | |
Etwas verwunderlich, dass ausgerechnet in München die wenigsten Mülleimer | |
platziert sind – wo die Stadt doch für ihre Sauberkeit bekannt, für ihre | |
Sterilität geradezu verschrien ist. Das mag an der in München weniger | |
ausgeprägten Straßenkultur liegen. Vielleicht erfreut sich die Stadt aber | |
auch besonders verantwortungsbewusster Café- und Kneipenbesitzer, die von | |
sich aus Abfallbehälter vor ihren Läden aufstellen. | |
Fest steht hingegen: Mülleimer verraten einiges über die Städte, in denen | |
sie stehen. Sie lassen sofort erkennen, wo man sich befindet. In München | |
sind sie am unscheinbarsten. Einfache Blechmodelle, grau und still hängen | |
sie an Verkehrsschildern oder säumen die Plätze in der Innenstadt. | |
In Berlin und Hamburg dagegen gibt es die Pop-Versionen unter den | |
Mülleimern: Die Berliner Exemplare, knallorange, sind je nach Stadtviertel | |
mit einem Wortspiel beklebt. „Steglitzern“, „Reinlichendorf“ oder „Gu… | |
Sitte in Mitte“. Noch quasseliger die tiefroten Mülleimer in Hamburg. „Bin | |
für jeden Dreck zu haben“ oder „Hast du mal ’ne Kippe?“ steht auf ihne… | |
jeweils eingefasst in eine Sprechblase. | |
„Seit Längerem schon gibt es in Großstädten die Tendenz, dass sogar der | |
Müll ästhetisiert wird“, sagt dazu Simone Egger. Die Münchner | |
Kulturwissenschaftlerin lehrt an der Universität Innsbruck und forscht vor | |
allem im Bereich Stadtentwicklung und Urbanisierung. „Das Humorvolle und | |
diese Sprüche sind eine bildhafte Aufwertung von etwas eigentlich | |
Hässlichem, das man beiseiteräumt.“ Wie also lassen sich diese Unterschiede | |
lesen? | |
In Berlin und Hamburg sieht Egger mit der Gestaltung der Mülleimer die | |
Bedeutung linker Subkulturen und Szenegruppen wiedergegeben, die mit | |
Graffiti und Tags arbeiten. „Das ist ja eigentlich das Moment, das diese | |
Sprüche aufgreifen: kurze Kommentare, die man mit dem Edding irgendwohin | |
schreibt, oder Aufkleber mit politischen Slogans, die man überall in der | |
Stadt sieht“, sagt sie. | |
Umgekehrt erscheint es in München plausibel, dass sich die Mülleimer völlig | |
zurückhaltend dem Bild der schönen Stadt fügen: „Hier hat man ja oft das | |
Gefühl, dass die Stadt eine sehr homogene, aalglatte Oberfläche hat, auf | |
der die unterschiedlichen Gruppierungen, die es natürlich auch in München | |
gibt, gar nicht so zum Tragen kommen. Dass nun der Müll nicht bunt betont | |
und kommentiert wird, ist vielleicht auch Ausdruck davon.“ | |
## Was sind das für Zeichen? | |
Dazu eine Szene aus Münchens Glockenbachviertel, so geschehen an einem | |
Samstagnachmittag im September: Eine junge Mutter spaziert mit ihren beiden | |
noch sehr jungen Kindern durch die Klenzestraße. Vor einer grauen Holztür, | |
die über und über mit Tags besprüht ist, machen die Kleinen abrupt halt. | |
Sie scheinen solche Zeichen zum ersten Mal zu sehen, fragen nach ihrer | |
Bedeutung. | |
„Die Leute, die so was machen, finden das lustig. Aber eigentlich ist das | |
eher schlimm“, erklärt ihnen die Mutter in sanftem Ton. „Das sollte man | |
nicht tun“, schiebt sie hinterher. Dass die schlichten Mülleimer in München | |
ihren Grund haben, dass ihr Inhalt wohl bewusst nicht durch kecke Sprüche | |
hervorgehoben wird – freilich, die Szene beweist das nicht. Aber sie lässt | |
es erahnen. | |
14 Oct 2014 | |
## AUTOREN | |
Josef Wirnshofer | |
## TAGS | |
Müll | |
Öffentlicher Raum | |
Tourismus | |
Berlin | |
Grüner Punkt | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
BSR-Chefin Gäde-Butzlaff hört auf: „Müllmänner sind Kita-Stars“ | |
Sie war die erste Frau an der Spitze des männerdominierten | |
Landesunternehmens. Nun gibt Vera Gäde-Butzlaff ihren Posten auf. | |
Müll-Rekommunalisierung: Die SPD kippt beim Müll - zumindest halb | |
Der Senat und die Grünen sind verärgert, die Linkspartei freut sich: Die | |
SPD hat sich zur „vollständigen Rekommunalisierung“ bekannt. Aber was folgt | |
daraus? | |
Kali-Müll in der Nordsee: Eine problematische Lösung | |
Der Kali-Konzern K+S sitzt in Nordhessen. Die Lauge, die bei seinem | |
Geschäft anfällt, soll in die Nordsee – am besten per Pipeline, finden die | |
Grünen. | |
Verpackungsverordnung reformiert: Stärkung für die gelbe Tonne | |
Drogerieketten, Supermärkte oder Tankstellen konnten durch Tricks vor der | |
Verpackungsabgabe drücken. Das wird künftig nicht mehr möglich sein. |